Rezension über:

Slavko Kacunko: Closed Circuit Videoinstallationen. Ein Leitfaden zur Geschichte und Theorie der Medienkunst mit Bausteinen eines Künstlerlexikons, Berlin: Logos Verlag 2004, 1182 S., 1 DVD-ROM, ISBN 978-3-8325-0600-1, EUR 98,00
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Rezension von:
Britt Schlehahn
Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Britt Schlehahn: Rezension von: Slavko Kacunko: Closed Circuit Videoinstallationen. Ein Leitfaden zur Geschichte und Theorie der Medienkunst mit Bausteinen eines Künstlerlexikons, Berlin: Logos Verlag 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/03/7669.html


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Slavko Kacunko: Closed Circuit Videoinstallationen

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Das Bild einer kahlköpfigen Puppe, deren linke Gesichtshälfte aufgeschnitten von der Augenbraue bis zur Nasenspitze eine Miniaturvideokamera beherbergt [1], eröffnet die Betrachtungen von Slavko Kacunko zu Closed Circuit Videoinstallationen (CC-Videoinstallationen). Der visuelle Einstieg beschwört Imaginationen von Automatisierung, Kontrolle und Disziplinierung herauf, die gemeinhin in der Assoziationskette zur Videoüberwachung, welche auf dem geschlossenen Kreis von Kamera und Monitor basiert, ebenso wenig fehlen dürfen wie Debatten über Simulation und Immaterialität im Zusammenhang mit den neuen Medien seit Beginn der 1990er-Jahre. Dass jedoch CC-Videoinstallationen mit ihren spezifischen Anordnungen, Funktionsweisen und Interaktionsmöglichkeiten nicht nur die Gräben zwischen kunst- und medienwissenschaftlichen Arbeitsweisen exemplarisch schließen, sondern auch eine kritische Reflexion der so genannten digitalen Ästhetik leisten können, verdeutlicht die materialreiche Arbeit samt DVD ebenso wie sie den Blick auf Arbeiten seit 1966 weltweit freigibt.

Galt die Videotechnik auf Grund der zeitgleichen Aufnahme und Wiedergabe als Zauberformel der künstlerischen Produktion zu Beginn der 1970er-Jahre, so hat sich im Laufe der Zeit ein Repertoire an Klassikern aus Nordamerika und Westeuropa herausgebildet, welches nicht nur der Kunstwissenschaft, sondern auch der Medientheorie und -philosophie hauptsächlich zur Illustration von eigenen Theorien dient. Um den disziplineigenen Tunnelblick zu überwinden sowie Medien- und Kunstwissenschaften in einem integrativen Programm einer Medienkunstgeschichte zu vereinen, wendet sich Kacunko gegen die bisher praktizierte selektive Vorgehensweise und rückt Installationen basierend auf dem geschlossenen Kreis von Videokamera und Monitor in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Denn sie verkörpern seiner Meinung nach "eine Schlüsselposition" bzw. "das Rückgrat" der Medienkunst (899). Anhand der zahlreichen Beispiele wird vor allem deutlich, dass der geschlossene Kreis in seinen vielfältigsten An- und Verwendungen alles andere als ein starres Modell darstellt, welches lediglich Überwachungsszenarien verhandelt. Vielmehr veranschaulichen sie eine Dynamik, die auf Interaktion zielt, welche sich wiederum über die bloße Illustration von Simulationstheorien hinwegsetzt. Darüber hinaus besteht die besondere Qualität von CC-Videoinstallationen darin, dass sie den Übergang zwischen analogem und digitalem Code verkörpern, wie Kacunko bereits in früheren Arbeiten betonte. [2]

Der detaillierten Analyse von CC-Videoinstallationen stellt Kacunko im ersten Kapitel Kategorien der Medienkunst wie Installation, Performance, Input/ Output - als Beschreibungsmethode und damit als "grundlegende methodologische Erweiterung (...), die im Rahmen einer Medienkunstgeschichte berücksichtigt werden soll." (41) - voran.

Deutlich trägt Kacunko seinen Unwillen gegenüber dem mutwilligen Missbrauch von Metaphern in den neueren Theorien der Medienkunst (103) und ideologischen Positionen vor, da sie seiner Meinung nach "eine realistischere Einschätzung von ästhetischen, kulturellen, soziologischen, militärischen und anderen Leistungen solcher Technologien" (53) erschweren.

Den theoretischen Verortungen folgt - unterteilt in drei Dekaden - ein historisch-geografischer Überblick mit dem Ziel der "besseren und präziseren Erfassung" von "Leistung und Bedeutung" der Künstlersubjekte "in ihren jeweiligen Kontexten" (155). Die erste Dekade von 1966 bis 1976 (155-380) beginnt mit der ersten CC-Videoinstallation Slipcover von Les Levine. Hier wie auch in den nachfolgenden Arbeiten von Nauman, Sonnier oder Acconci sowie den "vergessenen" Frauen (u. a. Shirley Clark) zeigt sich das Potenzial des geschlossenen Kreises für die Konstituierung der Medienkunst, da nicht nur traditionelle Kunstorte in Frage gestellt, sondern neben der Neudefinition des Subjekt-/ Objekt-Verhältnisses auch die Konstruktion von Wirklichkeitsmodellen erprobt werden, die wiederum entscheidende Impulse geben hin zu Interaktivität und virtuellen Welten, die in den computergestützten Arbeiten ab den 1980er-Jahren folgen. Dem ist zweifelsohne zuzustimmen, allerdings - und das sollte die von Slavko Kacunko angestrebte Entwicklung einer Medienkunstgeschichte auch jenseits der technischen Artefakte verbinden - darf nicht in Vergessenheit geraten, dass der Anwendung von Medien wiederum ein engmaschiges Mythennetz zu Grunde liegt. Zudem fehlt in den Betrachtungen von einzelnen Kunstwerken der Bezug zu alltagsweltlichen Erfahrungsebenen im Zusammenhang mit der Videotechnik in den unterschiedlichen Territorien, die keinen unwesentlichen Einfluss auf die Verwendung des technischen Artefakts ausübt.

Die zweite Dekade umfasst die Jahre 1977 (documenta 6) bis 1989 (380-577). Im Vergleich zu den anfänglichen experimentellen Arbeitsansätzen garantiert der Zugang zur Computertechnik offene Interaktionssysteme basierend auf audiovisuellen CC-Feedbackschleifen, die der erweiterten Definition des geschlossenen Kreises über die Produktion eines Rückkopplungsbildes folgen.

Im Gegensatz dazu verdeutlichen die osteuropäischen Beispiele (Jugoslawien, Ungarn, Bulgarien, ČSSR sowie Polen) den durchaus paradoxen gesellschaftlichen Dialog von Technik und Kunst, der - und dies ist dem Leitfaden nicht zu entnehmen - zudem in der Absenz von CC-Videoinstallationen - wie beispielsweise in der DDR - auf das große Widerstandspotenzial seitens der damaligen offiziellen Kunsttheorie einschließlich einer behüteten Genieauffassung im nichttechnisierten tradierten Kunstfeld verweist. Bedingt durch die fortschreitende technische Entwicklung innerhalb der dritten Dekade von 1990 bis 2002 (577-869) findet - ausgenommen der Materialien aus dem osteuropäischen Norden und südosteuropäischen Ländern sowie Australien - eine auf der Grundlage der im zweiten Kapitel vorgestellten Forschungsfelder geordnete Aufarbeitung statt. Im Rahmen des Schwerpunkts "Datenerfassung und -kontrolle", welches die zunehmende institutionelle und territoriale Kontrolle und Speicherung thematisiert, wird einmal mehr die besondere Rolle von CC-Videoinstallationen bezogen auf die seit der ersten Dekade initiierten Sensibilisierungen gegenüber Input und Output deutlich.

Zusammenfassend hält Kacunko fest, dass der Modellcharakter der CC-Videoinstallation darin besteht, dass die Immaterialität elektronischer Medien (u. a. Baudrillard, Bolz) ebenso verworfen werden kann wie die Installationen "sichtbare und glaubwürdige Argumente für das Festhalten am Kunstbegriff" liefern (871). Die detaillierte Betrachtung von CC-Videoinstallationen über den Zeitraum von 1966 bis zur Gegenwart zeigt jedoch nicht nur eine Reihe von blinden Flecken bezüglich der verwendeten technischen Artefakte auf, sondern sollte perspektivisch den nicht unwesentlichen Beitrag der gesellschaftlichen Leitbilder von Technologien beinhalten, da diese maßgeblich den Umgang und Einsatz im Kunstfeld bestimmen.

Auf Grund der Materialfülle stellt der Leseprozess samt Nachschlagen im Anmerkungs- bzw. Literaturverzeichnis eine haptische Herausforderung dar. Nichtsdestotrotz sichern das Buch und die DVD eine Vielfalt von Blickachsen, die über die hinlänglich bekannten Beispiele aus Nordamerika und Westeuropa hinausgehen, und regen somit hoffentlich nicht nur eine weitergehende Forschung jenseits der lieb gewonnenen Gräben und Territorien an, sondern initiieren auch einen realen Erfahrungsraum für die Vielzahl von bisher unbekannten CC-Videoinstallationen.


Anmerkungen:

[1] Ken Feingold: where I can see my house from here so we are (1993-94).

[2] Vgl. u. a. Slavko Kacunko: Dieter Kiessling. Closed-Circuit-Video 1982 - 2000, Nürnberg 2001.

Britt Schlehahn