Rezension über:

Frank Zöllner: Sandro Botticelli, München: Prestel 2005, 320 S., 240 Abb., ISBN 978-3-7913-3273-4, EUR 148,00
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Hans Körner: Sandro Botticelli. Der Maler und Zeichner, Köln: DuMont 2006, 420 S., ISBN 978-3-8321-7316-6, EUR 49,90
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Rezension von:
Hubert Locher
Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Hubert Locher: Sandro Botticelli (1445-1510) (Rezension), in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 5 [15.05.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/05/9296.html


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Sandro Botticelli (1445-1510)

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Dass innerhalb eines Jahres gleich zwei groß angelegte, ja monumentale Monografien zu Sandro Botticelli in deutscher Sprache veröffentlicht werden, ist vielleicht ein Zufall, dennoch aber bezeichnend. Nicht nur wenden sich viele Kunstbuchverlage wieder mehr dem viel umworbenen allgemeinen Publikum zu, sofern sie sich nicht als Partner (oder Trittbrettfahrer) an Produktion und Vermarktung von Ausstellungskatalogen beteiligen. Auch akademisch etablierte Wissenschaftler, so scheint es, erkennen vermehrt das Schreiben von Büchern für diese Leserschaft als attraktive Aufgabe. Dieses allgemeine Publikum ist keineswegs nur mit allseits bekannten Themen und Gegenständen anzusprechen, doch hilft es dem Absatz gewiss, wenn man zeitgeistig Themen und Künstler wählt, die für eine bestimmte ästhetische Haltung stehen, und wenn dafür gesorgt wird, dass Text und Aufmachung ein entsprechendes ästhetisches Erlebnis gewährleisten. Für die periodisch nötige Profilierungsinvestition ist Botticelli daher keine schlechte Wahl, dies zumal, wenn man auf Angebote sprachlich wie auch wissenschaftlich fähiger und einschlägig erfahrener Autoren zurückgreifen kann und eingedenk der Tatsache, dass seit der deutschen Übersetzung der Kurzfassung von Ronald Lightbowns längst vergriffener Monografie (1989) keine groß angelegte Gesamtdarstellung in deutscher Sprache mehr vorgelegt wurde. Dass es nun zu einer Doppelung gekommen ist, bestätigt nur, dass es hier eine Lücke gab. Doch ist dies kein Schaden - weder für die Verlage, noch für die Leser, denn beide Publikationen differieren in Form, Inhalt und auch im Preis erheblich.

Letzterer ist ein Kapitel für sich: Für luxuriös schöne Bücher wurden immer schon sehr hohe Preise bezahlt. Der Prestel-Verlag ist in dieser Richtung vorangegangen mit einer kostbaren, natürlich reich illustrierten Monografie in dem neuerlich wieder beliebten XXL-Format (29,5 x 42 cm). Der Verkaufserfolg hat dem Verlag Recht gegeben und ihn doch auch überrascht: Die ersten Auflagen sowohl der deutschen wie auch der gleichzeitig erscheinenden englischen Ausgaben waren nach kurzer Zeit vergriffen. DuMont hat sich mit der Monografie von Hans Körner einer anderen Strategie verschrieben und auf das Argument des Preises gesetzt. Dieser ist in der Tat "konkurrenzlos" (Verlagswerbung) und kaum kostendeckend für ein Buch von 420 Seiten in dem handlichen, aber immer noch stattlichen Format (22,5 x 28,5 cm) mit 322 schwarz-weiß-Abbildungen, wovon der größte Teil auf den Seiten 97-204 eingebundenen Tafeln in hervorragender Qualität farbig wiederholt wird. Dabei ist auch der DuMont-Band optisch ansprechend gestaltet, gut gebunden und in schöner Typografie gedruckt, wenn auch die Aufmachung mit dem aufwändigeren Prestel-Buch nicht mithalten kann. Hier nämlich sind die starken Buchdeckel mit echtem Leinen überzogen, ein edles Leseband ist eingebunden, der Schutzumschlag ist auf der Innenseite (!) mit einem Ausschnitt der "Primavera" bedruckt, das schwere Stück wird in einer als Köfferchen ausgebildeten Kassette geliefert.

Soviel Oberflächenglanz mag der wissenschaftlichen Leserschaft, die man doch auch ansprechen will, übertrieben erscheinen, hat aber, wenn man an Herbert Hornes legendäre Botticelli-Monografie von 1908 denkt, für diesen Künstler Tradition. Abgesehen von der Ausstattung kann diese Monografie aber, ebenso wie jene von Hans Körner, auch inhaltlich überzeugen. Selbst wenn beide Bücher nicht vordringlich auf die Mitteilung neuer Forschungsdetails ausgerichtet sind, haben beide Autoren diese sehr wohl weitgehend auf dem aktuellen Stand eingearbeitet, und dies auf sehr unterschiedliche Art, bedingt nicht zuletzt durch das jeweilige wissenschaftliche Profil der Verfasser.

Hans Körner, mit Publikationen vor allem zur französischen Kunst und Kunsttheorie des 17. bis 19. Jahrhunderts etabliert, hat sich bisher eher am Rande mit der Florentiner Renaissance befasst. Frank Zöllner dagegen ist seit seiner Dissertation über Vitruvs Proportionsfigur (1987) ein ausgewiesener Spezialist für die italienische Kunst dieser Zeit und mit Publikationen vor allem zu Leonardo (u. a. im XXL-Format bei Taschen 2003) aber auch bereits mit einem Buch zu Botticelli hervorgetreten.

Entsprechend setzt Zöllner auf das klassische Vehikel des Kenners, die zweiteilige Werkmonografie, bestehend aus einem einführenden narrativen Text für das "breite Publikum" und den fachfremden Leser aus "Nachbardisziplinen" und andererseits einem Werkkatalog, dessen Einträge "eher für den Spezialisten bestimmt" seien, aber zugleich auch umstandslos für Fachfremde verständlich sein sollen. Fußnoten sind konsequent weggelassen, doch werden Referenzen und Quellen für den Haupttext abschnittsweise nachgetragen, was den Vorzug hat, dass die völlig ausreichenden kursorischen Angaben sich dem Fachleser sogleich als gleichsam kommentierte Quellenangaben erschließen, ohne dass man noch einmal in den Haupttext zurückblättern muss. Der im Text deutlich umfangreichere Werkkatalog führt alle unstrittig Botticelli zuerkannten Werke mit den wichtigsten Interpretationen nach ihren jeweiligen Urhebern auf, zusätzlich einige Werkstattarbeiten, die für das Verständnis Botticellis wichtig seien und in einem zweiten Teil eine Reihe von Werken, deren Zuschreibung aktuell strittig sei. Für die große Menge der Werkstattarbeiten verweist Zöllner auf die älteren Kataloge. Angefügt ist schließlich ein nur einleitend kommentiertes Verzeichnis von 21 Zeichnungen, die traditionell Botticelli zugeschrieben werden. Weggelassen sind die Illustrationen zu Dantes Divina Commedia, mit dem Hinweis, diese seien erst kürzlich mehrfach Gegenstand von Veröffentlichungen gewesen. Dies trifft zwar zu [2], doch der Botticelli-Liebhaber, der sich den Prachtband erwirbt, wird mit diesem Hinweis kaum zufrieden sein, selbst wenn im Haupttext dieses hochkomplexe und spannende Spätwerk kurze Erwähnung findet. Eine Bibliografie mit an die vierhundert Einträgen listet nur die zitierten Titel auf, ist aber, gemäß der nachvollziehbaren Angabe des Autors, dennoch die bislang ausführlichste und vollständigste zum Künstler.

Hans Körners Buch enthält keinen Werkkatalog, jedoch ist auf andere Weise ebenfalls so gut wie jedes Werk Botticellis mehr oder weniger ausführlich diskutiert. Auch diese Monografie folgt einem klassischen Modell der Kunstliteratur, der narrativen Darstellung von "Leben und Werk", wie sie seit Mitte des 19. Jahrhunderts für so manchen Groß- und Hauptkünstler von Raffael über Michelangelo, Velazquez, Botticelli, Dürer und Rembrandt etc. unternommen worden ist. Zu Botticellis "Leben" allerdings gibt es nur recht spärliches dokumentarisches oder anekdotisches Material, das seit den Zeiten Herbert Hornes zudem nur noch punktuell ergänzt werden konnte. Dies gibt Körner auch gleich im ersten kurzen Kapitel ohne Umschweife bekannt, wo er das kärgliche Material, einschließlich einiger mehr oder weniger umstrittener Selbstbildnisse (darunter eine schwerlich eigenhändige Zeichnung aus dem Musée des Beaux-Arts in Lille) unter dem sprechenden Titel "Vom Borgo Ognissanti zum Ognissanti-Friedhof" prägnant zusammenfasst, um dann sein Projekt, das "nicht nur dem Wunsch des Verlags" entspricht, als Versuch einer notwendig scheiternden "Her- und Darstellung personaler Identität" zu rechtfertigen, als ein "Versprechen" immerhin, das zwar "auf empirischem Weg nicht gehalten werden" könne, aber doch geeignet sei, das "sich Entziehende" aufleuchten zu lassen (14). Dergleichen Beteuerungen muten im Vorfeld eines solchen Buches etwas seltsam an. Sie markieren das Bedürfnis des Verfassers, die eigene Position in der postmodernen Diskurslandschaft (mit Verweis auf Mieke Bal und Norman Bryson) zu verorten. In der Sache ist Körners pathetischer Vorspruch unnötig, nicht zuletzt weil er im Laufe des Buches nie in Gefahr gerät, psychologisierend aus dem Werk auf die Person des Künstlers zu schließen, sondern stattdessen die "Kunst" in den Vordergrund stellt.

Der Haupttext entfaltet sich im Wesentlichen in den drei mittleren, chronologisch angeordneten Kapiteln zur Lehrzeit und den frühen Meisterjahren, den großen Aufträgen und zu den "späten Bildern". Ein sehr kurzes, aber scharmantes Schlusskapitel berichtet von der Wiederkehr Botticellis im 19. Jahrhundert unter anderem im Werk des spiritistischen Künstlers Fernand Desmoulin, der sich für ein Medium von Botticellis Geist hielt. Die großen Kapitel sind übersichtlich unterteilt in Abschnitte zu einzelnen Kunstgattungen, in denen sich Botticelli betätigt hat. Dies ermöglicht es dem Autor, zu jedem Bereich breit den jeweiligen kulturhistorischen und, wie es immer wieder heißt, "bildgeschichtlichen" Kontext zu erläutern. Botticellis Werk in diesem Zusammenhang zu erläutern führt denn auch dazu, dass Körner ein umfassendes Bild der Florentiner Kunstszene und eine Diskussion der einschlägigen Bildgelegenheiten zeichnet. Er kann sich dabei auf die zu diesem Gebiet so überaus reiche kulturhistorische Forschung stützen, sind dies doch die Stammlande der modernen Kunst- ebenso wie der Kulturgeschichte. Bemerkenswert ist aber doch, dass gerade in den letzten zwei Jahrzehnten und namentlich auch aus dem deutschen Sprachraum sich die wissenschaftliche Literatur außerordentlich fruchtbar entwickelt hat. Von einem noch in den Achtzigerjahren hier und da gefürchteten Niedergang der Italienforschung kann inzwischen keine Rede mehr sein, schon eher von einer inflationären Entwicklung der kultur- und kunstgeschichtlichen Spezialforschung, was eine ein- und zugleich weiterführende Darstellung wie die vorliegende zusätzlich rechtfertigt. Tatsächlich sind inzwischen zu fast jedem denkbaren kulturgeschichtlichen Aspekt, zu jeder Bildaufgabe, zu jedem Problem eine oder mehrere, oft hochklassige und informative Abhandlung erschienen (zum Altarbild, zur Predella, zum Tondo, zum Privatporträt, zu den Spalliera-Bildern, den Deschi da Parto, den Cassoni, den Medaillen, zu Festwesen und "Lebenden Bildern", zur Wachsbildhauerei und zu Schandbildern, zur Zeichnung, zum Vertragswesen, zur Werkstattpraxis, zum Kunstmarkt, zur Betrachterrelation, zur Stilproblematik, zur Bilderzählung und Gestik usw.). Körner macht sich diese breite Basis mit Übersicht und fast immer auch mit gutem Augenmaß zu Nutzen, nimmt sich dabei aber immer wieder die Freiheit, einen ihn besonders interessierenden Aspekt in den Vordergrund zu schieben.

Nur einige seien hier kursorisch erwähnt: Im zweiten Kapitel unterstreicht Körner besonders die von Botticelli forcierte "Prominenz" der Figur im Andachtsbild und die Idee der "potentiellen Bedeutungen" eines solchen, die erst im Gebrauch aktualisiert würden. Im dritten Kapitel wird, gegen die vom "sinnlichen Potential" des Bildlichen ablenkende ikonografische und funktionalistische Interpretation der mythologischen Bilder besonders die dekorative Qualität der "Primavera" hervorgehoben und der Aspekt des Erotischen in den mythologischen Bildern unterstrichen. Angesichts der idealisierten botticellischen Nacktheit schießt er hier etwas über das Ziel hinaus, wenn er einen "Pornographieverdacht" ausspricht, was man auf das Konto der Rezeption von Georges Didi-Hubermans "Phänomenologie der Nacktheit" zurückführen mag (Ouvrir Vénus, 1999). In interessanter Weise behandelt Körner außerdem in einem Unterkapitel die Frage der Verwendung von Gold als Malmaterial in der Besprechung der Sistina-Fresken, selbst wenn andere Aspekte im Rahmen einer Besprechung dieser Bilder grundsätzlich wichtiger sein mögen. Hervorzuheben ist schließlich im vierten Kapitel Körners anregende Diskussion der Dante-Illustrationen, die in ihrer Betonung der Text-Bild-Relation eine überzeugende Analyse vorbringt.

Körners Buch ist zu reich, um hier jeden interessanten oder auch jeden kritisierbaren oder im besten Sinne fragwürdigen Gedanken herauszuheben. Die Verarbeitung der Vielfalt von Forschungsergebnissen und eigenen Überlegungen ist gelungen, das Buch liest sich flüssig, aber man kann auch einwenden, dass eine Monografie zu Botticelli sich nicht unbedingt zu einem Buch über Florenz im 15. Jahrhundert auswachsen muss. Dennoch ist anzuerkennen, dass Botticellis Werk sich doch gut eignet, um auf viele wichtige Aspekte der visuellen Kultur dieses Ortes und dieser Zeit einzugehen.

Man würde vielleicht hier auch gar keine Einwände vorbringen, hätte man nicht in Zöllners Buch ein alternatives Modell vorliegen, das viel weniger Text benötigt, um dennoch auf die wesentlichen Punkte von Botticellis Kunst einzugehen. Zöllners Haupttext ist in neun fast gleich große Kapitel unterteilt, die chronologisch geordnet das Werk Botticellis diskutieren, dabei aber - und in diesem Ansatz Körner durchaus vergleichbar - zugleich Bildgattungen und den "sozialgeschichtlichen" Kontext berücksichtigen. Die Ökonomie von Zöllners Text ist dabei bestechend, sodass man dem Neuling im Gebiet der Florentiner Renaissancekunst wohl diesen Text als erste Lektüre empfehlen würde. Zöllners Verwendung von Primärtexten ist zudem vielfach illustrativer ist als bei Körner, die Selektion und Gewichtung der Beispiele überzeugend. Dabei ist es nicht so, dass Zöllner immer weniger Stoff zu Botticelli vorbringen und ausbreiten würde. Seine Literaturbasis ist sogar eher breiter, hier und da wohl auch sicherer selektiert. Körners Bibliografie ist nicht weniger umfangreich, doch erwähnt und listet er auch manchen Titel, den man für das Verständnis von Botticelli nicht benötigt.

So gelingt es Zöllner beispielsweise auf anderer Grundlage und mit Verweis auf andere Literatur schon im ersten Kapitel das Problem und das Interesse der stilistischen Händescheidung als ein in der Zeit relevantes Problem der Stildifferenzierung unter den führenden Künstlern vorzustellen. Die großen Qualitäten des Frühwerks werden hier beispielhaft in der Diskussion der in Originalgröße (!) abgebildeten kleinen Tafeln, Judith und Holofernes und vor allem der frühen Anbetung der Heiligen drei Könige aus der National Gallery gewürdigt, die ebenso in den originalgroß gedruckten Details sichtbar werden. Das zweite Kapitel behandelt die Zeit während der Botticelli als selbstständiger Meister fassbar ist, bis zu seinem ersten, in Konkurrenz mit Domenico Ghirlandaio ausgeführten Wandfresko des heiligen Augustinus in Ognissanti. Ein Höhepunkt ist das dritte Kapitel über Botticelli als Porträtmaler. Es stellt in aller Deutlichkeit die - auch von Körner anerkannte - herausragende Bedeutung Botticellis als Porträtmaler heraus, enthaltend u. a. eine auf der Höhe der Forschung argumentierende Interpretation des idealisierten Frankfurter Porträts der "Bella Simonetta", der idealen Geliebten des Giuliano de' Medici, das erst seit der Restaurierung und Analyse von 1995 / 96 wieder als Werk Botticellis betrachtet wird. Im vierten Kapitel geht Zöllner ausführlich auf die "Primavera" ein. Die auf Leinwand gemalte "Minerva mit dem Kentauren" betrachtet er als ihr Gegenbild, hier von Körner abweichend, der eine spätere Datierung und eine andere Deutung erwägt. Hinsichtlich der ikonografischen und stilistischen Zuordnung auch des dekorativen Charakters, nicht zuletzt auf Grund der gesicherten Provenienz wird man hier wohl eher Zöllner zuneigen, wenn auch im Prinzip die Deutungen so weit nicht voneinander abweichen: Jedenfalls geht es hier um die Macht der Frau, um die Bändigung männlicher Sinnlichkeit durch weibliche Vernunft und Enthaltsamkeit. Ein ganzes Kapitel ist den Fresken der Sixtina gewidmet, womit man der Bedeutung dieses Werks in der Biografie des Künstlers gerecht wird. Auch hier lohnt es sich, Zöllners politisch-ikonografische Interpretation der Goldmalerei Botticellis mit Körners abweichender Auffassung zu vergleichen. Weitere Kapitel sind dem Zyklus mit der Geschichte des Nastagio degli Onesti gewidmet, der auch bei Körner ausführlich behandelt wird, den späten mythologischen Gemälden "Venus und Mars" und "Geburt der Venus" (die hier richtig als "Ankunft der Venus" benannt wird). Je ein Kapitel behandelt die späten Altarbilder und das Spätwerk, wobei eine ausführliche Deutung und Sichtung der bisherigen Interpretationen zu dem kunsthistorisch und kunsttheoretisch so bedeutenden Werk der "Verleumdung des Apelles" eingefügt ist.

Unvermeidlich überschneiden sich die zwei Monografien in vielen Aspekten. Dennoch wird man die eine wie auch die andere Publikation bei jeder zukünftigen Auseinandersetzung mit Botticelli konsultieren. Die Autoren verfolgen eine unterschiedliche Konzeption und arbeiten auf je verschiedener Grundlage, sodass sich verschiedene Gewichtungen und Schwerpunkte ergeben. Desto belangvoller sind die klaren Übereinstimmungen: Zum einen relativieren beide Autoren, besonders aber Körner, die in der Vergangenheit mit Sicherheit ausgeuferte ikonografische Deutungstradition. Es ist doch so, dass eine Interpretation, wie Körner unterstreicht, so geistreich sie auch sein mag, sich doch stets am Bild zu bewähren hat. Das hohe intellektuelle Niveau der Malerei Botticellis ist damit aber keineswegs bestritten. In beiden Monografien erscheint er als überaus vielseitiger und ambitionierter Künstler, der in jeder Bildgattung entscheidende Impulse und Neuerungen in die so lebendige und stark intellektualisierte Kunstszene des späten 15. Jahrhunderts einbrachte. Dies gilt sowohl für die (bei Zöllner zu kurz kommenden) Tondi, wie für die Altarbilder, besonders aber für das Porträt und schließlich für das später so selbstverständlich werdende Gemälde mythologischen Themas, ja sogar für den von Jacob Burckhardt so benannten "mystischen Theologen", den Botticelli der späten Bilder. Offensichtlich ist auch beiden Autoren die heute merkwürdig anmutende Thematisierung des Geschlechterverhältnisses aufgefallen. Bei Körner an verschiedenen Stellen explizit, wird dies auch bei Zöllners Gewichtung der - nicht einmal ganz eigenhändigen - Darstellung der Geschichte des Nastagio degli Onesti deutlich, einer Novelle aus Bocaccios Decamerone, in der eine zunächst unwillige Braut durch die Vision eines schrecklichen Mordes an einer ebenso heiratsunwilligen Geschlechtsgenossin davon überzeugt wird, dass es doch besser wäre, sich in die ihr zugemutete Ehe zu schicken. So wird die Lektüre dieser Bücher den Liebhabern der Botticellischen Linienschönheit zwar nicht den Spaß verderben, aber es dürfte doch klar werden, dass auch jene so berühmten Gemälde Botticellis, welche die Schönheit und die Macht der Frau feiern, von einem Maler geschaffen wurden, der nicht bloß schöne poetische Bilder malte, sondern durch das Mittel seiner Kunst den sozialen Haushalt und das Geschlechterverhältnis aktiv mitgestaltete.


Anmerkungen:

[1] Herbert P. Horne: Alessandro Filipepi, commonly called Sandro Botticelli, Painter of Florence, London, George Bell & Sons 1908. Gedruckt in der Chiswick Press von Charles Whittingham, 366 Seiten, in quarto, mit Anmerkungen in rot gedruckten Marginalien, 42 nach Fotografien hergestellte Tafeln; 30 Seiten Dokumentenanhang. Nur 240 Exemplare wurden gedruckt, davon gelangten nur 225 in den Verkauf. Nachdruck mit Katalogband Florenz: Studio per Edizioni scelte 1986-87.

[2] Hein-Th. Schulze Altcappenberg (Hg.): Sandro Botticelli, der Bilderzyklus zu Dantes Göttlicher Komödie, Ostfildern-Ruit, Hatje Cantz 2000.

[3] Deutsch: Georges Didi-Huberman: Venus öffnen. Nacktheit, Traum, Grausamkeit, Berlin, Diaphanes 2004.

Hubert Locher