Rezension über:

Peter Clark (ed.): The Cambridge Urban History of Britain. Volume 2: 1540 - 1840, Cambridge: Cambridge University Press 2000, XXVII + 906 S., 18 half-tones, 5 graphs, 24 maps, ISBN 978-0-521-43141-5, EUR 90,00
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Rezension von:
Ute Lotz-Heumann
Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Ute Lotz-Heumann: Rezension von: Peter Clark (ed.): The Cambridge Urban History of Britain. Volume 2: 1540 - 1840, Cambridge: Cambridge University Press 2000, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 9 [15.09.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/09/3398.html


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Peter Clark (ed.): The Cambridge Urban History of Britain

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Der zweite Band der dreibändigen Cambridge Urban History of Britain befasst sich mit der Frühen Neuzeit, die hier von 1540 bis 1840 periodisiert wird. Eingerahmt von Einleitung und Schluss des Herausgebers Peter Clark, eines führenden Kenners der frühneuzeitlichen englischen Stadtgeschichte, ist der Band in drei Teile gegliedert: erstens einen geografischen Überblick über die Regionen Englands sowie Wales und Schottland, zweitens einen thematisch orientierten Teil für die Zeit bis 1700 und drittens einen thematisch orientierten Teil für die Periode zwischen 1700 und 1840.

Teil II und III der Cambridge Urban History of Britain sind weitgehend parallel aufgebaut. Zunächst werden wichtige Themenaspekte der Stadtgeschichte durchschritten: Wirtschaft, Bevölkerung, Politik, Kultur und Topografie. Daraufhin werden die verschiedenen Stadttypen analysiert, beginnend mit London, der unangefochten an der Spitze der englisch-britischen Städtehierarchie stehenden Metropole, über die "regional and county centres" bis hinunter zu den "small towns". Außerdem werden den Hafenstädten mit ihrer wichtigen Rolle für den Inselstaat eigene Kapitel gewidmet. Der dritte Teil wird zudem ergänzt durch die Analyse von zwei neuen Stadttypen des 18. Jahrhunderts: den "health and leisure resorts" und den "industrialising towns".

Das Handbuch wird durch einen reichen Abbildungsteil ergänzt, der sowohl zeitgenössische Stadtansichten als auch modernes Fotomaterial umfasst (zusammengefasst zwischen den Seiten 164 und 165). Karten, Diagramme und Tabellen begleiten und unterstützen den Text an zahlreichen Stellen und wurden sorgfältig in diesen integriert. Außerdem wird der Band durch eine Literaturliste ergänzt und durch einen differenzierten Index erschlossen, sodass hier ein Arbeitsinstrument von hoher Qualität vorgelegt wurde (was auch für das verwendete Papier und die gute Bindung gilt).

Kleinere Unstimmigkeiten im Hinblick auf die Gliederung des Bandes sind jedoch festzuhalten. Zum einen erscheint es wenig sinnvoll, dass dem geografischen Teil I des Bandes eine kurze Einleitung des Herausgebers vorangestellt wurde, deren Inhalt sich problemlos in die allgemeine Einleitung eingefügt hätte (im Gegensatz zu Teil II und III, die über keine separaten Einleitungskapitel verfügen). Zum anderen entspricht es zwar englischsprachigen Wissenschaftsgepflogenheiten, dass die Untergliederungspunkte der einzelnen Kapitel nicht im Inhaltsverzeichnis auftauchen, dies hätte dem Leser aber den spontanen Überblick über den Inhalt des Bandes und die Weite der abgedeckten Themenbereiche erleichtert.

Die Rezension eines Handbuches mit insgesamt 30 Kapiteln kann naturgemäß nicht auf die einzelnen Beiträge eingehen. Vielmehr scheint es sinnvoll, einige übergreifende konzeptionelle und inhaltliche Probleme des Bandes anzusprechen.

Zunächst einmal fällt dem deutschen Leser auf, dass ein Theorie-Kapitel fehlt und der Stadt-Begriff nicht übergreifend reflektiert wird (vergleiche dazu auch die Ausführungen von Harald Müller in seiner Rezension des ersten Bandes der Cambridge Urban History of Britain). In seiner Einleitung bietet Peter Clark diverse Definitionen des Stadtbegriffes an und diskutiert ihre Relevanz und Problematik aus seiner Sicht, ohne dem Band eine theoretische Vorgabe zu machen. Dies ist, wie Clark festhält, Programm: "... there has been no editorial attempt to impose a rigid party line: rather the vision of British towns is as seen through a lattice window of different scholarly ideas ..." (24).

In Folge dieser Entscheidung des Herausgebers schwanken die Stadt-Definitionen der einzelnen Autoren zwischen Extremen: Auf der einen Seite steht eine demographische Definition, die sich allein an Bevölkerungszahlen orientiert (vergleiche zum Beispiel 196, 457-558). Auf der anderen Seite bedienen sich diejenigen Autoren, deren Gegenstand eine demographische Definition schwierig macht oder überhaupt nicht zulässt, einer wirtschaftlichen oder sozial-kulturellen Stadtdefinition. Im Fall der Kleinstädte, die sich in ihrer Größe häufig kaum von Dörfern unterschieden, betont Alan Dyer zum einen den hohen Anteil nicht-agrarisch tätiger Bevölkerung und zum anderen die Markt-Funktion als stadt-konstituierende Merkmale (vergleiche 427). Dagegen definiert Peter Borsay in seinem Beitrag über "health and leisure resorts": "... in the ultimate analysis the argument for treating resorts as urban, even if they were very small, is that their social life and culture was that of a town and not a village" (786).

Über die Vor- und Nachteile eines solcherart flexiblen Stadt-Begriffs wird man für die Frühe Neuzeit durchaus geteilter Meinung sein können. Der Offenheit, die es im britischen Kontext erlaubt, auch kleinste Kurorte als "städtisch" zu begreifen, steht eine aus der Flexibilität der Stadt-Definition möglicherweise resultierende Beliebigkeit und daraus folgende Schwierigkeiten bei der Abgrenzung und Vergleichbarkeit von "Stadt" gegenüber.

Die Frage des europäischen Vergleichs ist der zweite Kritikpunkt, der hier angesprochen werden soll. Es fällt auf, dass zwar der Herausgeber in seiner Einleitung die britische Stadtentwicklung in eine europäisch vergleichende Perspektive einordnet, dass diese konzeptionelle Vorgabe aber nur in den wenigsten Beiträgen des Handbuches wieder aufgenommen wird. Auch hier kann man natürlich darüber streiten, ob das Konzept einer "Urban History of Britain" durchgängig einen europäisch-vergleichenden Blick erfordert. Doch wird man nicht umhin können festzustellen, dass hier der Gegensatz zwischen dem Herausgeber Peter Clark, einem international denkenden und arbeitenden Stadthistoriker, und der traditionell eher insularen Perspektive britischer Historiographie durchscheint.

Man mag über die europäische Perspektive denken wie man will, der geografische Zuschnitt des Handbuches in Bezug auf die britischen Inseln zeichnet sich durch ein deutliches Defizit aus: Der Einbeziehung von Wales und Schottland steht die völlige Auslassung von Irland gegenüber. Natürlich steht die "Cambridge Urban History of Britain" mit diesem Zugriff nicht allein - er hat vielmehr eine lange historiographische Tradition, die jedoch nicht aus der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen, sondern nur aus der modernen, nationalstaatlichen Entwicklung auf den britischen Inseln gerechtfertigt werden kann.

In der hier zur Debatte stehenden Frühen Neuzeit war Irland neben Schottland und Wales Teil des "multiple kingdom" der englischen Könige, ja geht man von der "union of the crowns" und nicht der Parlamentsunion aus, so war Irland - im Gegensatz zu Schottland - sogar bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts unter Heinrich VIII. ein Königreich der englischen Krone. Seit John Pocockes Plädoyer für die Einbeziehung aller Gebiete der englischen "composite monarchy" in eine "British history", die in der Historiographie breit rezipiert worden ist, wird man von einer "Urban History of Britian" deshalb wenigstens eine Begründung für ihre enge und traditionelle Auslegung des Begriffs und die Nicht-Einbeziehung Irlands erwarten dürfen. Das Problem wird in diesem Handbuch jedoch nicht einmal angesprochen, geschweige denn reflektiert.

Abschließend muss die Periodisierung der Cambridge Urban History of Britain in den Blick genommen werden. Die Teilung des Bandes in zwei Perioden - vor und nach 1700 - ist angesichts der Stadtentwicklung auf den britischen Inseln überaus plausibel: Während die britischen Städte vor 1700 hinter der kontinentalen Entwicklung zurückstanden und ihre Entwicklung vom Staat und seinen Entscheidungen bestimmt war, nahmen sie nach 1700 sowohl wirtschaftlich als auch als Zentren des kulturellen und sozialen Lebens einen ungeahnten Aufschwung.

Die Periodisierung 1540 bis 1840 begründet Peter Clark mit dem Hinweis auf die Reformation einerseits und den "parliamentary and municipal reforms of the 1830s" andererseits (23). Angesichts der massiven religiösen und kulturellen Umwälzungen, die durch die Reformation in den englischen Städten hervorgerufen wurden (vergleiche dazu insbesondere Kapitel 8), ist die Reformation als Epochengrenze auch für die städtische Geschichte sicherlich plausibel. Wieso dies jedoch - offenbar aus Gründen der Vereinfachung - mit dem Jahr 1540 in Verbindung gebracht wird, ist weniger durchsichtig: Die Klosterauflösungen Heinrichs VIII. hatten bereits 1536 eingesetzt, wogegen die stark protestantische Reformationsgesetzgebung Edwards VI. erst 1547 beginnt. Als Enddatum der frühneuzeitlichen Stadtgeschichte Britanniens wurde 1840 gewählt - dies scheint wiederum aus Vereinfachungsgründen geschehen zu sein, denn die angesprochenen politischen Reformen (Municipal Reform Act) fanden bereits 1835 statt und der Regierungsantritt Königin Viktorias, der in den Beiträgen häufiger als Epochenwende genannt wird, erfolgte 1837.

Der Herausgeber begründet die Ausdehnung der Frühen Neuzeit bis in das 19. Jahrhundert mit dem Ziel "to show how many of the pivotal changes of the early nineteenth century derived from developments of the previous period" (23). In dieser Begründung liegt jedoch zugleich auch das Problem: Denn in den Beiträgen des Handbuches wird durchweg deutlich, wie fundamental sich die britischen Städte seit dem späten 18. Jahrhundert veränderten; wirtschaftlich, sozial und topografisch ließen sie die Frühe Neuzeit hinter sich und traten in die Moderne ein. Das späte 18. und insbesondere das frühe 19. Jahrhundert waren eine "transitional period" (23), die sich durch einen "dramatic gearshift" (615) auszeichnete. Es stellt sich deshalb die Frage, ob eine Zuordnung dieser Dekaden zum dritten Band der Reihe nicht plausibler gewesen wäre und man bei einem stadtgeschichtlichen Zugriff eine "kurze Frühe Neuzeit" nicht der hier postulierten "long early modern period" (23) vorziehen sollte.

Trotz dieser Kritikpunkte ist die Cambridge Urban History of Britain insgesamt ein herausragendes Handbuch, das, entsprechend den Wünschen ihres Herausgebers, "an up-to-date view of the main research literature, issues and questions of the field" (24) bietet und auch die zukünftige Forschung anregen wird.


Ute Lotz-Heumann