Rezension über:

Frank Matthias Kammel (Hg.): Adam Kraft. Die Beiträge des Kolloquiums im Germanischen Nationalmuseum (= Wissenschaftliche Beibände zum Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums; Bd. 20), Nürnberg: Germanisches Nationalmuseum 2002, 362 S., 316 Abb., ISBN 978-3-926982-80-3, EUR 39,80
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Rezension von:
Alexander Markschies
Institut für Kunstgeschichte, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen
Redaktionelle Betreuung:
Gabriele Wimböck
Empfohlene Zitierweise:
Alexander Markschies: Rezension von: Frank Matthias Kammel (Hg.): Adam Kraft. Die Beiträge des Kolloquiums im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg: Germanisches Nationalmuseum 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 5 [15.05.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/05/2997.html


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Frank Matthias Kammel (Hg.): Adam Kraft

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In seinem fulminanten Essay "Bleibt Dürer Dürer?" von 1971 ging Wolfgang Hildesheimer hart mit einer Kunstgeschichte ins Gericht, die sich immer noch lediglich mit den Künstlern und nicht mit der Kunst beschäftigt [1]. Dieser Vorwurf bleibt nach wie vor bestehen, ist vielleicht aktueller denn je. Nur nach und nach beginnt das Fach, sich etwa mit den Möglichkeiten und Grenzen der Künstlerbiografie zu beschäftigen [2]. Ein Ausweg mag darin bestehen, das Bild des Künstlers durch verschiedene Autoren entstehen zu lassen. So geschehen im hier anzuzeigenden Band, in dem sich 16 Wissenschaftler, darunter Kunsthistoriker, Historiker und Restauratoren mit dem Nürnberger Architekten und Steinmetz Adam Kraft beschäftigen - zum ersten Mal in monografischer Form seit knapp fünfzig Jahren. Der Charakter eines Sammelbandes mag es gerechtfertigt erscheinen lassen, die Beiträge im Folgenden zu resümieren.

Grundlagen liefern der einführende Text von Frank Matthias Kammel und ein Abriss der Rezeptionsgeschichte von Corine Schleif. Karl Kohn rekonstruiert Lage und Aussehen des Adam-Kraft-Hauses in der Nürnberger Jakobstraße und stellt die Quellen zu Leben und Werk des Künstlers zusammen - leider wenige, aber immerhin die Verträge zu seinen beiden wohl wichtigsten Werken, dem Schreyer-Landauerschen Grabmal vom 11. September 1490 und dem Sakramentshaus in Sankt Lorenz vom 25. April 1493.

Zentral wichtig und längst etabliert in der Erforschung der Spätmittelalters sind die Beiträge der Restauratoren: Eike Oellermann beschäftigt sich mit der Arbeitsweise des Künstlers, und hier zunächst mit seiner artifiziellen Gabe, Stein scheinbar biegen zu können - sie faszinierte bereits die Zeitgenossen Krafts. Die zu Grunde liegende, weithin etablierte und dennoch eindrucksvolle handwerkliche Praxis erhellt sich aus einer instruktiven Abbildung (133, Abbildung 3): Durchbohrte Einzelsteine wurden mit verflüssigtem Metall ausgegossen, "wie Perlen auf eine metallene Seele aufgereiht und die verbliebenen Fugen, wenn nötig, mit feinkörnigem Mörtel geschlossen, um die Nahtstellen unkenntlich werden zu lassen" (133). Seit Wilhelm Vöge gehört die Beschäftigung mit dem Material, etwa den Vorgaben und Eigenschaften des Werksteins, zu den selbstverständlichen Aufgaben der Skulpturenforschung. Oellermann gelingen nun wichtige, geradezu bahnbrechende Beobachtungen, wie Kraft solche Bedingtheiten zu Gunsten einer größeren künstlerischen Freiheit umgeht (135-137, 140-141). Beachtenswert sind auch Oellermanns Bemerkungen zur Fasstechnik und zu Adam Kraft als Holzschnitzer.

Beate Hertlein stellt ihre 1993/94 begonnene Bauforschung am Sakramentshaus in Sankt Lorenz vor, wichtig sind ihre Ausführungen zu Statik, Bautechnik und zu den Planänderungen sowie zu den vier Federzeichnungen in der Staatlichen Graphischen Sammlung München. Auf der Grundlage eines steingerechten Aufmasses gelingt ihr hier - im Unterschied zur früheren Forschung - die Identifikation der Zeichnungen als Teile der Originalvisierung oder zumindest einer zeitgenössischen Kopie.

Günther Bräutigam beleuchtet das - offenbar nicht wirklich befriedigend - zu klärende Problem der Entwicklung im Œuvre des Künstlers, bei dem, Veit Stoß vergleichbar, die herkömmliche Stilgeschichte zu versagen scheint. Stefan Roller untersucht die Nürnberger Steinbildwerke der Zeit vor Adam Kraft und stellt zusammenfassend fest, dass Kraft "am Endpunkt einer langen, traditionsreichen Reihe von Steinbildhauern in Nürnberg steht (..), die seine generelle Prägung durch die Bildhauerkunst der Reichsstadt nachvollziehbar werden lässt" (73). Bedenkenswert scheint mir sein Hinweis auf die Steinfigur eines lautespielenden Engels im Aachener Suermondt-Ludwig-Museum als Nürnberger Produkt (76).

Hartmut Krohm beschäftigt sich mit den oberrheinischen Wurzeln Krafts, die seit jeher im Blick der Forschung standen, und macht auf das Taufbecken Jost Dotzingers und die Kanzel Hans Hammers im Straßburger Münster als Vorbilder für das Sakramentshaus in Sankt Lorenz aufmerksam. Kenntnisse der Werke des Niklaus Gerhaert haben sich Kraft entweder direkt vermittelt - oder indirekt, etwa durch das Studium des 1466 vollendeten Hochaltarretabels in Rothenburg ob der Tauber (95). Das Neckargebiet wird für Barbara Schock-Werner wichtig, wenn sie sich mit Adam Kraft als Architekt beschäftigt.

Die Reihe der einzelnen Werken Krafts gewidmeten Beiträge eröffnet Ulrich Söding. Er erörtert das Schreyer-Landauer-Epitaph an Sankt Sebald und hier insbesondere das komplexe Problem der Herleitung, das Brisanz erhält durch den Umstand, dass das Steinbildwerk ein 1481 erstmals genanntes Wandbild - vielleicht - gleicher Ikonographie ersetzte (man berücksichtige dazu auch die Bemerkungen Gerhard Weilandts, insbesondere 280 f.).

Volker Rößner und Frank Matthias Kammel können die "Madonna in der Königstraße", von der man im Anschluss an die Kraft-Monografie von Wilhelm Schwemmer glaubte, es handele sich hier um eine Kopie, als spätgotisches Original wiedergewinnen. Die Maßwerkbrüstungen aus dem Nürnberger Haus Adlerstraße 21 nimmt Ursula Timann in den Blick, auf dieser Grundlage ließe sich nochmals vertieft über Zusammenhänge und Unterschiede der ornamentalen, architektonischen und figürlichen Arbeiten Krafts nachdenken. Wie folgenreich das Sakramentshaus Adam Krafts war, erhellt Claudia Arndt, die nach einer ausführlichen Analyse seiner Architektur die Sakramentshäuser in Kalchreuth, Schwabach, Heilsbronn und Katzwang vorstellt. Zusammenfassend schreibt sie, dass "alle im Umkreis entstandenen Werke dem Nürnberger Vorbild folgen" (229). Der das Buch abschließende Beitrag von Frank Matthias Kammel stellt die Musikantenfiguren aus dem Imhoffschen Haus (heute im Germanischen Nationalmuseum) vor und verortet ihre Eigenheiten in der Tradition der spätmittelalterlichen Musikantendarstellungen.

Eigenes Interesse verdienen die vier Aufsätze, die weitergehende, inhaltliche Fragen erörtern: Wolfgang Schmid beschäftigt sich mit den künstlerischen Selbstdarstellungen in Nürnberg um 1500, insbesondere den Selbstbildnissen Albrecht Dürers sowie von Adam Kraft und Peter Vischer. Verkürzt gesagt, visualisieren sich hier zwei unterschiedliche Vorstellungen vom Künstler: einerseits verbildlicht er sich als Handwerker, andererseits als humanistisch gebildeter Patrizier. In diesem Zusammenhang sei auf den einzigen Aufsatz verwiesen, der in der Bibliografie zu fehlen scheint [3].

Corine Schleif untersucht in ihrem zweiten Beitrag für den Band überaus spannend die kommunikativen Strukturen einiger ausgewählter Nürnberger Werke der Zeit um 1500, und Susanne Wegmann nimmt den Kreuzweg Adam Krafts unter frömmigkeitsgeschichtlichen Gesichtspunkten in den Blick - die Steintafeln werden in dieser Sicht zum "Abbild Jerusalems in der Heimat" (257). Gerhard Weilandt schließlich kann in seinem faszinierenden Beitrag die Funktion des Schreyer-Landauer-Grabmals näher bestimmen, das offenbar zunächst wie ein Epitaph das Gedächtnis an Hans und Elisabeth Schreyer memorierte, darüber hinaus aber als Denkmal für die - zur Zeit der Auftragsvergabe noch lebenden - Stifter Sebald Schreyer und Matthäus Landauer fungierte.

Der Band ist überaus großzügig mit Abbildungen ausgestattet, die allerdings - wohl abhängig von der Qualität der Vorlagen - zuweilen etwas flau wirken. Er enthält eine 192 Titel umfassende Bibliografie zu Adam Kraft und ist sorgfältig ediert. Schön wäre ein umfangreicheres Register gewesen, denn so muss man sich mühevoll etwa die Bemerkungen zu einer sich inzwischen im New Yorker Kunsthandel befindlichen Figur eines trauernden Johannes zusammensuchen (17, 89, 124 f). Immerhin lassen sich über das Personenregister die überaus instruktiven neuen Einsichten zu Johann Neudörfers Chronik von 1547 erschließen. Nach Ulrich Großmanns Vorwort darf der Band "als bedeutsamer Gewinn für die lokale Kunstgeschichte betrachtet werden" (7). Mir selbst erscheint der Erkenntnisgewinn weit höher.

Anmerkungen:

[1] Abgedruckt etwa in Wolfgang Hildesheimer: Warum weinte Mozart? Reden aus fünfundzwanzig Jahren (= Suhrkamp Taschenbuch; Bd. 2634), Frankfurt am Main 1996, S. 27-45.

[2] Karin Hellwig: Künstlerbiographie und Historiographie. In: Kunstchronik Bd. 56, 2003, 122-132 sowie das von Hellwig nicht erwähnte Buch von Catherine M. Soussloff: The absolute artist. The historiography of a concept, Minneapolis: University of Minnesota Press 1997.

[3] Georg Satzinger: Albrecht Dürer. Die Bedeutung von Ruhmgedanke und Gattungswahl auf dem Weg vom "Handwerker" zum Künstler. In: Walter Haug / Burghart Wachinger (Hg.): Autorentypen (= Fortuna Vitrea; Bd. 6), Tübingen 1991, 104-129.

Alexander Markschies