Rezension über:

Martin Hoernes (Hg.): Hoch- und spätmittelalterlicher Stuck. Material - Technik - Stil - Restaurierung. Kolloquium des Graduiertenkollegs 'Kunstwissenschaft - Bauforschung - Denkmalpflege' der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der Technischen Universität Berlin, Bamberg 16.-18. März 2000, Regensburg: Schnell & Steiner 2002, 240 S., 93 s/w-, 40 Farb-Abb., ISBN 978-3-7954-1472-6, EUR 39,90
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Rezension von:
Gerhard Lutz
Technische Universität, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Ulrich Fürst
Empfohlene Zitierweise:
Gerhard Lutz: Rezension von: Martin Hoernes (Hg.): Hoch- und spätmittelalterlicher Stuck. Material - Technik - Stil - Restaurierung. Kolloquium des Graduiertenkollegs 'Kunstwissenschaft - Bauforschung - Denkmalpflege' der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der Technischen Universität Berlin, Bamberg 16.-18. März 2000, Regensburg: Schnell & Steiner 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 5 [15.05.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/05/1589.html


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Martin Hoernes (Hg.): Hoch- und spätmittelalterlicher Stuck

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In den beiden vergangenen Jahrzehnten erlebte die Erforschung der mittelalterlichen Stuckplastik einen bemerkenswerten Aufschwung. Eine erste Zusammenschau der Ergebnisse vermittelte der 1995 in Hildesheim veranstaltete Kongress "Stuck des frühen und hohen Mittelalters. Geschichte - Technologie - Konservierung" [1] aus Anlass der Ausstellung "Der vergrabene Engel. Die Chorschranken der Hildesheimer Michaeliskirche" [2]. Ein weiterer Kongress, der im Jahr 2001 in Brixen stattfand, konzentrierte sich vorwiegend auf südalpine Beispiele [3]. Nun folgte das Bamberger Kolloquium, ohne dass sich dabei allzu große Überschneidungen ergeben hätten. Von den insgesamt 20 Beiträgen des zu besprechenden Bandes können hier nur einige Schwerpunkte gewürdigt werden.

Im Bereich des mittelalterlichen Sachsen gehen die Bemühungen um eine Erforschung der Stuckplastik bereits auf die wegweisende Arbeit von Friedrich Berndt von 1932 zurück [4]. Andere Gebiete, wie die Schweiz, Österreich und Süddeutschland, erfahren erst in jüngerer Zeit eine intensivierte Aufarbeitung. So stellt Manfred Koller erstmals Beispiele für Kunststeinverwendung des 15. Jahrhunderts im Gebiet des heutigen Österreich zusammen (73-80). Breiten Raum in der Publikation nimmt die Figurengruppe aus dem ehemaligen Dollingersaal in Regensburg ein, ein einzigartiger Zyklus bürgerlicher Repräsentation aus dem späten 13. Jahrhundert (Beiträge von Annette Kurella und Martin Hoernes,153-181). Als weiterer geografischer Bereich rückt zunehmend der Ostseeraum in das Blickfeld der Forschung. Das Unikat der Anna Selbdritt-Figur in der Stralsunder Nikolaikirche aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts stellt Juliane von Fircks vor (140-152). Kazimierz Pospieszny ordnet die Kunststeinverwendung auf der Marienburg einem breiteren Kontext zu (181-192).

Die Werke im Gebiet des hochmittelalterlichen Sachsen bilden einen Schwerpunkt des Bandes, mit zum Teil wichtigen Neubewertungen. Michael Brandt widmet sich der Stuckausstattung von Sankt Michael in Hildesheim vor der Weihe von 1186 (99-105). Er macht darauf aufmerksam, dass die so genannten Seligpreisungen Teile eines umfangreicheren Programms gewesen sein müssen, das wohl einen Zyklus aus Aposteln sowie den klugen und törichten Jungfrauen umfasste. Als Ausgangspunkt für die Neuausstattung bringt er statt des viel zitierten Kirchenbrands von 1162 überzeugend die Erlaubnis der Provinzialsynode von Erfurt aus dem Jahr 1150 ins Spiel, den Klostergründer Bernward lokal zu verehren. Damit rücken die Stuckskulpturen stärker in die Jahrhundertmitte, was Brandt auch durch stilistische Vergleiche untermauert.

Petra Marx (85-98) weist die Stuckarbeiten von der Emporenbrüstung der ehemaligen Benediktinerklosterkirche Gröningen - bislang um 1170 datiert - überzeugend der Mitte des Jahrhunderts zu, wobei ihr Ansatz über eine reine Stilanalyse hinausgeht. Im Umkreis der kirchlichen Reformbewegungen des 12. Jahrhunderts rekonstruiert sie einen "Stil der Reformpartei", der durch die verstärkte Rezeption italo-byzantinischer Elemente gekennzeichnet ist. Als Vorgesetzter der Corveyer Propstei Gröningen mag Abt Wibald von Stablo hier eine herausragende Mittlerposition eingenommen haben.

In zentralen Punkten der Bewertung von Stuckplastik herrscht noch Unsicherheit. Bei der Frage nach den Motiven für die Verwendung von Stuck ergibt sich ein eher verwirrendes Bild. Auf der einen Seite wird deutlich, dass Stuck auch für gehobenste Aufgaben eingesetzt wurde. Für das Frühmittelalter belegt dies eindrücklich Rabanus Maurus, der den Abdruck in Gips mit der Erschaffung Adams in Bezug setzte (56). Im Spätmittelalter scheint jedoch die Häufigkeit der Verwendung abzunehmen. Ob dies mit einer abnehmenden Wertigkeit im Zusammenhang steht, ist unklar. Durch die zahlreichen Neuentdeckungen beginnt sich aber das Bild zu differenzieren.

Ein wichtiger Vorteil des Materials könnte gewesen sein, dass es relativ schnell und leicht zu bearbeiten war, dass man ihm also bei Termindruck oder engem Finanzrahmen den Vorzug gegeben hat (Figuren aus dem Regensburger Dollingerhaus, 175-176). Dies wiederum spricht für eine nachgeordnete Wertigkeit des Materials Stuck. Dazu passt auch, dass dem Betrachter oftmals durch anschließende Polychromierung ein anderes Material suggeriert werden sollte. So geht Petra Marx für die Gröninger Empore von bemalten Figuren aus, die den Eindruck plastischer Steinbildwerke hervorriefen - hier ausnahmsweise nicht in Freskotechnik ausgeführt, sondern erst nachträglich farbig gefasst (88). In Regionen ohne geeignete Steinvorkommen diente Stuck offenbar als kostengünstiges Surrogat (Stralsunder Anna Selbdritt und Marienburger Beispiele).

Insbesondere die Analyse der Stralsunder Figur wirft Fragen auf (von Fircks, 140-152): Sie ist vermutlich gegossen worden und weist rückseitig eine bislang nicht näher untersuchte Aushöhlung auf. Die Autorin geht davon aus, dass mehrere Teile, wie etwa der vom Körper weggestreckte Unterarm Mariens, aus Holz angestückt waren. Die Verwendung verschiedener Werkstoffe war also technisch bedingt, um die gewünschte Plastizität der Figur zu erreichen. Die Imitation eines Steinbildwerks in einem Gebiet mit entsprechendem Materialmangel (148) scheint auf der Hand zu liegen. Und doch stellt man sich die Frage, warum angesichts der notwendigen Einbeziehung hölzerner Teile die dort eher seltene Stucktechnik zum Einsatz kam und nicht gleich Holz verwendet wurde. Durch die anschließende Polychromierung wird der zeitgenössische Betrachter kaum einen Unterschied bemerkt haben.

Dem stehen andere Beispiele gegenüber, die nur sehr zurückhaltend gefasst sind, wie die Figuren am Heiligen Grab in Gernrode. Ausgehend von der Architektur und der immanenten Farbigkeit des Materials Stuck wird vermutet, dass man dort eine Art monumentales Reliquienkästchen schaffen wollte, dessen Farbigkeit als eine Elfenbeinimitation zu verstehen sein könnte (89). Auch die Figuren aus dem Dollingersaal in Regensburg vom Ende des 13. Jahrhunderts waren ursprünglich nahezu monochrom weiß, mit wenigen farbigen und grafischen Akzentuierungen. In ähnlicher Weise spielte die Eigenfarbigkeit des Materials bei den rötlichen Gipsgüssen des österreichischen Alpengebietes eine Rolle, entstanden durch die Zersetzung von Pyrit zu Hämatit bei Brenntemperaturen von über 600 Grad.

Über die handwerkliche Tradition der Herstellung von Stuckplastiken ist nur wenig bekannt. Die hier vorgelegten Studien können mit ihren zahlreichen Einzelergebnissen als eine Basis für weitere Forschungen dienen. Bei der Mehrzahl der untersuchten Komplexe fällt auf, dass die Stuckateure Guss- und Antragstechniken parallel einsetzten. Besonders anschaulich fasst Cathrin Limmer den derzeitigen Kenntnisstand zum Stuckguss, vor allem im Bereich des mittelalterlichen Sachsen, zusammen. Sie weist auf die engen Bezüge zu den anderen Gusstechniken, insbesondere zum Metallguss, hin. Es macht technisch keinen Unterschied, ob man eine Positivform für einen Bronze- oder einen Stuckguss herstellt. Hier kann möglicherweise auch eine Verbindung zur Schatzkunst gesehen werden, die - wenngleich in kleinerem Format - ebenfalls mit solchen Modellen arbeitete. Kaum umstritten ist, dass die Goldschmiedekunst eine wichtige Inspirationsquelle gerade auch für die Stuckkünstler abgab (insbesondere Beitrag von Petra Marx).

Die Mehrzahl der vollplastisch gearbeiteten Skulpturen wurde mit Hilfe von Gussverfahren gearbeitet. Eine wichtige Ausnahme bilden jedoch die Figuren aus dem Regensburger Dollingersaal (154-155). Auf kleinere und größere Eisenklammern wurde dort der nasse Gips auf die Mauer aufgetragen und so die Figur Schicht für Schicht herausmodelliert. Auch hier wird jedoch der Einsatz von Negativformen vermutet. Weitere Bezüge ergeben sich auch zur Stein- und Holzskulptur, denn zahlreiche Stuckplastiken wurden nachträglich durch Abtragungen bearbeitet. Je nach Trocknungsstand verwendete man hierfür Schnitz- oder Bildhauerwerkzeuge.

Auf diese Weise wird deutlich, dass die Grenzen zu den anderen Kunstgattungen zum Teil schwer zu ziehen sind. Waren die Stuckateure eigenständig oder arbeiteten sie je nach Auftrag mit unterschiedlichen Materialien? Gab es eine klare Trennung zwischen dem entwerfenden Künstler, der ein Modell anfertigte, und dem ausführenden Handwerker, der ausschließlich für den Guss zuständig war?

Wenn Klaus Niehr in seinem Beitrag die traditionellen Gattungsgrenzen zu Recht in Frage stellt, mag man ihm nur zum Teil folgen. Zwar ist seiner Forderung beizupflichten, man solle die "Werke von den Voraussetzungen ihrer handwerklichen Gestaltung her begreifen" (129). Doch in seinen Analysen bemüht Niehr, zum Teil bedingt durch den fragmentarischen Kenntnisstand zu den einzelnen Objekten, traditionelle stilanalytische Aspekte und Motivvergleiche. Besonders deutlich wird dies an der thronenden Muttergottes aus Schöningen im Braunschweigischen Landesmuseum, die technologisch noch nicht hinreichend untersucht ist. Die "tiefgreifende Plastizierung" lässt Niehr darauf schließen, dass statt einer "Modellierung oder Formguss" hier wohl eher eine geschnitzte oder behauene Oberfläche im Sinne einer Skulptur vorliegen dürfte. Dies verdeutlicht, dass für das weitreichende Diktum vom Verschwinden der Gattungsgrenzen derzeit noch keine ausreichende Materialbasis vorhanden ist.

Zugleich verweist dies auf ein weiteres Problem: Für eine tiefere Durchdringung solcher Fragen ist eine noch engere Verzahnung technologischer Fragestellungen mit den kunst- und kulturgeschichtlichen Ansätzen vonnöten. Ungeachtet vieler interdisziplinärer Forschungsergebnisse laufen immer noch zahlreiche Vorhaben parallel, sind die Fragestellungen nicht genug aufeinander abgestimmt, werden die Ergebnisse jeweils für den eigenen Adressatenkreis aufbereitet. Die vorliegende Publikation ist ein viel versprechender Brückenschlag und bietet zugleich reichlich Diskussionsstoff für zukünftige Forschungen.

Anmerkungen:

[1] Matthias Exner (Hrsg.): Stuck des frühen und hohen Mittelalters. Geschichte - Technologie - Konservierung. Eine Tagung des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS und des Dom- und Diözesanmuseums Hildesheim in Hildesheim, 15. - 17. Juni 1995, ICOMOS - Hefte des Deutschen Nationalkomitees. 19, München 1996.

[2] Michael Brandt (Hrsg.): Der vergrabene Engel. Die Chorschranken der Hildesheimer Michaeliskirche - Funde und Befunde, Katalog zur Ausstellung des Dom- und Diözesanmuseums Hildesheim 1995 von St. Michael in Hildesheim, Mainz 1995.

[3] Guido Biscontin und Guido Driussi (Hrsg.): Lo stucco. Cultura - tecnologia - conoscenza. Atti del convegno di studi, Bressanone, 10 - 13 luglio 2001, Marghera / Venezia 2001.

[4] Friedrich Berndt: Stuckplastik im frühmittelalterlichen Sachsen. Ihre Bedeutung und Technik, Hannover 1932.

Gerhard Lutz