Rezension über:

Johannes Kistenich: Bettelmönche im öffentlichen Schulwesen. Ein Handbuch für die Erzdiözese Köln 1600 bis 1850 (= Stadt und Gesellschaft; Bd. 1), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2001, 2 Bde, XX + 1718 S., 1 Karte, ISBN 978-3-412-13001-5, EUR 96,00
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Rezension von:
Michael Müller
Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Michael Müller: Rezension von: Johannes Kistenich: Bettelmönche im öffentlichen Schulwesen. Ein Handbuch für die Erzdiözese Köln 1600 bis 1850, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2001, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 2 [15.02.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/02/2872.html


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Johannes Kistenich: Bettelmönche im öffentlichen Schulwesen

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Die vorliegende Monografie - ein umfängliches Handbuch mit über 1700 Seiten in zwei Teilbänden - untersucht Art und Umfang der "öffentlichen" Schultätigkeit von Mendikanten in der Erzdiözese Köln vom 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert. Das unter Heranziehung einer denkbar breiten Quellenbasis solide erarbeitete Werk gliedert sich in zwei Teile: erstens eine ausführliche Einführung in die Schulgeschichte der Bettelorden (1-275) sowie zweitens ein Katalogteil (277-1510), der immerhin 216 Orte auf 1233 Seiten umfasst und den Hauptteil des Handbuchs bildet.

Die Struktur der Dokumentation überzeugt: Fortlaufend alphabetisch gegliedert nach Ort beziehungsweise Ordensniederlassung, werden Geschichte und Art der Schule beziehungsweise Lehrtätigkeit sowie die Schulgebäude, die Lehrer- und Schülerschaft und die Unterrichtsangebote dokumentiert. Dieser Aufbau ermöglicht insbesondere Lokal- und Regionalhistorikern, schnell auf die zu einem bestimmten Ort verfügbaren Informationen zuzugreifen.

Eine Einordnung dieser Daten in übergreifende Zusammenhänge bietet die Einführung, deren Gliederung sich klar und durchdacht präsentiert. Ausgehend vom Aufbau des Schulwesens in der Frühneuzeit wird der in den Quellen durchaus mehrdeutige Begriff der "öffentlichen" Bildung erläutert. Stets sind dabei die verschiedenen Formen schulischen Engagements - "reine" Ordensschulen oder "öffentliche" Schulen mit Ordenslehrern sowie Lehrtätigkeiten am Ort des Klosters oder außerhalb - zu unterscheiden. Bis circa 1600 haben die Orden die Öffnung ihrer Anstalten für Schüler und Studenten aus dem Laienstand skeptisch betrachtet, restriktiv gehandhabt oder sogar weitgehend untersagt. Erst im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts öffneten sie ihre Kurse für breitere Kreise: der Beginn eines "öffentlichen" Schulwesens im vormodernen Sinne. Gleichwohl blieben mancherorts Reserven bis ins 18. Jahrhundert spürbar. Dessen ungeachtet hatten die Bettelorden bis zur Säkularisation 1803 einen bedeutenden Stellenwert inne. Sogar danach noch, bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, sind Angehörige dieser Gemeinschaften im Schuldienst nachweisbar, wenngleich mit rasch abnehmender Tendenz.

Als eines der wichtigsten Ergebnisse der Studie ist festzuhalten, dass sie die bisherige Forschungsmeinung einer generellen Dominanz der Jesuiten im höheren Bildungswesen der Frühneuzeit zumindest für den Untersuchungsbereich revidiert. Nicht diese dominierten in den Bildungsanstalten des Kölner Sprengels, sondern die Bettelorden. Dies unterscheidet den Nordwesten des Alten Reiches als "Kernraum des Verbreitungsgebiets der Mendikantenschulen" (3) deutlich von dem süd- und südwestdeutschen Raum sowie den meisten übrigen katholischen Teilen Europas (besonders Frankreich, Spanien, Portugal und Italien), wo eindeutig die Jesuiten dominierten. Im Gegensatz zu dem schon durch Anton Schindling und Rainer A. Müller gut erforschten Süden des Reiches gab es bisher für den Niederrhein keine vergleichbar umfassende Studie, die solche Feststellungen erlaubt hätte. Woher rührt dieser in der katholischen Bildungslandschaft des Barockzeitalters bisher scheinbar so singuläre Befund einer "umgekehrten" Dominanz der Mendikanten gegenüber den Jesuiten im öffentlichen Schulwesen?

Zum einen umfasste das Kölner Erzbistum Kernräume mendikantischer Verbreitung: Ausgehend von den habsburgischen Niederlanden entstanden Gymnasien der Augustiner-Eremiten im linksrheinischen Gebiet, während die sächsisch-thüringischen Franziskaner-Rekollekten insbesondere im kurkölnischen Herzogtum Westfalen wirkten. Die Minoriten dagegen fanden ihre Hauptverbreitung im Rheinland. Dies führte zu einer "trizonalen" Struktur des kölnischen Mendikantenschulwesens: Augustiner-Eremiten im belgischen, Minoriten im rheinischen und Franziskaner-Rekollekten im westfälisch-hessischen Raum. Des Weiteren deckten besonders die Augustiner-Eremiten, Minoriten und Franziskaner-Rekollekten mit ihren Schulen das gesamte Spektrum des öffentlichen Schulwesens ab, wohingegen die Jesuiten sich zumeist auf Kollegien beschränkten und von Elementarschulen Abstand nahmen. Daher bildeten die Bettelorden mit ihrem breiteren Schulangebot die attraktivere Alternative.

Ein weiterer wesentlicher Grund für die Bevorzugung der Mendikanten dürfte finanzieller Natur sein, denn sie finanzierten sich durch Betteln und Almosen und verursachten den städtischen Schulträgern deutlich geringere Kosten als die Gesellschaft Jesu, welche die Kollegiengründung vom Vorhandensein ausreichender Stiftungsmittel abhängig machte. Dies konnte die Finanzkraft vieler Kommunen rasch überfordern. Die Bettelorden dagegen waren anspruchsloser und "billiger". Die erheblichen Unterschiede zwischen "jesuitischem" und "mendikantischem" Finanzierungsmodell (126-137) fielen im Bereich des Erzbistums Kölns umso schwerer ins Gewicht, weil sich hier, anders als etwa in Bayern, die Landesherren finanziell viel weniger engagierten. Die Kosten der Schulträgerschaft belasteten die Städte, deren Haushalte durch Kriege und Abgaben ohnehin in Mitleidenschaft gezogen waren. Entsprechend bescheiden fielen daher oft die Schulgebäude und Unterrichtsräume (155-160) aus, deren Bau, Ausstattung und Unterhaltung den Großteil der Kosten ausmachten. Die Finanzbasis der Mendikantenschulen war meist schwach, so dass viele ihren Betrieb wieder einstellen mussten. Oft war die Lehrtätigkeit von Bettelmönchen nur vorübergehend, doch an einigen Orten wie Barmen und Solingen haben sie über einen längeren Zeitraum kontinuierlich gewirkt.

Jesuitenschulen konnten nur dort gedeihen, wo ein katholischer Landesherr (wie zum Beispiel der Kölner Erzbischof im Gebiet des Kurstaates) oder in Kriegszeiten eine katholische Besatzung vorhanden waren. Mendikanten dagegen wurden, wenn auch unter Einschränkungen, in protestantischen Städten wie Duisburg, Dortmund, Hamm und Wesel geduldet, wohl weil ihnen weniger gegenreformatorische Impulse unterstellt wurden als den Jesuiten. Gleichwohl lag der Schwerpunkt auch der Bettelorden in katholischen Territorien, wo ihnen eine wichtige Rolle bei der Konfessionalisierungspolitik zugedacht war (147-154).

Entscheidender Faktor der Schulpolitik war bei ihnen, anders als bei den Jesuiten, die jeweilige Ordensprovinz, nicht der Generalobere, wie Kistenich am Beispiel der Kölnischen Rekollekten und Kapuziner zeigt. Dominikaner und Karmeliter wiesen im Vergleich zu den anderen Orden die wenigsten Schulen im Untersuchungsraum auf. Ihr Anteil am öffentlichen Unterrichtswesen blieb quantitativ ausgesprochen gering.

Wichtigstes Motiv für die Übernahme von Lehrtätigkeiten war für Mendikanten wie für Jesuiten neben der Sorge um das Seelenheil und die christliche Erziehung der Schüler die Rekrutierung von Ordensnachwuchs. Die Schulaufsicht blieb daher anfänglich in Ordenshand und wurde durch die Provinzleitungen wahrgenommen. Erst im 18. Jahrhundert zogen die öffentlichen Hoheitsträger die Aufsicht an sich (161-172). Dieser Wandel ging mit neuen Zielvorstellungen einher: Vermehrt traten in der Aufklärungszeit utilitaristische Argumente wie etwa das "Gemeinwohl" in den Vordergrund (137-140). Schule und Unterricht waren nicht mehr in ausschließlich religiöse Begründungszusammenhänge eingewoben, sondern hatten die junge Generation auf ihr späteres bürgerliches Leben in Beruf und Familie vorzubereiten. Hiermit korrespondiert die Aufwertung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts, wie Kistenich in seiner Analyse der Fächer (227-233) und Schulbücher (233-238) nachweist.

Diesen Zeittendenzen sahen sich sowohl Mendikanten wie Jesuiten gleichermaßen ausgesetzt, wie überhaupt das Schulwesen der verschiedenen Gemeinschaften nicht nur Unterschiede, sondern auch signifikante Parallelen aufweist, wie die Theateraufführungen (241-248), die Prämien für besondere Leistungen (248-250) und die Lehrmethoden (250-253) belegen.

Weitere wichtige Informationen liefern die detaillierten Untersuchungen (173-189) der Ausbildung, Beschäftigung und Finanzierung des Lehrpersonals, des Durchschnittsalters (24-29 Jahre) und der Dauer der Lehrtätigkeit (zumeist 3-5 Jahre) sowie der anschließenden Ordenslaufbahnen, die insbesondere bei Lektoren der Philosophie oft bis in Leitungsfunktionen führten (190-192). Ausgesprochen aufschlussreich sind auch die Daten zur Schülerschaft, zu deren Alter, Dauer des Schulbesuchs, sozialer Schichtung, Konfessionsstruktur und räumlichem Einzugsbereich (199-226). Hier bieten sich Vergleiche nicht nur mit den Jesuitenschulen dieses Raumes, sondern auch mit anderen Regionen an.

Ein umfassender Anhang (1511-1718) sowie eine Karte, die das schulische Wirken der Bettelorden im Erzbistum Köln 1600-1840 grafisch dokumentiert, runden das durchweg positive Gesamtbild ab. Die vorgestellte Arbeit dürfte nicht nur für die Bildungs- und Schul-, sondern auch für die Landesgeschichte wertvolles Material liefern. Es bleibt zu wünschen, dass dieses Beispiel Nachahmer findet und auch andere, bisher weniger gut untersuchte zentraleuropäische Bildungslandschaften ähnlich umfassend erforscht werden mögen.

Michael Müller