Rezension über:

Jens Schöne: Frühling auf dem Lande? Die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft, Berlin: Ch. Links Verlag 2005, 332 S., ISBN 978-3-86153-360-3, EUR 24,90
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Rezension von:
Theresia Bauer
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Empfohlene Zitierweise:
Theresia Bauer: Rezension von: Jens Schöne: Frühling auf dem Lande? Die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft, Berlin: Ch. Links Verlag 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/03/8381.html


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Jens Schöne: Frühling auf dem Lande?

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Anfang der 1950er-Jahre gab es in der DDR rund 850.000 bäuerliche Privatbetriebe, am Ende des Jahres der Vollkollektivierung 1960 war deren Zahl auf 20.000 geschrumpft. Im Zentrum der Dissertation von Jens Schöne stehen die zwei Kollektivierungsschübe 1952/53 und 1960, die in engem Zusammenhang mit den zeitnahen Herrschaftskrisen der DDR untersucht und interpretiert werden. Dabei gelingt dem Autor eine konzise, konsequent seine leitenden Fragestellungen verfolgende Darstellung und Argumentation. Die Stärke des Buches liegt in der analytischen Durchdringung der einschlägigen Forschung verbunden mit einem sicheren Urteil, einer methodisch überlegten Quellenarbeit und nicht zuletzt in der Beschränkung auf Wesentliches. Dass dabei nicht alles neu ist, was glänzt, fällt wenig ins Gewicht.

Das Buch gliedert sich in vier Kapitel: Zunächst werden zentrale agrarpolitische Probleme von der Bodenreform 1945 bis vor der Kollektivierung 1952 präsentiert. Das zweite Kapitel untersucht den ersten Kollektivierungsschub 1952, dessen Erfolg begrenzt war und der wesentlich zur Eskalation der Krise bis 1953 beitrug, aber letztlich das Modell LPG dauerhaft installierte. Das dritte Kapitel konzentriert sich auf den zweiten Kollektivierungsschub ab Dezember 1959, nicht ohne rückblickend auf die agrarwirtschaftliche und -politische Entwicklung von 1953 bis 1957 einzugehen. Im vierten Kapitel vergleicht der Autor diachron die beiden Kollektivierungsschübe und deren Zusammenhang mit den Systemkrisen der DDR. Neben den Rahmenbedingungen thematisiert Schöne hier das jeweilige Krisenmanagement und betrachtet erhellend die Kollektivierung als "soziale Praxis". Die erste Kollektivierungswelle kulminierte bekanntlich in der Herrschaftskrise von 1953, deren ländlich-agrarpolitischen Ursachenstrang verknüpft mit einer Analyse der SED-Herrschaftstechnik und den Reaktionen der dörflichen Gesellschaft Schöne pointiert schildert. Die zweite Krise - umschrieben durch die Verschärfung des agrarwirtschaftlichen und damit volkswirtschaftlichen Desasters infolge der kurzfristig erzwungenen Vollkollektivierung, die Destabilisierung durch ansteigende Fluchtziffern aus dem ländlichen Raum auch aufgrund von Widerständigkeit gegen die LPG-Gründungen - führte mit dem Mauerbau 1961 letztlich zwar zur "zweiten Staatsgründung" der DDR, war aufgrund des Demokratiedefizits aber nur ein Pyrrhussieg.

Einleitend informiert der Autor u. a. über Fragestellungen, methodisches Vorgehen und Forschungsstand. War die Kollektivierung die Verwirklichung eines seit 1945 vorgegebenen politischen Zieles oder in erster Linie Ergebnis kurzfristiger Kurswechsel, die überwiegend aus unbeabsichtigten Folgen der agrarpolischen Entscheidungen seit 1945 resultierten? Ist der Kollektivierungsprozess selbst aus der kommunistischen Ideologie und gegebenenfalls dem sowjetischen Vorbild abzuleiten, ergab er sich zwangsläufig aus der bisherigen Agrarpolitik, die grundsätzlich auf eine Kollektivwirtschaft abzielte? In der Antwort auf diese Fragen verknüpft der Autor geschickt seine Rekonstruktion der zentralen politischen Entscheidungen der SED und der herrschaftsgeschichtlichen Zusammenhänge mit einer sozialhistorischen Dimension, indem er die vielfältigen Reaktionen des ländlichen Milieus auf die zentral vorgegebene Kollektivierungspolitik aufzeigt.

Schöne verwendet den Krisenbegriff als heuristisches Mittel. Den Herrschaftskrisen 1952/53 und 1961 komme als strukturierende Kategorie im Kollektivierungsprozess eine wichtige Bedeutung zu. Er untersucht in einem diachronen Vergleich das jeweilige Krisenmanagement, fragt nach den Trägern der Kollektivierung und gelangt so zu pointierten Charakterisierungen. Die quellengestützten Teile der Arbeit zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Kollektivierungsschübe von der Entscheidung auf zentraler Ebene bis hinunter zu den Kreisen und Gemeinden verfolgen. Dazu wählt der Autor jene Bezirke und Kreise aus (die Bezirke Frankfurt/Oder mit dem Kreis Seelow für 1952/53 und den Bezirk Leipzig mit dem Kreis Eilenburg für 1959/60), die für die herrschaftstechnische Seite der Implementierung der jeweiligen Kollektivierungsschübe eine Modellfunktion für die SED hatten. Er rekonstruiert so das Geflecht der herrschaftsgeschichtlichen Durch- und Umsetzung ebenso wie die Reaktionen der ländlichen Gesellschaft.

Schöne arbeitet heraus (und hatte dies schon vorab veröffentlicht), dass einer Tagung mit allen Kreissekretären der SED am 4. Juni 1952 zentrale Bedeutung für die Durchführung des ersten Kollektivierungsschubes zukommt, auch wenn die entscheidende Rolle der Kreisebene für die Umsetzung grundsätzlich schon bekannt war. Die SED vertraute 1952 auf eine einsetzende Massenbewegung hin zur Kollektivierung und mahnte die eigenen Funktionäre zur Zurückhaltung. Erst als diese Hoffnung zerstob, ordnete man Ende August 1952 ein konzentriertes Vorgehen an, das für die Involvierten dennoch viele Fragen offen ließ. Ausgehend von der Moskauer Zustimmung führte die SED die Kollektivierung 1952 flächendeckend durch. Begleitet von einer parallelen Radikalisierung auch in anderen Politikbereichen im Zuge der Umsetzung des Sozialismuskurses nach der 2. Parteikonferenz der SED kulminierte dies in der Krise 1953.

Ganz anders ging die SED, die aus dieser Krise gelernt hatte, beim zweiten Kollektivierungsschub vor. Nach der sprunghaften Forcierung der Kollektivierung in der zweiten Jahreshälfte 1959 gab die Schaffung eines Modellbeispieles im Kreis Eilenburg, der im Dezember 1959 bis auf einen Betrieb vollgenossenschaftlich war, den Impuls für eine zentrale Entscheidung der SED-Spitze. Schöne zufolge ging den Vorgängen in Rostock vom Januar 1960 eine zentrale Entscheidung der SED vor dem 14. Januar 1960 voraus, die das kurzfristig umzusetzende Ziel der Vollkollektivierung aller bäuerlichen Betriebe zur vorrangigen Agenda der SED, aber auch der anderen Parteien und Massenorganisationen und des Staatsapparates machte. Damit schreibt Schöne den Impuls für eine zentrale Grundsatzentscheidung klar den Vorgängen in Eilenburg zu. Seine stringente Beweisführung beruht auf Rekonstruktion und logischen Überlegungen; sie kann die einschlägigen Quellenprobleme befriedigend lösen aber die Quellenlücken, die jenen Forschern vertraut sind, die eine solche zentrale SED-Entscheidung seither vergeblich gesucht haben, letztlich nicht schließen. Bis Ende Februar 1960 war die SED-Führung nicht genau festgelegt, wie sie agrarpolitisch weiter agieren sollte. Im Unterschied zu 1952 stand jedoch fest, dass dieser Kollektivierungsschub herrschaftstechnisch nicht flächendeckend wie 1952 angegangen werden sollte, sondern das Modell Eilenburg konzentriert und geografisch jeweils begrenzt auf andere Orte, Kreise, Bezirke bis zur Vollkollektivierung übertragen werden sollte. Die SED stellte sich - anders als 1952 - offen als Träger an die Spitze, der Staatsapparat wurde zur Durchsetzung auch mit allen zur Verfügung stehenden Zwangsmitteln bis hin zur Todesstrafe für widerwillige Bauern Ende 1961 herangezogen; externe Brigaden überströmten 1959/60 die Dörfer - die SED baute nicht auf Koalitionen mit Teilen der ländlichen Bevölkerung wie 1952 mit den Neubauern.

Während die Forschung bisher eher multikausal versucht hat zu erklären, weshalb die Entscheidung der SED zur kurzfristigen Vollkollektivierung im Winter 1959/60 fiel, hebt Schöne nur auf einen Grund ab, nämlich auf die Notwendigkeit aus SED-Sicht, die Agrarwirtschaft durch eine Vollkollektivierung in die volkswirtschaftliche Planung zu integrieren, so zu verlässlicheren Entscheidungsgrundlagen und letztlich zu einer Verbesserung des agrarwirtschaftlichen Ergebnisses zu gelangen, um eine Krise abzuwehren.

Damit sei die Vollkollektivierung 1960 eine zielgerichtete Reaktion auf die von der SED so wahrgenommene agrarwirtschaftliche Bedrohungssituation gewesen - während die Kollektivierung 1952/53 maßgeblich zum ökonomischen Desaster beitrug.

Jens Schöne kommt das Verdienst zu, eine gut lesbare, zugespitzte und hochinteressante Darstellung von hoher Erklärungskraft zu einem nicht ganz einfachen Thema der Formierungsphase der 1950er-Jahre der DDR verfasst zu haben.

Theresia Bauer