Rezension über:

Emma Dench: Romulus' Asylum. Roman Identities from the Age of Alexander to the Age of Hadrian, Oxford: Oxford University Press 2005, xi + 441 S., ISBN 978-0-19-815051-0, GBP 60,00
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Rezension von:
Rene Pfeilschifter
Department of Classics and Ancient Mediterranean Studies, The Pennsylvania State University, University Park, PA
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Rene Pfeilschifter: Rezension von: Emma Dench: Romulus' Asylum. Roman Identities from the Age of Alexander to the Age of Hadrian, Oxford: Oxford University Press 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/9350.html


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Emma Dench: Romulus' Asylum

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Romulus soll eine Zufluchtsstätte geschaffen haben, die jeden Verfolgten aufnahm, vom Sklaven bis zum Mörder. Dank des Asyls soll die Bevölkerung des jungen Rom schnell angewachsen sein. Die ethnischen Wurzeln der Stadt waren nach dieser Erzählung vielfältig, und sie eröffnet den Blick auf eine komplexere Selbstwahrnehmung der Römer, als es die lange in der Forschung vorherrschende Konzentration auf die rechtliche Konstruktion der römischen Bürgergemeinde nahe legte, die sich scharf von anderen Gemeinschaften abgrenzte. Dench untersucht die römischen Identitäten - eine einzige, einheitliche Identität für ein ganzes Volk ist ja undenkbar - in fünf thematischen Blöcken: Ethnografie, Bürgerrecht, Italien, Körper sowie Sprache und Literatur. Jeder Abschnitt soll dabei eine Kulturgeschichte des jeweiligen Themas ergeben. Die Abhandlungen setzen, schon wegen der Quellenlage, jeweils um etwa 300 v. Chr. ein. Das im Untertitel angesprochene Zeitalter Alexanders ist wohl eher dem Wunsch des Verlages geschuldet, einen Eye catcher prominent zu platzieren, als irgendeinem konkreten Zusammenhang mit Alexander dem Großen. Warum Hadrian den Schlusspunkt bildet, wird nirgends erläutert.

Einer eher essayistischen Einleitung (1-35) folgt der erste Abschnitt über die Ethnografie (37-92). Dench behandelt die einschlägige Schriftstellerei von Herodot bis Lukian, die Auseinandersetzung mit fremden Völkern wie Kelten und Germanen, mores als römisches Alleinstellungsmerkmal, die scheinbare Dichotomie zwischen römischem Tatmenschen und griechischem Künstler, den Triumph sowie den Luxus als Dekadenzkriterium.

Das nächste Kapitel handelt vom Bürgerrecht (93-151). Zunächst wird die römische Selbstsicht auf die generöse Praxis der Bürgerrechtsgewährung entwickelt, um dann mittels eines historischen Durchgangs als subjektive Eigengeschichte ins rechte Licht gerückt zu werden: Schon die scheinbar so großzügigen Bürgerrechtsverleihungen an ganze Gemeinden im vierten und dritten Jahrhundert dienten oft der politischen Vernichtung des besiegten Feindes. Gut beobachtet ist, dass der Armeedienst in lokal oder regional aufgestellten Einheiten das jeweilige Identitätsgefühl der Bundesgenossen stärkte, aber deswegen kann noch keine Rede davon sein, dass das römische Heer in seiner Vielfalt Ähnlichkeit mit der persischen Armee besaß, so wie sie Herodot darstellt (124); Bundesgenossen und Römer waren immerhin identisch ausgerüstet und bewaffnet.

'The Idea of Italy' ist Thema des dritten Abschnitts (152-221). Straßenbau und Deportationen waren wesentliche Mittel der römischen Durchdringung der Halbinsel, doch was sie über die römische Identität hinsichtlich Italiens aussagen, bleibt unklar: Uns fehlen jegliche Quellenzeugnisse über diesbezügliche Reflexionen von römischer Seite. Dafür erfahren wir aus Catos Origines eine Menge zumindest über des Zensors Sicht der Dinge. Wie schon öfters beobachtet, bettet Cato die Geschichte der italischen Völker in die römische ein, geht also durchaus herrschaftsbewusst vor, aber er ist deswegen nicht unsensibel gegenüber der Verschiedenheit der zahlreichen Ethnien. Dench behandelt noch Cicero und Varro, bevor sie sich ausführlich der Augusteischen Epoche zuwendet. Die verschiedenen Zeugnisse, vor allem natürlich die literarischen, werden dabei nicht bloß als Reflex antiquarischer Neigungen, als Material für die Rekonstruktion des frühen Rom oder als Beleg politischer Instrumentalisierung angesehen, sondern als Ausdruck eines nochmals erweiterten römischen Horizonts. Die Augusteischen regiones und die feriae Latinae finden in dieser Perspektive ebenso ihren Platz wie lokale Theaterbauten, munizipale Eliten, Apparitores, das Lateinische, Livius und Vergil.

Das nächste, 'Flesh and Blood' überschriebene Kapitel (222-297) beginnt mit einer umfangreichen, vor allem auf den angloamerikanischen Raum konzentrierten Analyse der Forschungsgeschichte zu den Themen Rasse, Abstammung, physisches Aussehen. Dass derartige Kategorien in der Antike durchaus eine bedeutende Rolle spielten - was freilich nur die wenigsten abstreiten dürften -, beweisen schon die umfangreichen Diskurse über das 'griechische Blut' der Römer oder deren multiethnische Abkunft. Weiter erörtert Dench das körperliche Aussehen, in der Lebenswirklichkeit wie in der Kunst, und die Kleidung, wofür Augustus' Bestehen auf der Toga als der römischen Bekleidung schlechthin natürlich das beste Beispiel liefert. Zuletzt geraten Abweichungen von der italischen Norm, von physischen Deformierungen bis zur Andersartigkeit der Äthiopier, in den Blick und damit die Frage nach der Rigorosität und der (schwierigen) Überwindbarkeit solcher Grenzen im antiken Denken.

Die Sprache macht fast immer deutlich, wer zu einem bestimmten sozialen Milieu gehört und wer nicht. Die römische Elite konnte sich dank ihrer von Aufsteigern ebenso abgrenzen, wie die Benutzung des Lateinischen durch Unterworfene die Assimilationsfähigkeit der römischen Kultur bewies. Das letzte Kapitel gilt daher Sprache und Literatur (298-361). Dench behandelt vor allem Fallbeispiele: Cicero, Varro (für die Sprache), Catull, Flavius Iosephus (für die Literatur). Einem knappen Epilog (362-368) folgen ein Literaturverzeichnis - neuere deutschsprachige Literatur bleibt weitgehend ausgeklammert - und das Register.

Denchs Buch enthält eine Fülle interessanter Beobachtungen und Anstöße, aber leider fügen sie sich nicht zu einem Ganzen. Die Kapitel stehen für sich, und auch diese sind nicht kohärent. Das liegt einmal an einer durchweg assoziativen Gedankenführung, die dem Leser, wenigstens dem Rezensenten, öfters Rätsel aufgibt. Dann ist das Buch deutlich zu umfangreich: Die den chronologischen Durchgang fast stets einleitenden Ausführungen über die Griechen oder andere Kulturen sind als Folie, manchmal auch als Voraussetzung für den römischen Diskurs gedacht, aber sie sind schlicht zu lang für ein Buch, das von Rom handelt. Zum Beispiel beginnt der Abschnitt über Flavius Iosephus auf Seite 344, nur um bald in eine allgemeine Erörterung über die jüdische Auseinandersetzung mit griechischen Mächten und Rom abzuschweifen, bevor Dench auf Seite 353 zu Iosephus zurückkehrt. Andererseits ist das Buch zu kurz: Des Öfteren geht es im Parforceritt durch die römischen Epochen, ohne dass Zeit bleibt für eine Tiefenanalyse der jeweiligen kulturellen Situation. Die über die verschiedenen Kapitel verstreuten Einsprengsel über Augustus etwa würde man gerne im Zusammenhang lesen, dann aber eingehender erörtert.

Zwischen Fremd- und Selbstbeobachtung wird meist nicht sorgfältig genug unterschieden. Zum Beispiel sagt Dench zwar, dass Polybios und Cicero das politische System der Republik "in rather different ways" (107) analysierten, nennt aber den offensichtlichsten Grund dafür nicht: Der eine war Außenseiter, der andere entwarf ein Bild von innen. Trotzdem werden beide aneinander gereiht, bezeichnenderweise ohne vergleichende Synthese. Überhaupt werden kaum einmal Ergebnisse festgehalten, die dem Leser Orientierung und Ruhepunkt zu geben vermögen. Die häufige Verwendung von klingenden Vokabeln wie 'vision' und 'conceptualizing' vermag über die Vermeidung inhaltlicher Festlegung letztlich nicht hinwegzutäuschen. Letztlich bleibt als Essenz des Buches die Einsicht, dass die Konstruktion der römischen Identitäten ein komplexer, nie abschließbarer und natürlich nicht eindeutig zu fixierender Prozess war. Die Schwierigkeit des Gegenstandes spiegelt das Buch nur zu deutlich wider, und man wünschte sich, Dench hätte sich mit einem weniger umfassenden Ansatz begnügt. Die spannenden Einsichten, die sie dem Leser immer wieder bietet, zeigen nämlich, wie gewinnbringend die Auseinandersetzung mit der römischen Selbstsicht sein kann.

Rene Pfeilschifter