Rezension über:

Dirk Jäckel: Der Herrscher als Löwe. Ursprung und Gebrauch eines politischen Symbols im Früh- und Hochmittelalter (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte; Heft 60), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, XI + 377 S., 23 Abb., ISBN 978-3-412-21005-2, EUR 47,90
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Rezension von:
Bernd Schütte
Halle/S.
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Bernd Schütte: Rezension von: Dirk Jäckel: Der Herrscher als Löwe. Ursprung und Gebrauch eines politischen Symbols im Früh- und Hochmittelalter, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8 [15.07.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/07/8714.html


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Dirk Jäckel: Der Herrscher als Löwe

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Löwen gehörten im frühen und hohen Mittelalter gewissermaßen zum herrscherlichen Gefolge. So umgab sich zum Beispiel Kaiser Friedrich II. 1231 bei seinem Einzug in Ravenna mit Löwen und anderen exotischen Tieren und Kaiser Otto der Große soll von fremdländischen Gesandten nicht nur Kamele, Affen und Strauße, sondern auch Löwen als Geschenk erhalten haben. [1] Gleichwohl dürften die wenigsten mittelalterlichen Autoren ein lebendes Exemplar gesehen und dessen Verhaltensweisen beobachtet haben, sodass die zahlreichen Erwähnungen der Großkatze und die ihr zugeschriebenen Eigenschaften erwartungsgemäß in einer literarischen Tradition stehen. An diesem Punkt hakt der Verfasser des hier vorzustellenden Buches ein, das auf einer im Jahre 2002 von der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum angenommenen Dissertation beruht. Ausgehend von der Beobachtung, dass im lateinischen Westen vor allem seit dem 12. Jahrhundert etliche Herrscher mit einem Löwenbeinamen versehen oder aber mit einem Löwen verglichen wurden, fragt Jäckel hauptsächlich nach der Herkunft und der Deutung des Löwenbildes im Zusammenhang mit ebendiesen Herrschern.

Während ein derartiges Unternehmen vor nicht allzu langer Zeit noch eines großen Vorlaufs bedürft hätte, führen die mittlerweile elektronisch verfügbaren Quellen rasch zu den einschlägigen Belegen, die es aber wie gewohnt zu systematisieren gilt. Jäckel geht von 36 Männern aus, die den Beinamen "der Löwe" erhalten haben oder mit dem Raubtier verglichen wurden (21-121). Die Liste reicht von König Chlodwig I. (gestorben 511) über Karl den Großen (gestorben 814), Kaiser Heinrich IV. (gestorben 1106), Erzbischof Anno II. von Köln (gestorben 1075), Heinrich II. Plantagenêt (gestorben 1189), Karl I. von Anjou (gestorben 1285) und Llywelyn den Großen von Wales (gestorben 1240), deren Löwenbezug insgesamt aber eher vage bleibt, bis hin zu berühmten Beinamenträgern wie Heinrich den Löwen (gestorben 1195) und Richard Löwenherz (gestorben 1199). [2] Der letzte mit dem Löwennamen versehene Herrscher überhaupt war Fürst Heinrich II. von Mecklenburg (gestorben 1329). Bis auf den Piastenfürsten Bolesław I. Chrobry (gestorben 1025) spart Jäckel negative Löwenvergleiche allerdings aus.

Auf diesem Hintergrund wird das Material in immer feineren Verästelungen zeitlich und inhaltlich entfaltet. Die Überschriften der jeweils mit einer Zusammenfassung endenden Großkapitel lauten "Der löwengleiche Herrscher im Altertum" (122-135), "Der Löwe in der antiken und mittelalterlichen Theologie und Hagiographie" (136-169), "Der Löwe als exemplum in Bestiarien, Herrscherspiegeln und verwandten Schriften" (170-195), "Der Platz des Löwen in der hochmittelalterlichen Tierdichtung" (196-201), "Der löwenhafte Held in Epos und Roman (bis ca. 1300)" (202-241), "Der Löwe in Herrscherprophezeiung, Traumdeutung und Vision" (242-281), "Der Löwe in der Herrschaftsikonographie des Westens" (282-307) und "Löwen des Ostens: Byzantinische und islamische Herrschaftsdarstellung" (308-325). Jäckel eröffnet also weite Perspektiven, geht über historische Quellen im engeren Sinne hinaus, bezieht volkssprachige, griechische und arabische Texte ebenso mit ein wie Sachüberreste und zeigt, dass sein Buch weit mehr bietet als der Titel sagt, denn im Grunde handelt er über Löwenbilder vom Alten Orient bis weit ins Mittelalter.

Lobenswert ist grundsätzlich die große Fülle des ausgebreiteten und bei Schriftquellen mit deutscher Übersetzung versehenen Materials, das einen zeitlich und räumlich übergreifenden Vergleich überhaupt erst ermöglicht. Diesen Vergleich zieht Jäckel in einer ausgesprochen prägnanten Zusammenfassung (326-329), deren Ergebnisse zwar nicht überraschen, ihn aber von dem von bekannter Stimme erhobenen Vorwurf, den "Gefahren des neopositivistischen Rausches" verfallen zu sein, nachdrücklich befreien. [3] Zunächst betont er die Disparität der literarischen Überlieferung und ihrer Rezeption, denn das Löwenbild war nicht zuletzt nach biblischem Muster auch negativ besetzt. Trotzdem überwog im frühen Mittelalter eine "transzendente Deutung der Löwensymbolik" (326) im theologischen Sinne, die Herrschervergleiche und Löwenbeinamen eher erschwerte. Das änderte sich unter dem Einfluss der entstehenden höfischen Kultur, in deren Literatur die großen Katzen vermehrt vorkommen und die Herrscher nunmehr ohne Vorbehalte mit ihnen verglichen wurden. Auf diesem Hintergrund unterscheidet Jäckel sodann mehrere Bedeutungsebenen, die den löwenähnlichen Fürsten mit Tapferkeit, Gerechtigkeitsempfinden sowie Heiden- und Ketzerbekämpfung in Verbindung bringen, sodass er sich schließlich "zunehmend moralisch aufgeladen" (328) dem Christuslöwen annäherte. Unter dem Strich dienten alle positiven Löwenvergleiche einschließlich der Beinamen der Herrscherlegitimation.

Als Kritikpunkt wird man gleichwohl hervorheben müssen, dass die einzelnen Kapitel nicht hinreichend miteinander verknüpft sind und die Benutzbarkeit des Buches dadurch beeinträchtigt wird. Wenn beispielsweise Kaiser Lothar III. (gestorben 1137) nach einer Quelle als leo efferatus vorgestellt wird (49 f.), dann wäre ein Hinweis auf die folgenden Kapitel, die eben diesem Motiv nachspüren, äußerst sinnvoll gewesen. Anders gesagt fehlen verklammernde Motiv- und Stellenregister, die das für sich genommen nur wenig aussagekräftige Personenregister (365-374) hätten ergänzen müssen.

Trotz dieses Vorbehalts wird sich das Buch als ein etwas umständlich zu gebrauchendes Nachschlagewerk zweifelsohne bewähren, zumal es sich in einen Kreis ähnlich orientierter Werke gut einfügt und das Verständnis unserer Quellen erheblich befördert. [4]


Anmerkungen:

[1] Vgl. Karl Hauck: Tiergärten im Pfalzbereich, in: Deutsche Königspfalzen. Beiträge zu ihrer historischen und archäologischen Erforschung, Bd. 1 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 11/1), Göttingen 1963, 30-74, Gerd Althoff: Löwen als Begleitung und Bezeichnung des Herrschers im Mittelalter, in: Xenja von Ertzdorff (Hg.): Die Romane von dem Ritter mit dem Löwen (= Chloe. Beihefte zum Daphnis, 20), Amsterdam / Atlanta GA 1994, 119-134.

[2] Zu den Welfen ist jetzt zu ergänzen Matthias Becher: Der Name 'Welf' zwischen Akzeptanz und Apologie. Überlegungen zur frühen welfischen Hausüberlieferung, in: Dieter R. Bauer / Matthias Becher (Hg.): Welf IV. - Schlüsselfigur einer Wendezeit. Regionale und europäische Perspektiven (= Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte. Beiheft 24; Reihe B), München 2004, 156-198.

[3] Michael Borgolte: Löwenbelege, zusammengeklebt. Wo versteckt Dirk Jäckel die spezielle Urteilskraft des Historikers?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 35 vom 10. Februar 2006, 47.

[4] Vgl. zum Beispiel Wilfried Schouwink: Der wilde Eber in Gottes Weinberg. Zur Darstellung des Schweins in Literatur und Kunst des Mittelalters, Sigmaringen 1985 sowie aktuell Oliver Münsch: Tiersymbolik und Tiervergleiche als Mittel der Polemik in Streitschriften des späten 11. Jahrhunderts, in: Historisches Jahrbuch 124 (2004), 3-43.

Bernd Schütte