Rezension über:

Max Paul Friedman: Nazis & Good Neighbors. The United States Campaign against the Germans of Latin America in World War II, Cambridge: Cambridge University Press 2003, XII + 359 S., ISBN 978-0-521-82246-6, GBP 25,00
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Rezension von:
Uwe Lübken
Deutsches Historisches Institut, Washington, DC
Empfohlene Zitierweise:
Uwe Lübken: Rezension von: Max Paul Friedman: Nazis & Good Neighbors. The United States Campaign against the Germans of Latin America in World War II, Cambridge: Cambridge University Press 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 2 [15.02.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/02/5233.html


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Max Paul Friedman: Nazis & Good Neighbors

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Während des Zweiten Weltkrieges wurden knapp 400.000 Deutsche in US-amerikanischen Lagern interniert. Neben den Kriegsgefangenen und deutschen Zivilisten aus den USA zählten hierzu auch über 4.000 Deutsche und Deutschstämmige aus Lateinamerika, die während des Krieges und zum Teil sogar noch nach Kriegsende (226) auf Druck der US-Regierung aus den Staaten südlich des Rio Grande deportiert und in die USA gebracht wurden. Deren Schicksal ist bislang - ebenso wie das von über 2.000 Italienern und knapp 300 Japanern -, weitestgehend unerforscht geblieben.

Friedman gliedert sein Buch in acht Hauptkapitel, die vorwiegend einer chronologischen Ordnung wie auch dem "Reiseweg" der Betroffenen folgen. Das erste Kapitel ("Contamination") schildert die Situation der in Lateinamerika ansässigen Deutschen und deren Reaktion auf den Aufstieg des Nationalsozialismus, der auch vor der westlichen Hemisphäre nicht Halt machte. Die Akzeptanz der NS-Ideologie in den deutschen Bevölkerungskreisen Lateinamerikas war nach Friedman "broad, but not deep." (42) Aus US-amerikanischer Perspektive aber bildete die deutsche Bevölkerung in Mittel- und Südamerika einen fruchtbaren Boden für Mobilisierungs- und Gleichschaltungsversuche der Nationalsozialisten und erschien vielen Beobachtern als willfähriges Instrument der deutschen Außenpolitik.

Das mit "Assessment" betitelte zweite Kapitel befasst sich mit den US-amerikanischen Bemühungen, ein Bild von der Situation vor Ort zu gewinnen und die vermeintlichen subversiven Tätigkeiten der Deutschen zu untersuchen. Einer nüchternen Analyse stand allerdings die lange Tradition der paternalistischen US-Politik entgegen, die in Lateinamerika nur schwache und schutzbedürftige Staaten entdecken konnte - eine Tradition, die durch Roosevelts Politik des Guten Nachbarn eher kaschiert als beseitigt wurde. Amateurhafte Geheimdienstarbeit und Schreckensberichte der Sensationspresse schienen die schlimmsten Erwartungen zu bestätigen. Hinter jedem lokalen Aufruhr wurde, wie Friedman schreibt, die planende Hand der Nationalsozialisten gesehen (49f.).

Friedman weist zu Recht darauf hin, dass aus Sicht der USA ökonomische und nicht-ökonomische Aspekte der Bedrohung durch den Nationalsozialismus kaum voneinander zu trennen waren (85f.). Beide wurden als Bestandteil eines Programms zur Welteroberung angesehen. Besonders in Bezug auf Lateinamerika, wo die nationalsozialistische Strategie nach dem Besuch einer deutschen Handelsdelegation 1934 große Erfolge feiern konnte, entwickelten sich schon frühzeitig gravierende Differenzen. Die Bilateralisierung des Außenhandels durch Kompensationsgeschäfte und Verrechnungsabkommen unterminierte das Washingtoner Konzept der unbedingten Meistbegünstigung.

"Blacklisting", Friedmans drittes Kapitel, schildert ebenso wie Kapitel sieben ("Expropriation") die ersten Gegenmaßnahmen der USA auf diese Herausforderung, insbesondere die "Proclaimed List of Certain Blocked Nationals", die im Juli 1941 vom State Department herausgegeben wurde. Auf dieser "Schwarzen Liste" konnte sich jedes Unternehmen und jede Person wieder finden, die in irgendeiner Weise mit dem Deutschen Reich in Kontakt zu stehen schien. Betroffen von den Sanktionen (wie der Aufkündigung von Verträgen oder einem Handelsboykott) waren auch deutsche Einwanderer mit lateinamerikanischer Staatsbürgerschaft. Zielte das Deportationsprogramm zunächst auf Prävention subversiver Maßnahmen, so entwickelte es sich während des Krieges in ein Projekt zur dauerhaften Ausschaltung deutscher ökonomischer Konkurrenz in Lateinamerika (168).

Die "Proclaimed List" war zudem der organisatorische Auftakt der Ausweisungen und Internierungen, weil sie die Identifizierung von Firmen und Individuen erforderte. Wie Friedman deutlich zeigt, hatten jedoch die Rücksichtnahme auf die Interessen lokaler Machthaber, die Inkompetenz der ausführenden Organe sowie der Wille zur prophylaktischen Ausschaltung wirtschaftlicher Nachkriegskonkurrenz zur Folge, dass die Umsetzung des Programms mit dem ursprünglichen Ziel, dem Kampf gegen die nationalsozialistische Unterminierung Lateinamerikas, kaum noch etwas zu tun hatte (Kapitel "Deportation"). Besonders frappierend ist der Umstand, dass mehr als 80 jüdische Flüchtlinge, die zum Teil bereits in Deutschland inhaftiert gewesen waren, unter dem Verdacht, Nationalsozialisten zu sein, ebenfalls in die USA deportiert wurden. Die Klagen der Inhaftierten stießen lediglich beim amerikanischen Justizministerium und einigen Lagerkommandierenden auf Gehör. An der Situation der jüdischen Häftlinge änderte sich aber lange Zeit nichts (Kapitel "Justice").

Die Ausstattung und geografischen Besonderheiten der einzelnen Camps waren zwar sehr unterschiedlich - die Spannbreite reichte vom ehemaligen Staatsgefängnis Stringtown in einem Sumpfgebiet Oklahomas bis hin zum "familienfreundlichen" Crystal City in Texas -, generell war der Alltag der Internierten aber, von einigen Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten und anderen Gefangenen abgesehen, "peaceful, comfortable, and dull" (141, Kapitel "Internment"). Skandalös ist dagegen der Umstand, dass die US-Regierung auf einen Austausch rückkehrwilliger deutscher Internierter gegen KZ-Häftlinge verzichtete, der etlichen Juden in Europa das Leben hätte retten können. Den US-Behörden erschien es zu riskant, die "gefährlichen" Deutschen freizugeben, während gleichzeitig befürchtet wurde, dass man im Gegenzug nicht vom Tod bedrohte Häftlinge, sondern Spione ins eigene Land holen würde (Kapitel "Repatriation").

Problematisch an Friedmans ansonsten exzellenter und überzeugender Darstellung ist allerdings die These, Roosevelts Good Neighbor Policy sei Opfer der Campagne gegen die Deutschen in Lateinamerika geworden (Klappentext), sowie die daraus abgeleitete Forderung, jede Studie, die sich mit Lateinamerika und dem Zweiten Weltkrieg befasse, solle das Deportationsprogramm in den Mittelpunkt stellen (3). Diese These, die im Übrigen aus der differenzierten Argumentation des Buches nicht hervorgeht, ist schon deshalb nicht überzeugend, weil die meisten Deutschen, die in Lateinamerika lebten, überhaupt nicht von den amerikanischen Maßnahmen betroffen waren. Argentinien und Brasilien waren ebenso wenig wie Mexiko bereit, in ihrem Land lebende Personen an die USA auszuweisen (9). Chile deportierte lediglich fünf der 283 von den USA geforderten Personen (164). Zudem ist schwer nachvollziehbar, warum das Programm auch in den Fällen eine Rückkehr zum Interventionismus bedeutet haben soll, in denen die lokalen lateinamerikanischen Machthaber nicht nur freiwillig kooperierten, sondern die Gunst der Stunde für die Durchsetzung eigener Ziele nutzten. Darüber hinaus gab es andere Politikfelder, die nicht weniger Unmut südlich des Rio Grande erregten; genannt seien hier nur der permanente Streit um versprochene, aber ausbleibende Waffenlieferungen aus den USA oder die seit 1943 virulente und später eskalierende Auseinandersetzung zwischen Argentinien und den USA über die Anerkennung des neuen Regimes in Buenos Aires.

Friedmans verdienstvolle und auf breiter Quellenbasis angelegte Studie am Schnittpunkt von Diplomatie- und Sozialgeschichte ist nicht der revisionistische Gegenentwurf zur bisherigen Forschung, als der sie sich zum Teil präsentiert. Sie macht aber ganz deutlich, dass die Good Neighbor Policy Roosevelts nicht erst im Kalten Krieg, sondern schon lange vorher ihre Grenzen erreichte. Ebenso deutlich zeigt der Autor, welche Folgen eine Sicherheitspolitik haben kann, die auf Pauschalvorwürfen gegen ethnische Identitäten beruht und nicht von wirklich verdächtigen Aktivitäten ausgeht (234).

Uwe Lübken