Rezension über:

Stephan Wagner: Der politische Kodex. Die Kodifikationsarbeiten auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in Österreich 1780-1818 (= Schriften zur Verfassungsgeschichte; Bd. 70), Berlin: Duncker & Humblot 2004, 555 S., ISBN 978-3-428-11363-7, EUR 98,00
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Rezension von:
Josef Pauser
Wien
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Josef Pauser: Rezension von: Stephan Wagner: Der politische Kodex. Die Kodifikationsarbeiten auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in Österreich 1780-1818, Berlin: Duncker & Humblot 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 3 [15.03.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/03/7153.html


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Stephan Wagner: Der politische Kodex

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Die vorliegende Arbeit basiert auf einer an der Universität Regensburg 2002/2003 approbierten rechtshistorischen Dissertation, die auch mit dem Kulturpreis Ostbayern der E.ON Bayern AG ausgezeichnet wurde. Für die Druckfassung wurde noch bis Herbst 2003 erschienene Literatur eingearbeitet. Stephan Wagner behandelt in diesem Buch die Gesetzgebungsgeschichte des wohl einzigartigen Projekts einer österreichischen Verwaltungsrechtskodifikation um 1800. Dieser "Politische Kodex" sollte ein weiteres Element einer Reihe von "allgemeinen" Gesetzgebungsakten in der Habsburgermonarchie werden.

Mit dem 18. Jahrhundert und insbesondere ab der Herrschaft Maria Theresias nahm die Tendenz zur Rechtsvereinheitlichung durch die Erlassung von länderübergreifenden Ordnungen und schließlich Kodifikationen ganzer Rechtsgebiete zu. Geistesgeschichtlicher Hintergrund dieser Bemühungen war die Aufklärung, die das "allgemeine", säkulare Vernunftrecht propagierte. Man glaubte, aus naturrechtlichen und damit dauerhaft gültigen Rechtsprinzipien das positive Recht ableiten zu können, welches dann als "allgemeines" Recht allerorts eingeführt werden konnte. Somit war allgemeines Recht auch überörtliches Recht und prädestiniert für rechtsvereinheitlichende Vorstellungen. Gerade für die habsburgischen Herrscher war hier ein Ansatzpunkt für Staats- und Rechtsreformen gegeben, welche die bisherige Monarchische Union von Ständestaaten zu einem (monarchischen) Staat wandelten, der schließlich 1804 mit "Kaisertum Österreich" auch einen verbindenden Namen erhalten sollte. Folgende Rechtsgebiete wurden kodifiziert: das Strafrecht (Constitutio Criminalis Theresiana 1768, Allgemeines Gesetzbuch über Verbrechen 1787), das Strafprozessrecht (Allgemeine Kriminalgerichtsordnung 1788), das Zivilrecht (Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch 1786 = Teil-ABGB; Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch 1811) und das Zivilprozessrecht (Allgemeine Gerichtsordnung 1781). Was fehlte, war das öffentliche Recht beziehungsweise das weite Feld des Verwaltungsrechts, der früher so genannten "Policey", welches aufgrund der Fülle an territorial unterschiedlichen Regelungen sowie der raschen Veränderlichkeit einer Systematisierung schwer zugänglich war.

Das Projekt des Politischen Kodex ist in der historischen und rechtshistorischen Literatur zwar bekannt, wurde aber noch niemals monografisch und mit dieser Quellenfülle behandelt. Es stand immer im Schatten der parallel ablaufenden Kodifikationsarbeiten zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, welches - im Gegensatz zum Politischen Kodex - auch vollendet wurde und seit 1811 die österreichische Privatrechtswissenschaft geprägt hat. Wagner stand bei der Durchführung seiner Arbeit vor einer sehr schwierigen Quellenlage. Die zentralen Aktenbestände zu seinem Thema waren entweder durch Kriegseinwirkungen vernichtet wie die Staatsratsakten im Zweiten Weltkrieg (20) oder zum Teil beim Justizpalastbrand stark beschädigt worden wie die Akten des Allgemeinen Verwaltungsarchivs (20 f.). Zusätzliche Verwirrung brachten Restaurierungsarbeiten an thematisch relevanten Brandakten, bei denen diese anscheinend durcheinander gebracht wurden. Fehlende oder zerstörte Akten aus den genannten Beständen konnten aber durch Eintragungen in den (noch vorhandenen) Indizes zu den Staatsratsakten sowie den Staatsratsprotokollen erschlossen werden. Es ist daher Wagner hoch anzurechnen, dass er seiner Darstellung einen ausgiebigen Quellenanhang (235-520) beigefügt hat. Nicht nur wurden darin die relevantesten Aktenstücke ediert, sondern darüber hinaus auch penibel versucht, die Brandakten zu rekonstruieren, womit der zukünftigen Forschung ein großer Dienst erwiesen wurde.

Die Darstellung selbst geht chronologisch vor und beschreibt in extenso den genauen Fortgang, die vielen Brüche und Neuanfänge im Gesetzgebungsprojekt. Der erste Teil (24-30) bereitet das Feld, diskutiert die Anfänge unter Maria Theresia und geht auf den großen Antreiber dieses Projekts, den Kameralisten und Aufklärer Joseph von Sonnenfels, näher ein. Die Literaturmeinungen, dass es bereits 1753 - korrespondierend zum Beginn der Arbeiten am ABGB - theoretisch denkbar gewesen wäre, an eine Vereinheitlichung des öffentlichen Rechts zu denken, überstrapazieren meines Erachtens nach die vorhandenen Quellen (26). Auch die in diese Richtung gehende Interpretation der 1768 von Maria Theresia im Staatsrat angeregten Diskussion um die Sammlung von kurzen Auszügen aller geltenden Verordnungen steht nicht auf quellenmäßig gesichertem Boden (27). Allerdings kann man just für diesen Zeitraum eine Intensivierung der (privaten / halboffiziellen) Sammlung von Gesetzen nachweisen, einerseits wurde wohl schon zu diesem Zeitpunkt an den zwei letzten Bänden des Codex Austriacus (erschienen dann 1777) gearbeitet, andererseits gab es da und dort bereits die Textsorte der "Chronologischen Extrakte" im Verwaltungsbereich, die Auszüge der Gesetzgebung sammelte, um den Beamten ein Hilfsmittel an die Hand zu geben, damit sich diese einen Überblick über die Normen verschaffen konnten. [1]

Wann nun der tatsächliche Beginn des Projekts eines Politischen Kodex zu veranschlagen ist, erfährt man im zweiten Teil der Arbeit, der sich den ersten Kommissionen unter Joseph II. widmet (31-41). Nach einer Äußerung von Sonnenfels war er schon 1778 als Hofrat an die Hofkanzlei verordnet worden, um das Projekt voranzutreiben. Sichere Belege gibt es aber erst ab 1781 (31 ff.). Zu diesem Zeitpunkt war allerdings das Konzept einer Kodifikation umstritten; man dachte vorerst an eine Kompilation der böhmischen und dann der österreichischen Verordnungen bis Ende 1782. Joseph II. gab den Weg vor, "die bestehenden Verordnungen in eine systematische Ordnung zu bringen" (35). Interessant ist dabei auch die aufgebrachte Idee, daneben einen "gemeinnützigen" Kalender zu publizieren (33), in dem die wichtigsten Gesetze und Verordnungen Jahr für Jahr abgedruckt werden sollten. Dieser Kalenderplan wurde aber anscheinend nicht weiter verfolgt, genauso wenig wie die Kompilation. Sonnenfels, der massiv in der Kritik des Staatsrates stand, hatte nämlich eine Bearbeitungszeit von viereinhalb Jahren veranschlagt, sodass man zuerst bloß an die Erstellung eines Registers dachte, schließlich aber eine ("geheime") Sammlung der Gesetze veranstaltete, die den Zeitraum von 1780 bis 1784 umfasste und nur bei wenigen Behörden für den internen Gebrauch vorhanden war.

Der dritte Teil beschreibt die Wiederaufnahme der Arbeiten unter Leopold II. (42-87), die Sonnenfels, der unter dem neuen Herrscher seine Chance witterte, stark betrieb. Leopold II. hatte ja zuvor in der Toskana reformorientiert gewirkt und sogar einen Verfassungsentwurf ausarbeiten lassen. Sonnenfels' diesbezügliches Promemoria von 1790 enthält denn auch den Begriff "Verfassung". Der politische Kodex sollte eine "auf Grundsätze erbaute Gesetzsammlung" sein, womit ein "Grund zu einer Staatsverfassung" gelegt wäre (51). Eine ordentliche, sachgerechte, gemeinwohlorientierte Gesetzgebung würde im Volk nicht den Wunsch nach Beteiligung an der Regierung wecken, wie dies die revolutionäre Grundstimmung in Europa nahe legte. Auch wäre diesbezüglich eine Reform der landständischen Verfassung mit Beteiligung aller Klassen der Gesellschaft wünschenswert. Sonnenfels versuchte sein großes Ziel also unter anderem mit der Sicherung der monarchischen Herrschaft zu legitimieren. Der unvollständig überlieferte "Plan zu einer vollständigen politischen Gesetzessammlung" von 1791 aus der Feder von Sonnenfels sieht aber noch keine Verfassung vor.

Der letzte und umfangreichste Teil de Buches beobachtet den Fortgang der Kodifikationsarbeiten unter Franz II. (I.) (88-211): Wagner beschäftigt sich dabei auch mit der Tätigkeit von Sonnenfels in der Revisionshofkommission, die einen Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches redigieren sollte, schuf er doch einen Gegenentwurf, der verfassungsrechtliche Inhalte aufwies und der seine staatstheoretischen Vorstellungen deutlich macht. Die Agenden der Erstellung des Politischen Kodex blieben anscheinend bei der Hofkommission für Gesetzsachen, die in diesem Punkt aber aufgrund vielfältiger anderer Vorhaben keine besonderen Aktivitäten entwickelte. Erst eine Eingabe von Sonnenfels brachte 1801 eine Wiederaufnahme der Arbeiten am Politischen Kodex in einander rasch ablösenden Hofkommissionen. Das Projekt des Politischen Kodex wurde nach dem Tode Sonnenfels' (gestorben 25.4.1817) endgültig zu Grabe getragen. In einer Sitzung vom 17.2.1818 traten nur mehr Vertreter der Hofkanzlei, der Hofkammer und des Hofkriegsrats zusammen, um die Aufgabe der "Sammlung, Ordnung, Revision und Redigirung der politischen, Kameral- und Militär-Gesetze" bei den "leitenden Hofstellen" zu besprechen. Man schlug vor, statt des Politischen Kodex eine chronologische Gesetzessammlung von 1818 an zu veranstalten, wobei die Möglichkeit einer separaten, den territorialen Gliederungen entsprechenden "Provinzial-Sammlung" angedacht wurde. Infolge einer allerhöchsten Entschließung vom 17. Juli 1818 - dieser Ausblick fehlt bei Wagner - wurden schließlich die offiziellen österreichischen Gesetzessammlungen umstrukturiert: Die seit 1791 bestehende so genannte "Politische Gesetzessammlung" (PGS) sollte ab nun diejenigen Gesetze aufnehmen, die überterritorial waren, eigene - und ab 1819 tatsächlich eingerichtete - Provinzialgesetzsammlungen dagegen jene, die von den Hofstellen an die einzelnen Länderstellen ergingen beziehungsweise die von diesen für ihren Bereich erlassen wurden. [2]

Einen ausgearbeiteten Entwurf zum Politischen Kodex, vergleichbar den Entwürfen zum späteren ABGB gab es nicht. Über die - unter ständig sich ändernden Gesichtspunkten erfolgende - Sammlung von Gesetzen kam man nicht hinaus. Allein mehrere aus der Feder Sonnenfels' stammende, teilweise unvollständig überlieferte Pläne von 1791 (60 ff.) und 1808 (163 ff.) geben Aufschluss über die geplante Systematik, wobei deren enges Verhältnis zum Aufbau von dessen Hauptwerk "Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz" nicht verwundert (dazu eine Synopse: 219-233). [3]

Angesichts der bearbeiteten Materialfülle seien nur wenige Kritikpunkte angemerkt: Bei der verwendeten Literatur fällt auf, dass bisweilen einige wenige jüngere, aber relevante Arbeiten zur Aufklärung sowie zur Geschichte des ABGB leider nicht verwendet worden sind. [4] Das ist insofern schade, als diese eine bessere Einbettung der Ergebnisse in den Forschungsstand gewährleistet hätten. Durch die ausnahmslos chronologische Ausrichtung der Arbeit geht zudem das sachliche Substrat unter. Es wäre bei der Gliederung sinnvoller gewesen, die Chronologie etwas kürzer zu fassen und dafür einen zweiten, sachlich ausgerichteten Teil daran zu setzen, der eine Verknüpfung der in der Chronologie gewonnenen Erkenntnisse mit der zeitgenössischen Gesetzgebungstheorie und -praxis [5], der allgemeinen Kodifikationsgeschichte, den aufklärerischen Reformen, der Verfassungsdiskussion, der Geschichte der österreichischen Gesetzessammlungen und so weiter vielleicht auch vor dem Hintergrund eines stärker prosopografischen Zugangs zu den Kommissionsmitgliedern möglich gemacht hätte. Dies hätte aber vielleicht den Rahmen einer Dissertation gesprengt.

Festzuhalten bleibt: Es handelt sich hierbei um eine quellengesättigte Studie zum bislang kaum erforschten Gegenstand des Projekts eines Politischen Kodex, die unsere Kenntnis von den Kodifikationsvorgängen im Österreich des aufgeklärten Absolutismus erweitert. Das Werk füllt damit eine Lücke und wird in Zukunft nicht nur wegen ihrer minutiösen Darstellung, sondern auch wegen ihres darüber hinaus ergiebigen Quellenanhangs zur Hand genommen werden, wenn man sich mit der österreichischen Rechtsgeschichte um 1800 beschäftigt.


Anmerkungen:

[1] Dazu Josef Pauser: Landesfürstliche Gesetzgebung, in: ders. / Martin Scheutz / Thomas Winkelbauer (Hg.): Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch (= Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Ergänzungsband 44), Wien / München 2004, 236 f.

[2] Ebd., 238 f.

[3] Jüngst erschien eine neue Edition des ersten Bandes der Grundsätze: Werner Ogris (Hg.): Joseph von Sonnenfels. Grundsätze der Polizey (= Bibliothek des deutschen Staatsdenkens; 12 ), München 2003.

[4] So fehlen die Arbeiten von Leslie Bodi, der einiges Interessantes auch zu Sonnenfels geschrieben hat: Tauwetter in Wien. Zur Prosa der österreichischen Aufklärung 1781-1795 (= Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts; 6 ), 2., erw. Aufl. Wien [u.a.] 1995; sowie dessen Aufsatzsammlung: Literatur, Politik, Identität - Literature, Politics, Cultural Identity (= Österreichische und internationale Literaturprozesse; 18), St. Ingbert 2002. - Zum ABGB wurden manche Arbeiten von Wilhelm Brauneder nicht verwertet, darunter etwa der ganz zentrale Aufsatz: Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für die gesamten Deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie von 1811, in: Gutenberg-Jahrbuch 62 (1987), 205-254.

[5] Hier beispielgebend die zeitgleich zu Wagner erschienene Tübinger Habilitationsschrift: Bernd Mertens: Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifikationen. Theorie und Praxis der Gesetzgebungstechnik aus historisch-vergleichender Sicht (= Tübinger rechtswissenschaftliche Abhandlungen; 98), Tübingen 2004.

Josef Pauser