Rezension über:

Gisela Drossbach: Christliche caritas als Rechtsinstitut. Hospital und Orden von Santo Spirito in Sassia (1198-1378) (= Kirchen- und Staatskirchenrecht; 2), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2005, 482 S., 5 Karten, ISBN 978-3-506-71766-5, EUR 59,00
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Rezension von:
Ingrid Baumgärtner
Fachbereich 05, Universität Kassel
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Ingrid Baumgärtner: Rezension von: Gisela Drossbach: Christliche caritas als Rechtsinstitut. Hospital und Orden von Santo Spirito in Sassia (1198-1378), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/03/8784.html


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Gisela Drossbach: Christliche caritas als Rechtsinstitut

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Die weit ausgreifende, klar strukturierte, aber etwas umständlich formulierte Dresdner Habilitationsschrift untersucht Hospital und Orden von Santo Spirito in Sassia als ein spezifisches Rechtsinstitut, dessen Nähe zur Kurie Papst Innozenz III. so fest verankerte, dass sich Papst Eugen IV. später sogar zum Ordensleiter und Präzeptor des römischen Mutterhauses ernennen konnte. Auf der Basis eines überreichen und komplexen Archivmaterials aus Rom und anderen europäischen Städten richtet Drossbach in ihrer Einleitung (13-40) die Fragestellung auf einen ambivalenten Institutionalisierungsprozess, der sowohl die doppelte Funktion von Orden und Hospital als auch die Verbindung von päpstlichen Vorschriften und selbst gesetztem Recht widergespiegelt habe. Die Annäherung erfolgt einerseits über die Institutionsgeschichte und andererseits über die rechtsgeschichtliche Erfassung mittels einer Analyse der Organisationsstruktur, der kodifizierten Ordensregel und der spirituellen Leitlinien. Der im Titel angegebene, nicht näher begründete Zeitraum lässt sich mit dem Amtsantritt Innozenz' III. und dem Ausbruch des Großen Schismas rechtfertigen, auch wenn das Ende diffus bleibt, weil sich bereits die Übersiedlung der Päpste nach Avignon auf die Wirtschaftsgeschichte von Orden und Hospital auswirkte und Ausblicke bis in das 15. Jahrhundert erfolgen.

Das zweite Kapitel (41-89) thematisiert unter Korrektur der bisherigen Forschung den einzigartigen Vorgang der Ordensgründung durch einen Papst, der bereits 1198 einem gewissen Guido aus Montpellier (dessen meist kritiklos tradierte Identität mit dem gleichnamigen Sohn Herzog Wilhelms VII. von Montpellier hier infrage gestellt wird) Privilegien erteilte, um einen regionalen Spitälerverband aufzubauen. Drei Jahre später erhielten die Laienbrüder das alte angelsächsische Pilgerhospiz in Rom. Aber erst Innozenz' feierliche Urkunde von 1204 ist das früheste Zeugnis für das Funktionieren des römischen Hospitals und die gleichberechtigte Vereinigung beider Niederlassungen in einem Orden, der nach dem Tod Guidos 1208 verstärkt auf Rom ausgerichtet wurde. Drossbach kann aufzeigen, dass der Papst unverkennbar eine kuriennahe Einrichtung etablierte, indem er anscheinend nicht nur die rechtlichen Schritte zur Institutionalisierung des Ordens mit dem Mutterhaus in Rom, sondern auch die Erarbeitung einer Ordnung und die Repräsentation in der Öffentlichkeit zu verantworten hatte und vermutlich den Wandel der Zielsetzung vom Pilgerhospiz zur Betreuung von Findelkindern einleitete. Mit der Durchsetzung von päpstlichem Recht gewährte er zudem Schutz und Unterstützung für die Ausbreitung in Europa.

Die weiteren Kapitel greifen die hier angelegten Themen auf und verfolgen sie weiter. Der dritte Abschnitt (91-135) analysiert die drei spirituellen Leitideen des Heilig-Geist-Ordens. Dazu gehören erstens das vierte Gelübde auf den Spitaldienst (hospitalitas), das die drei traditionellen, auf Gehorsam, Ehelosigkeit und Armut ausgerichteten Gelübde ergänzte, zweitens die speziellen Funktionen der Gemeinschaft mit der Versorgung von Armen, Schwangeren und Prostituierten und der spätestens seit Gregor IX. realisierten Aufnahme von Findelkindern sowie drittens die Umsetzung kurialer Interessen in Liturgie und Seelsorge.

Der vierte Teil (137-165) untersucht die Normgenese, um das Selbstverständnis des Ordens zu eruieren. Die Autorin verfolgt die Entwicklung vom Hospitalstatut zur Ordensregel und den Weg der Verschriftlichung, sie rekonstruiert die verschiedenen Fassungen und Versionen, erläutert im Zusammenhang der Ordensgeschichte den Charakter als eigenständige Regel und ermittelt die zu Grunde liegenden Quellen im Vergleich mit den Gewohnheitsregeln der Johanniter und dem Kirchenrecht. Dabei erweist sich, dass gerade der monastische Inhalt Vorbildfunktion erlangte und die starke Rezeption der Regel durch andere Spitäler bewirkt haben dürfte.

Der fünfte Teil (167-221) erörtert die Organisationsstruktur der päpstlich gesteuerten religiösen Gemeinschaft, um nachzuweisen, dass es sich um einen Orden im kirchenrechtlichen Sinne handelte. Der Blick richtet sich auf das Verhältnis von Mutterhaus und 'membra' (Hospitäler, Kirchen, Kastelle und Wirtschaftsgüter) ebenso wie auf die Personalstrukturen, genauer die Stellung der leitenden Würdenträger (wie Papst, Kardinalprotektor, Ordensgeneral) und des Generalkapitels. Drossbach kann die enge Bindung an Rom auf verschiedenen Ebenen vorführen, darunter die Anhäufung der Wirtschaftsgüter ausschließlich im Kirchenstaat, die verzögerte Ausbildung der Ordensprovinzen und Visitationsbezirke sowie die auffällige Begünstigung des Sammelns von Almosen, die an die Zentrale abzuliefern waren. Das streng hierarchisch-zentralistische Gefüge, das - nach Meinung der Autorin - durch den Zuschnitt auf die eigenen Bedürfnisse zur Ausbildung eines neuen eigenen Rechts führte, erlaubt den Vergleich mit den Ritterorden, deren militärische Zielsetzung aber ein anderes Wirtschaftssystem erforderte, und den Franziskanern, die freilich zuerst eine spirituelle Leitidee entwickelten, ehe sie die Institutionalisierung rechtlich absicherten.

Das sechste Kapitel (223-284) erfasst die geografische Ausdehnung des Hospitalordens als einem der größten Grundbesitzer im Kirchenstaat, speziell die Konzentration auf das mittlere und südliche Latium sowie das Ausgreifen auf Kirchenstaat und Königreich Sizilien, ohne das restliche Italien zu erfassen. Die Bestätigungen in zahllosen Papst- und Privaturkunden erlauben es, Umfang und Lage der Immobilien innerhalb und außerhalb Roms zu beschreiben, den Zuwachs an Hospitälern, Kastellen und Wirtschaftsgütern in den verschiedenen Provinzen des Kirchenstaates aufzulisten sowie die Gründe für die regional beschränkte Ausbreitung in der Machtpolitik der Päpste zu suchen, deren Exil in Avignon auch eine neue Phase der Besitzverwaltung eröffnete.

Im siebten Teil (285-334) untersucht Drossbach zuletzt einzelne Ordensfilialen mit geschlossenen Archivbeständen im deutschsprachigen, französischen, spanischen und angelsächsischen Raum hinsichtlich ihrer Besitzungen, ihrer Beziehungen zu den übergeordneten Instanzen (wie Stadt und Landesherr) und ihrer Ausdehnung mittels der Almosensammellizenzen. Ziel dieser notgedrungen etwas oberflächlichen Betrachtungen ist es, den Prozess der karitativen Institutionalisierung weiter zu bestimmen.

Im abschließenden achten Teil (335-347) akzentuiert Drossbach nochmals zwei Aspekte, nämlich erstens zusammenfassend das Verhältnis von Recht und Institution am Beispiel der Caritas sowie zweitens die Frage nach dem Begriff der Stiftung und deren kirchenpolitischer Instrumentalisierung. Ein Appendix (349-431) bietet eine ungewöhnlich angeordnete Edition der Ordensregel, die mit den etwa fünfzig Miniaturen der römischen Prachthandschrift bebildert ist; leider sind diese bedeutenden Miniaturen an keiner Stelle des Textes interpretiert.

Die Leistung dieser quellengesättigten Studie zum römischen Heilig-Geist-Orden liegt sicherlich nicht nur in der fleißigen Durchsicht tausender Urkunden und einer weitgehend gelungenen kritischen Zusammenschau der verschiedenen Stränge der internationalen Forschung, sondern auch im inhaltlichen Ansatz, nämlich der Akzentuierung der Bedeutung des Rechts für die Ordensentwicklung. Eine straffende Überarbeitung hätte allerdings noch dazu beitragen können, den teilweise repetitiv wirkenden Text besser zugänglich zu machen und innere Widersprüche zu beseitigen. Ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Personen- und Ortregister sowie zahlreiche Karten runden die Arbeit ab.

Ingrid Baumgärtner