Rezension über:

Michael E. Smith: Europe's Foreign and Security Policy. The Institutionalization of Cooperation (= Themes in European Governance), Cambridge: Cambridge University Press 2003, XV + 291 S., ISBN 978-0-521-53861-9, GBP 50,00
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Rezension von:
Markus Kaim
Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität, Jena
Empfohlene Zitierweise:
Markus Kaim: Rezension von: Michael E. Smith: Europe's Foreign and Security Policy. The Institutionalization of Cooperation, Cambridge: Cambridge University Press 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 2 [15.02.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/02/6507.html


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Michael E. Smith: Europe's Foreign and Security Policy

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Seit dem informellen Gründungstag der Außenpolitik der Europäischen Union - dem 19. November 1970 -, an dem sich in München die Außenminister der sechs EG-Mitgliedsstaaten zu ihrem ersten Treffen im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) trafen, ist es bis zum heutigen Entwicklungsstand der EU-Außenbeziehungen ein langer Weg gewesen.

Denn zu Beginn waren die Mechanismen dieser spezifischen Kooperation sehr unklar: Sie basierten nicht auf einer vertraglichen Grundlage und besaßen keinen organisatorischen Unterbau; die EPZ verfügte lediglich über vage Regeln und kaum Instrumente, die für kollektives Handeln im internationalen System nötig gewesen wären beziehungsweise sind. Lediglich zwei Punkte gab es, auf die sich die Außenminister verständigen konnten: erstens die EPZ streng getrennt von den Verfahren anderer und umstrittener Politikbereiche der EG zu halten, zweitens die Sicherheits- und Verteidigungspolitik a priori aus dieser Kooperation auszuschließen. Hinzu traten als beschränkende Faktoren die unterschiedlichen außenpolitischen Kulturen und Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten sowie die Ablehnung auf die die EPZ beim wichtigsten Verbündeten der Europäer, nämlich den Vereinigten Staaten, stieß. So wäre eigentlich zu erwarten gewesen, dass dieses Forum niemals über den Status eines losen, diplomatischen Austauschgremiums hinausgekommen wäre und die Koordination nationaler Interessen und kollektiven Handelns in der internationalen Politik hätte scheitern müssen.

Doch weit gefehlt: Die außenpolitische Kooperation hat sich jedoch anders entwickelt und sowohl Wissenschaftler und wie Akteure überrascht. Mit dem Maastrichter Vertrag ist die EPZ als zweite Säule der EU in die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) überführt worden und hat einen weit gefächerten organisatorischen Unterbau erhalten. Zudem ist mit Maastricht beziehungsweise den folgenden Verträgen von Amsterdam und Nizza ein dichtes Netz von Informations-, Kooperations- und Abstimmungsmechanismen geschaffen worden, in das die Mitgliedsstaaten eingebunden sind. Zudem hat der Maastrichter Vertrag die Möglichkeit eröffnet, dass die GASP sich auch mit sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragestellungen befasst, was seit 1998 die Grundlage für den sukzessiven Ausbau der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) ist.

Die Gründe für diesen nicht zu erwartenden Weg der Institutionalisierung der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union hat Michael E. Smith, Professor für Politikwissenschaft an der Georgia State University in Atlanta, untersucht. Ausgehend von der empirischen Beobachtung der zunehmenden Kooperation und der gleichzeitig ausgeweiteten Institutionalisierung in diesem Politikfeld geht seine Ausgangsthese von einem Zusammenhang zwischen diesen beiden Variablen aus: Nur die zunehmende Institutionalisierung, das heißt die von den Mitgliedsstaaten intendierte Schaffung eines Regelwerkes zur Kooperation beziehungsweise dessen immer weitere Verdichtung habe die Möglichkeit geboten, die Zusammenarbeit in außenpolitischen Fragen zu vertiefen. Sie habe es erleichtert, gemeinsame Positionen zu finden und im internationalen System trotz der Tatsache gemeinsam aufzutreten, dass die GASP in der EU nach wie vor intergouvernemental organisiert ist und damit die Mitgliedsstaaten keinen rechtlichen Vorgaben supranationaler Organe unterliegen.

Mit dieser Untersuchung knüpft Smith an mehrere Forschungsstränge zu den EU-Außenbeziehungen an. So diskutieren zahlreiche Arbeiten die Wirkung der EU auf das sie umgebende internationale System und damit die Effektivität ihres außenpolitischen Handelns, bevorzugt vor allem in konfliktiven Zusammenhängen. Smith leugnet nicht, dass Effektivität als Gradmesser für Kooperation genutzt werden könne, verweist aber auf die falsche Blickrichtung solcher Analysen: "EPC was not created to help Europe solve international problems; it was created to prevent international problems from disrupting the Community and, to a lesser extent, to make sure a common European voice was heard in international affairs." (4)

Zugleich knüpft der Autor an Arbeiten an, die den Zusammenhang zwischen den vergemeinschafteten EU-Außenbeziehungen im Bereich der Außenwirtschaftsbeziehungen und der intergouvernementalen GASP untersucht haben. In der immer weiter gestiegenen informellen Verschränkung dieser formell getrennten Politikbereiche sieht Smith eine treibende Kraft der Institutionalisierung: Durch die Präsenz der Union als Handelspartner in der internationalen Politik sei erstens die Notwendigkeit gewachsen, auch gemeinsame außenpolitische Ziele zu verfolgen, zugleich seien zweitens Institutionen und Regeln geschaffen worden, die zunehmend auch Wirkung auf solche Politikbereiche erzielt hätten, die ihrer Verfügungsgewalt eigentlich entzogen sind.

Drittens betont Smith die Bedeutung des politischen Entscheidungsprozesses im Bereich der GASP für die gewachsene Institutionalisierung, seiner Mechanismen zur Positionsfindung und zum gemeinsamen Handeln der EU. Denn ohne die Untersuchung der Prozeduren dieses Prozesses seien seine Ergebnisse nicht verständlich. Dies gälte umso mehr bei einem Politikfeld, das eben nicht dem Primat der supranationalen Organe der EU unterworfen sei, sondern in dem die Mitgliedsstaaten bis heute um die Bewahrung ihrer außenpolitischen Souveränität kämpfen und dementsprechend auf die Kooperationsregeln in ihrem Sinne Einfluss zu nehmen suchten.

Schließlich unterscheidet er sich von solchen Arbeiten, die die Wirkung der nationalen Politiken auf die GASP analysieren und dabei entweder auf die Positionen der einzelnen Regierungen oder aber auf den Einfluss gesellschaftlicher Akteure abheben. Während diese Untersuchungen nahezu durchgängig eine Perspektive "von unten nach oben" beziehen, kehrt Smith den Blickwinkel um und fragt nach der Wirkung zeitlich unbefristeter, institutionalisierter Kooperationen im Rahmen der GASP auf die nationale Präferenzbildung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Anders formuliert: Ist es nachweisbar, dass sich die außenpolitischen Ziele einzelner Mitgliedsstaaten dadurch verändert haben, dass sie an dieser Form der Kooperation partizipiert haben? Und ist das ein möglicher Grund dafür, dass sie Aktionen der GASP mittragen, die sie ohne die Existenz dieses Kooperationsforums nicht einmal in Erwägung gezogen hätten? Smith bejaht diese Hypothesen und spitzt das Argument mit Blick auf die Wirkung von Kooperation noch zu: "Finally, if common actions reflect common interests, and common interests reflect a common identity, then loyalties or even a distinct European identity can be forged as a result of increasing economic and political cooperation." (8)

Mit diesem Zugang gehört die Arbeit zu einem jüngeren Strang der Integrationsforschung, nämlich der so genannten "Europäisierungsschule", deren Gemeinsamkeit darin besteht, die Wirkung intergouvernementaler Kooperation auf die Präferenzbildungsprozesse in den Mitgliedsstaaten zu untersuchen. Diese Arbeiten fokussieren jedoch vorwiegend auf politische Strukturen und Entscheidungsprozesse und erklären letztlich nur vage, ob sich die außenpolitischen Präferenzen und damit die Inhalte der Außenpolitik einzelner Mitgliederstaaten dauerhaft verändern. Warum EU-Mitgliedsstaaten zu einem spezifischen Zeitpunkt der Kooperation in einem Politikfeld zustimmen oder sich dieser entziehen, kann Smith nur sehr unbestimmt erfassen. Indem der Autor in der "Europäisierung" einen zwangsläufigen, stetige Anpassung auslösenden Prozess von oben nach unten sieht, vernachlässigt er in weiten Teilen die gegenläufigen Tendenzen: Dazu gehören die Widerstände gegen diese Politik innerhalb der Gesellschaften der Mitgliedsstaaten und der individuelle Willen der nationalen politischen Entscheidungsträger, denen in den intergouvernementalen Politikbereichen solch große Handlungsspielräume verblieben sind, dass sie sich auch gegen eine gemeinsame Sozialisation von Europa-Beamten durchzusetzen vermögen.

Markus Kaim