Rezension über:

Klemens Skibicki: Industrie im oberschlesischen Fürstentum Pless im 18. und 19. Jahrhundert. Zur ökonomischen Logik des Übergangs vom feudalen Magnatenwirtschaftsbetrieb zum modernen Industrieunternehmen (= Regionale Industrialisierung; Bd. 2), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2002, 341 S., ISBN 978-3-515-08036-1, EUR 62,00
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Rezension von:
Hans-Jakob Tebarth
Stiftung Martin-Opitz-Bibliothek, Herne
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Hans-Jakob Tebarth: Rezension von: Klemens Skibicki: Industrie im oberschlesischen Fürstentum Pless im 18. und 19. Jahrhundert. Zur ökonomischen Logik des Übergangs vom feudalen Magnatenwirtschaftsbetrieb zum modernen Industrieunternehmen, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2002, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 9 [15.09.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/09/3079.html


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Klemens Skibicki: Industrie im oberschlesischen Fürstentum Pless im 18. und 19. Jahrhundert

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Deutsche oder auch preußische Industriegeschichte ist untrennbar mit der oberschlesischen Montanindustrie und der Sonderform überwiegend adliger Träger (Magnaten) dieser Entwicklung verbunden. Nicht zuletzt die immer wieder vorgenommenen komparatistischen Untersuchungen belegen die abweichenden Entwicklungen in Relation zu Westeuropa und ganz besonders zum Ruhrgebiet, das etwas später in den Prozess der Industrialisierung eintrat. Gerade auch die deutsche Forschung hat dem immer wieder Rechnung getragen, wobei - wie Skibicki vermerkt - fehlende oder mangelnde Polnischkenntnisse manchem Autor den Zugang zu wesentlichen Erkenntnissen verwehrten. Hier setzt er mit seiner Studie an, und tatsächlich sind die einschlägigen polnischen Nachkriegsstudien zitiert, wobei auffällt, dass nur wenige Titel den 90er- oder den letzten Jahren entstammen. Der erweckte Anschein, dass bislang in Deutschland die polnische Forschung überhaupt noch nicht berücksichtigt worden sei, ist allerdings nicht haltbar.

Skibickis Industriegeschichte von Pless geht auf eine Dissertation zurück, die unter dem Titel "Magnatenunternehmen in der Industrialisierung Oberschlesiens" am Lehrstuhl von Toni Pierenkemper, der selbst zahlreiche Publikationen zum Thema vorgelegt hat, in Köln angenommen wurde. Der Autor verweist auf die eigenen Forschungen, die er in den oberschlesischen Archiven - unterstützt von Wacław Długoborski, einem der ausgewiesenen polnischen Wirtschaftshistoriker - durchführen konnte. Er gelangte also - und das ist verdienstvoll - wirklich "ad fontes", das heißt bis in die ehemaligen fürstlichen Familienarchive. Im Einzelnen konnte er die Bestände der Archive in Gleiwitz / Gliwice (unter anderem Ballestrem), Kattowitz / Katowice (Schaffgotsch et cetera), Pless / Pszczyna und Breslau / Wrocław (unter anderem zentrale Verwaltungen wie Oberbergamt Breslau) auswerten. Die zitierten und im Anhang charakterisierten Akten / Bestände werden künftige Forschungen erleichtern.

Auf den Abdruck der Ergebnisse zu den "Grundzügen des Steinkohlenbergbaus und der Eisen- und Zinkindustrie in der Region", die Bestandteil der Dissertation waren, wurde - wohl im Hinblick auf den Gesamtumfang - verzichtet, was aus Sicht des Rezensenten zwar verständlich, aber doch bedauerlich ist. Übertrieben wurde der Versuch, Druckseiten zu sparen, jedoch bei den Formaten. Verzeichnisse und Gliederungsebenen in 6-Punkt-Schrift sind für keinen Leser zumutbar. Nicht zu verstehen ist der Verzicht auf ein Register, mit dem die Material- und Detailfülle erst sinnvoll erschlossen werden kann beziehungsweise könnte. Dieser Mangel wird auch durch das sehr detaillierte Inhaltsverzeichnis nicht ausreichend kompensiert. Das Abbildungsverzeichnis erlaubt die Navigation durch circa 40, überwiegend vom Autor selbst entwickelte Statistiken und Schaubilder. Leider ist die Endredaktion offenbar nicht sorgfältig genug erfolgt. Immer wieder wird der Blocksatz von linksbündigen Passagen unterbrochen, die vermutlich bei der Überarbeitung für den Druck eingefügt wurden. Dass Einzelbuchstaben abgetrennt werden, mag zwar der neuen Rechtschreibung entsprechen, wirkt in einem Buch jedoch deplatziert. Befremdlich wirkt in dieser Hinsicht (11; 285), dass der Autor in Einleitung und Schluss absatzweise wortgleiche Passagen anbietet.

Ausgehend von der Darlegung der methodischen Herangehensweise der Studie skizziert der Autor die Charakteristika Oberschlesiens, wobei infrastrukturelle Faktoren und Lagerstätten neben den Besitzverhältnissen (Magnatengüter) in den Vordergrund rücken. Aufschlussreich sind die Passagen, die die Frühphase der Industrialisierung im 18. Jahrhundert behandeln. Im Zentrum der Darstellung wird das industrielle Engagement der Pless'schen Herrscher umfassend und detailreich behandelt. Diese Passagen nehmen auch den größten Raum ein und bieten die meisten quellenbasierten Ausführungen. Die exemplarischen Exkursionen in die Territorien weiterer Magnaten - wie Henckel von Donnersmarck, Hohenlohe, Ballestrem, Tiele-Winckler und Schaffgotsch - verhelfen der Untersuchung zu einem wünschenswert hohen Grad an Aussagekraft. Gleiches kann für die abschließende "Querschnittsbetrachtung" zum Produktionssystem, das auch über die schlesischen Grenzen hinaus die erforderliche Vergleichbarkeit der Ergebnisse und Wertungen erleichtert, festgestellt werden.

Es handelt sich um eine umfassende und stoffreiche Darstellung, die wesentliche und auch neue Beiträge für die Erforschung der oberschlesischen Industriegeschichte leistet. Die Ergebnisse werden gut nachvollziehbar präsentiert und angemessen belegt. Dies gilt besonders für die verwendeten und zitierten Quellen, die heute zwar allgemein zugänglich in polnischen Archiven ruhen, dennoch wenig bis gar nicht genutzt werden. Die Erschließung und Nutzung der Ergebnisse Skibickis werden dem interessierten Leser allerdings nicht leicht gemacht. Nicht folgen kann man der Prämisse des Autors, die bisherigen Erkenntnisse der Forschung würden im Grundsatz widerlegt. Auch wenn zahlreiche neue Aspekte und Argumente eingeführt und belegt werden, so bestätigen diese doch den zumindest in jüngerer Zeit allgemein vertretenen Befund, dass Oberschlesiens Vorreiterrolle innerhalb der deutschen und ostmitteleuropäischen Industrialisierung recht frühzeitig durch die marktferne Lage und weitere infrastrukturelle Hemmnisse egalisiert wurden. Dabei wirkt überraschend, dass der Autor auch zu dem Ergebnis gelangt, "dass sich die Produktionsbedingungen in Oberschlesien in vielerlei Hinsicht günstiger gestalteten als in anderen Montanrevieren" (280), was allenfalls für die Frühphase der Industrialisierung gelten kann. Wertvolle neue Einblicke bietet Skibicki zum Engagement und zur - vielleicht - überraschenden "Fortschrittlichkeit" der agierenden Magnaten, die zeitgemäß und unternehmerisch richtig dachten und handelten.

Hans-Jakob Tebarth