Rezension über:

Donald R. Kennon / Thomas P. Somma (eds.): American Pantheon. Sculptural and Artistic Decoration of the United States Capitol, Athens, OH: Ohio University Press 2004, VIII + 291 S., 16 plates, ISBN 978-0-8214-1443-9, GBP 19,95
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Rezension von:
Christian Hecht
Institut für Kunstgeschichte, Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Stefanie Lieb
Empfohlene Zitierweise:
Christian Hecht: Rezension von: Donald R. Kennon / Thomas P. Somma (eds.): American Pantheon. Sculptural and Artistic Decoration of the United States Capitol, Athens, OH: Ohio University Press 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/7049.html


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Donald R. Kennon / Thomas P. Somma (eds.): American Pantheon

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Die Beschäftigung mit nationalen Symbolbauten fällt immer schwer. Diese Tatsache wird auch bei der Lektüre des vorliegenden Werkes über das Kapitol in Washington deutlich. Man fühlt nicht selten, wie schwer die amerikanische Geschichte auf den Autoren lastet. Wahrscheinlich gibt es gar keine andere Möglichkeit, als die vielfältigen Probleme in einer historischen Perspektive zu sehen. Dieser Aufgabe hat sich sogar eine eigene Gesellschaft gewidmet, die "U.S. Capitol Historical Society", die auch für den vorliegenden Sammelband verantwortlich ist - den Letzten einer kleinen Reihe zur Kunstgeschichte des Kapitols. [1] Die Bände gehen auf verschiedene Tagungen zurück, die seit 1998 stattgefunden haben. Es handelt sich aber jeweils um weitgehend selbstständige Publikationen. Die Verfasser sind z. T. schon seit Jahren mit dem Kapitol bestens vertraut, so arbeitet etwa William C. Allen als Architekturhistoriker im Büro des "Architect of the Capitol".

Allens Aufsatz steht am Beginn des Sammelbandes: "Pantheon on the Potomac. The Architectural Evolution of the Capitol Rotunda" (1-22). Der Autor gibt einen kurzen Überblick über die historische Entwicklung der Rotunde, angefangen von den ersten Ideen George Washingtons bis hin zum jetzigen Bau. Da diese Ereignisse dem amerikanischen Publikum wohl völlig präsent sind, verzichtet Allen leider weitgehend auf einen Anmerkungsapparat, obwohl er sicher mit den einschlägigen Quellen bestens vertraut ist. Die noch recht unbestimmten Ideen Washingtons wurden von Thomas Jefferson weitergedacht. Die von beiden propagierte ideengeschichtlich orientierte Art des Umgangs mit Architektur sollte die weitere Geschichte des gesamten Baus und vor allem die seiner Kuppel bestimmen. Es handelte sich im Grunde um eine - im Sinne des späten 18. Jahrhunderts - dilettantische Vorgehensweise, wie sie nicht nur den ersten Wettbewerb, sondern letztlich die gesamte Baugeschichte prägen wird. Ein zentrales Ergebnis der frühen Planungstätigkeit ist der auf 1797 zu datierende Entwurf des Arztes William Thornton. Das Neue der Bauaufgabe wird hier sehr gut deutlich. Es handelt sich um einen spätbarocken Palastbaus, der mit einer sakral wirkenden großen Kuppel kombiniert wird. Eine hohe, städtebaulich wirksame Kuppel ließ sich jedoch nicht in der Gestalt des Pantheons errichten. Vom Vorbild dieses römischen Bau wollte man trotzdem nicht abgehen. Thornton will daher das "Pantheon" in der Baumasse der konzipierten Palastanlage verstecken und hinter ihm einen zusätzlichen Kuppelbau errichten, der eine weithin sichtbare Landmarke geworden wäre. Das Dilemma der weiteren Bau- und Ausstattungsgeschichte des Kapitols wird sehr deutlich: Wie konnte die Idee des Pantheons mit der Idee einer hohen, weithin sichtbaren Kuppel verbunden werden? Wie konnte das mithilfe der Säulenordnungen geschehen? Hier ergaben sich jene - im Grunde unlösbaren - Probleme, die auch für die malerische und skulpturale Ausstattung des Gebäudes entscheidend wurden. Vielleicht hätte es der vorliegenden Publikation gut getan, diese innere Abhängigkeit der Ausstattung von der vorgegebenen Architektur intensiver zu betonen.

Die frühen Entwürfe und die ersten Bauphasen des Kapitols konnten nicht überzeugen. Erstaunlicherweise erinnern sie z. T. sogar noch an hochbarocke Lösungen. Thorntons Planung besitzt jedenfalls wegen der unteren Säulenstellung des geplanten hohen Kuppelbaus eine gewisse phänotypische Ähnlichkeit mit Berninis Entwürfen für Santa Maria Maggiore in Rom. An eine direkte Beziehung wird man dennoch nicht denken. Derartige Fragen spielen allerdings nicht nur im Aufsatz von Allen eine untergeordnete Rolle; hier wie auch sonst geht es eher um historische und ideengeschichtliche und weniger um kunstgeschichtliche Fragestellungen. Thorntons Zwitterlösung wurde bekanntlich nicht verwirklicht; nach einer langen Bau- und Umbaugeschichte wurde schließlich eine außerordentlich hohe Kuppel errichtet, die der Architekt Thomas U. Walter geplant hatte. 1862 war das Äußere des Baues vollendet. Das Pantheon bekam gewissermaßen eine riesige Tambourzone.

Die beiden folgenden Aufsätze stammen von Pamela Potter-Hennesey, die sich mit der frühen plastischen Ausstattung des Kapitols beschäftigt. (23-58 und 59-71). Sie betont besonders die Rolle der italienischen Bildhauer. Wie bei mehreren anderen Artikeln geht es vor allem um die Herausstellung der inhaltlichen Komponenten und der gesellschaftlichen Bezüge, während die im strengen Sinne kunsthistorischen Aspekte eine eher untergeordnete Rolle spielen. Eine Ausnahme ist hier der Aufsatz von Irma B. Jaffe über die vier großen Historienbilder von John Trumbull (72-89). Diese herausragenden Werke prägen bis heute die Vorstellungen von der Epoche des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Völlig zu Recht stellt die Verfasserin das Problem der Tugend in den Mittelpunkt ihrer Abhandlung. Sie spannt dabei den Bogen bis zu den visuellen Strategien heutiger Filme. Auch und gerade bei diesem zentralen Aufsatz hätte man jedoch einen etwas ausführlicheren Anmerkungsapparat erwartet. Einen erheblich genaueren Eindruck der historisch belegbaren Zusammenhänge liefert der sehr gelungene Text von Thomas P. Somma zu David d'Angers Statue von Thomas Jefferson (90-109). Vom selben Autor folgt eine ebenso anregende Untersuchung zu Henry Kirke Browns "Thinking Negro" von 1855 - einer Figur, die als Bestandteil eines nicht ausgeführten Tympanonreliefs geplant war. Somma gelingt auch hier eine glückliche Verbindung der historischen, der genuin kunsthistorischen und der sozialgeschichtlichen Aspekte. Besonders überzeugend ist in diesem Artikel die Einbettung der zentralen Gedanken in die ikonografische Tradition. Gerade das wird man von den folgenden Aufsätzen vielleicht nicht immer behaupten können, da bei ihnen die historische Untermauerung der gelegentlich recht pointierten Thesen nicht immer sofort deutlich wird. Aber trotz der großen Sorge um politische Korrektheit, die besonders in den einschlägigen Passagen zu Sklaverei- bzw. zu Frauenthemen zu spüren ist, neigen die Verfasser generell zu einer insgesamt recht unaufgeregten Vorgehensweise. Die Empörung über diejenigen, die es in der Vergangenheit noch nicht so herrlich weit gebracht hatten wie wir, hält sich in vernünftigen Grenzen.

Die Erhöhung der Kuppel durch Thomas U. Walter erforderte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Neukonzeption der Dekoration. Man beauftragte den aus Rom stammenden Maler Constantino Brumidi mit einem zentralen Kuppelbild sowie einem umlaufenden gemalten Fries. [2] Brumidi versuchte, auf dem allerhöchsten formalen und inhaltlichen Niveau zu arbeiten. Sehr deutlich sind etwa die Bezüge zur Antike und zu Raffael; vor allem aber bietet er ein ganzes "kleines Völkchen" spätest- bzw. neubarocker Personifikationen auf. Auch wenn Brumidi gelegentlich sogar ins unfreiwillig Komische abgleitet, sind seine Werke doch gerade deshalb ein dankbares Arbeitsfeld für Kunsthistoriker, wie die beiden vorliegenden Aufsätze bestens belegen. Betont wird hier vor allem die Unzulänglichkeit der überkommenen allegorischen Prinzipien. Auf der anderen Seite zeigt sich jedoch die große Belastbarkeit der ebenso alten dekorativen Regeln.

Der vorliegende Sammelband ist zweifellos sehr verdienst- und qualitätvoll. Allerdings liefert er vor allem Informationen über die Deutungsgeschichte des Kapitols, während viele historische Fakten mehr oder weniger als bekannt vorausgesetzt werden. Offensichtlich hatten sich die Autoren (oder die Herausgeber?) im Vorfeld darauf geeinigt, das Buch nicht mit "wissenschaftlichem Ballast" zu befrachten, wahrscheinlich um das viel umworbene breite Publikum nicht abzuschrecken. Das ist sicher schade, denn so wird man wohl bei manchen Fragen immer noch auf die alten, z. T. noch aus dem 19. Jahrhundert stammenden Arbeiten, etwa von George C. Hazelton, zurückgreifen müssen. Trotzdem bleibt insgesamt ein positives Bild. Wer sich über das "American Pantheon" informieren will und wer dabei gleichzeitig erfahren möchte, wie heutige amerikanische Kunsthistoriker zu diesem nationalen Symbolbau stehen, der wird hier in wirklich reichem Maße fündig werden.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Donald R. Kennon (ed.): The United States Capitol. Designing and Decorating a National Icon. 2000

[2] Barbara A. Wolanin: Mythology, Allegory, and History. Brumidi's Frescoes for the New Dome, 176-203; Francis V. O'Connor: Constantino Brumidi as Decorator and History Painter. A Iconographic Analysis of Two Rooms in the United States Capitol, 204-219.

Christian Hecht