Rezension über:

Robert N. Keane: Dante Gabriel Rossetti. The Poet as Craftsman (= Studies in Nineteenth-Century British Literature; Vol. 17), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, X + 219 S., ISBN 978-0-8204-5114-5, EUR 63,00
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Rezension von:
Marion Korzilius
Köln
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Marion Korzilius: Rezension von: Robert N. Keane: Dante Gabriel Rossetti. The Poet as Craftsman, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 12 [15.12.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/12/3183.html


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Robert N. Keane: Dante Gabriel Rossetti

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Dante Gabriel Rossettis überschaubarem literarischen Œuvre steht eine riesige Hinterlassenschaft in Form von Briefen, Notizbüchern, Manuskripten und mehrfach korrigierten Probeabzügen seiner Texte gegenüber. Die Aussagekraft dieser Schriftstücke bietet gleichermaßen Möglichkeiten zur literaturwissenschaftlichen wie kunsthistorischen Annäherung an das Werk des Präraffaeliten. Robert N. Keane untersucht den handwerklichen Schaffensprozess Rossettis anhand der Entwicklung einzelner Gedichte, von frühen Entwürfen über zahlreiche Variationen bis hin zur endgültigen Fassung. Von entscheidender Bedeutung sind dabei die Korrekturfahnen der 1870 erschienenen "Poems" in der Troxell Collection in Princeton, im Fitzwilliam Museum in Cambridge und in der Ashley Collection der British Library (4). [1]

Das erste Kapitel, "The Making of a Poet", beginnt mit einem autobiografischen Zitat zu Rossettis Kindheit, das mit den Worten endet "[...] my hope, even then, was to be a painter." (7). Erstaunlich, dass Keane von der Deutlichkeit der Aussage unbeeindruckt bleibt und stattdessen aus den begleitenden Zeilen Rossettis Entwicklung zum Dichter herausliest. Im Folgenden beschreibt er die Kindheit der Rossetti Geschwister in einem intellektuellen hortus conclusus. Mit Christina und William Michael veranstaltet Rossetti Wettbewerbe im Sonettschreiben: Ein Mitspieler gibt vierzehn Wörter vor, aus denen der andere in weniger als zehn Minuten ein Sonett dichten muss. Rossetti wird diesen Sonetten später ihre zwangsläufige Banalität nehmen und sie mehrfach korrigieren. 1849 entstehen Rossettis Reisegedichte, seine frühen Ölgemälde werden von Sonetten begleitet, 1850 veröffentlicht er in der präraffaelitischen Zeitschrift The Germ "The Blessed Damozel" und "My Sister's Sleep". Rossettis Kreativität eröffnet ihm zwei Betätigungsfelder: Er ist gleichzeitig "poetic painter" und "painterly poet" (18). [2]

Seine frühen Dichtungen fasst Rossetti unter dem Titel "Songs of the Art Catholic" zusammen. Keane erläutert im zweiten Kapitel die Hintergründe zu dieser Formulierung, und Rossettis distanzierten Umgang mit religiösen Symbolen und Ideen, die er im Zuge seiner Korrekturen zu ersetzen sucht. Einzelne Entwicklungsstufen des Gedichts "The Blessed Damozel" beschreibt Keane detailliert und verdeutlich so Rossettis Vorgehensweise. Die Revisionen teilt er in zwei Kategorien: eine deskriptive und eine psychologische. Die erste Form der Korrektur trägt zur Verdeutlichung der Bildmetaphorik bei, die zweite ermöglicht eine Entwicklung der Charaktere. Gemeinsam bewirken sie eine umfassende Säkularisierung des Gedichts. Am Beispiel der Bearbeitungen von "The Portrait" verfolgt Keane, wie zwischen 1847 und 1869 das Gedicht mit einer melancholischen Symbolsprache aufgeladen wird und förmlich neu entsteht. Im Anschluss werden in ermüdender Ausführlichkeit drei Manuskripte von "Jenny" behandelt. Im Zuge dieser Betrachtungen erwähnt Keane flüchtig die malerische Umsetzung des Motivs der Prostituierten bei Millais und Holman Hunt (34). [3]

In seiner Einführung zu Rossettis Balladen der Fünfzigerjahre, "Sister Helen", "The Staff and Scrip" und "Stratton Water", schildert Keane den nachhaltigen Einfluss der gothic novels auf den jungen Rossetti und seine anhaltende Begeisterung für das Mittelalter. Die Untersuchungen gliedert er jeweils in Quellenanalyse, kurze Inhaltsangabe und detaillierte Vergleiche einzelner Zeilen. Wieder einmal zeigt sich, dass Korrekturen bei Rossetti vorwiegend dem Zweck der Verdeutlichung und Verdichtung dienen, sowohl im Bereich der Symbolsprache, als auch im Hinblick auf den Handlungsverlauf. Am Beispiel von "The Staff and Scrip" wird deutlich, dass sich Rossettis Wortwahl von einer anfänglich immanenten Religiosität immer stärker in den Bereich der sinnlichen Liebe verlagert (59-61).

Die 1869 entstandenen Gedichte "Troy Town" und "Eden Bower" behandeln das Motiv der femme fatale. In einer einleitenden Passage gelingt es Keane, entsprechende Bezüge zu Rossettis Malerei herzustellen. Das 1864 entstandene Gemälde Venus Verticordia verweist in der Symbolik des Apfels auf beide Gedichte: Der Apfel ist zugleich die Trophäe der Venus und die Frucht, mit der Lilith Eva in Versuchung führt (78-79). In der nachfolgenden Analyse der Gedichte spielt diese Erkenntnis bedauerlicherweise keine Rolle mehr. Die Besprechung von "Troy Town" fällt ohnehin recht knapp aus, das Schwestergedicht "Eden Bower" hingegen wird vorzüglich durchleuchtet: Keane vermittelt nachvollziehbar die Komplexität inhaltlicher Revisionen, vor allem des in der Figur der Lilith enthaltenen narrativen Potenzials. Die Interpretation bleibt allerdings auf die Gedichtebene beschränkt, eine Verbindung zu Rossettis Bildern wird nicht mehr hergestellt.

1862 legt Rossetti seiner verstorbenen Frau Elizabeth Siddal den Großteil seiner Manuskripte mit ins Grab. In der Vorbereitung des Gedichtbandes "Poems" erkennt Rossetti 1869, dass er zu wenig Material hat, lässt in einer Nacht und Nebel Aktion den Sarg öffnen und entnimmt seine alten Gedichte, darunter "A Last Confession", "Jenny", "The Portrait"' und "Dante at Verona". Dass es sich hierbei nicht zwingend um die Urfassungen handelt, glaubt Keane aus einem Brief an Rossettis Dichterfreund Swinburne herauszulesen (105). Nicht nur die Gedichte selbst werden unablässig modifiziert, auch ihre Reihenfolge im geplanten Sammelband ändert sich laufend. Rossetti lässt zudem etliche Male Buchstabengröße, Überschriften, Seitenzahlen und Titelseite korrigieren. Aus Angst vor negativer Presse organisiert Rossetti bereits vor der Veröffentlichung 1870 eine Riege von Freunden, die seine "Poems" rezensieren.

Die Entstehung des 1881 vollendeten "House of Life" ist Thema des sechsten Kapitels. Keane unterbricht die Chronologie seiner Untersuchung, um in einem Rückblick die Ursprünge dieser Serie und den Einfluss einzelner Personen und veränderter Lebensumstände auf Rossettis Werk zu erläutern. Die Sammlung von einhundertzwei neuen und alten Sonetten teilt sich in drei Kategorien: Sonette der erfüllten Liebe, Sonette der enttäuschten Liebe und Sonette der Rubrik "Change and Fate". Rossettis Korrespondenz mit dem irischen Dichter William Allingham dokumentiert den Entstehungsprozess früher Gedichte, deren symbolischer Gehalt im Laufe der Jahre von Rossetti erweitert und vertieft wird. Der Begegnung mit Morris und Burne-Jones im Jahr 1856 schreibt Keane den Abbruch der literarischen Tätigkeit Rossettis zu. 1867/68 machen Augenprobleme ihm die Malerei zur Qual, sodass er sich erneut auf seine Karriere als Schriftsteller konzentriert. Die Gefühle für Jane Morris inspirieren ihn zudem zu neuen Gedichten. Anhand der Sonette von 1880 kommt Keane zu dem Schluss, dass die Beziehung der beiden nicht mehr von der verzehrenden Leidenschaft der Anfangszeit, sondern von einer tiefen Verbundenheit auf platonischer Ebene geprägt ist: die "True Woman" - Folge widmet Rossetti der inneren Schönheit Jane Morris' (146).

Mit den Gedichten der Siebzigerjahre kehrt Keane zu der chronologischen Anordnung seiner Kapitel zurück. Der Entstehungsprozess von "The Cloud Confines" spiegelt Rossettis anhaltendes Unbehagen im Umgang mit Religion. Die schier endlosen Korrekturversuche innerhalb der beiden letzten Zeilen, die zu seinem Missfallen ein persönliches Vertrauen auf die Existenz Gottes anzudeuten scheinen, bleiben ergebnislos (157). Die lange Ballade "Rose Mary" entsteht zunächst in einer Prosaversion. Der eigentliche Handlungsverlauf wird durch die Umwandlung in Gedichtform nicht berührt, der Stimmungsgehalt hingegen vergrößert sich eindrucksvoll: Das Zusatzmaterial einzelner Strophen bewirkt eine deutliche Intensivierung zentraler Motive und bietet darüber hinaus die Möglichkeit zur abwechslungsreichen Gestaltung und Vertiefung der Symbolsprache, was Keane ausführlich dokumentiert. [4]

1880 plant Rossetti eine neue Ausgabe seiner Gedichte und bemüht sich um die Fertigstellung der Ballade "The White Ship", die durch massive Korrekturvorschläge von William Bell Scott und Ford Madox Brown vorangetrieben wird. Das so genannte "Duke Manuscript" dokumentiert Rossettis Vorgehensweise am deutlichsten: Die gefalteten Blätter zeigen rechts den Entwurf, auf den gegenüberliegenden Seiten sind Anmerkungen und Korrekturen eingefügt (172). Keane beschließt das letzte Kapitel mit der These "Painting was a means to a living for Rossetti" (202) und behauptet, dass nur seine Gedichte ihm wirklich etwas bedeutet haben.

Keane hat mit äußerster Akribie eine Fleißarbeit angefertigt, die dem Leser einiges an Konzentration abverlangt. Stellenweise hat das Buch ansprechende Passagen, meist dann, wenn Keane die formale Oberfläche der Gedichte durchbricht und die Korrekturen im Kontext als Sinnänderung wahrnimmt. Die Hoffnung, mit seiner Untersuchung ein "portrait [!] of a poet seen through the formation and shaping of his work" (3) zu Stande zu bringen, kann sich nicht erfüllen: Bereits die Absurdität der Formulierung - Zuhilfenahme des Vokabulars der bildenden Kunst, aber gleichzeitige Negierung Rossettis als Maler - zeigt das Unvermögen des Autors, Rossetti seine Berechtigung als Doppelbegabung einzuräumen, was dem Buch an vielen Stellen schadet. Die Interpretation einzelner Gedichte mag einer ausschließlich textbezogenen literaturwissenschaftlichen Betrachtungsweise genügen, kunsthistorische Einblicke in das Werk Rossettis bietet dieses Buch nicht.

Anmerkungen:

[1] In der sechsten Zeile der tabellarischen Darstellung werden die Probeabzüge für die erste Auflage fälschlicherweise auf 1850 datiert. Es muss 1870 lauten.

[2] Die Begriffe "poetic painter" und "painterly poet" verwendet Keane, ohne

sie zu kommentieren. Erläuterungen zur Ut Pictura Poesis-Thematik und der Sister Arts-Beziehung von Malerei und Literatur wären an diesem Punkt der Untersuchung wünschenswert gewesen.

[3] Das Motiv der gesellschaftlich geächteten, "gefallenen" Frau, Gegenbild zum viktorianischen Ideal der Ehefrau und Mutter, taucht wiederholt in der frühen präraffaelitischen Malerei auf. Bekanntestes Beispiel ist Holman Hunts The Awakening Conscience von 1853. Im selben Jahr beginnt Rossetti mit dem Gemälde Found die Darstellung einer jungen Prostituierten in einer schicksalhaften, sie zutiefst beschämenden Begegnung mit ihrer ersten Liebe. Dass Keane die enge Verbindung zwischen 'Jenny' und den unterschiedlichen Versionen des letztlich unvollendeten Found völlig ignoriert, erscheint mir grotesk.

[4] Diesem Kapitel fehlen entscheidende Informationen: Robert Buchanan veröffentlicht im Oktober 1871 unter dem Pseudonym "Thomas Maitland" das Pamphlet "The Fleshly School of Poetry: Mr. D. G. Rossetti" im Contemporary Review. Darin bezichtigt er Rossetti einer verabscheuungswürdigen Zurschaustellung der eigenen Schamlosigkeit. Obwohl Keane mehrfach (140-170) auf Rossettis literarische Reaktionen in den Gedichten hinweist: seine offenkundigste Reaktion, die Verteidigungsschrift "The Stealthy School of Criticism", im Dezember 1871 erschienen, taucht lediglich in der Formulierung "reply to Buchanan" (170) auf.

Marion Korzilius