Rezension über:

Bernhard Kreutz: Städtebünde und Städtenetz am Mittelrhein im 13. und 14. Jahrhundert (= Trierer Historische Forschungen; Bd. 54), Trier: Kliomedia 2005, 538 S., ISBN 978-3-89890-097-3, EUR 82,00
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Rezension von:
Manfred Groten
Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Manfred Groten: Rezension von: Bernhard Kreutz: Städtebünde und Städtenetz am Mittelrhein im 13. und 14. Jahrhundert, Trier: Kliomedia 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 1 [15.01.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/01/11504.html


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Bernhard Kreutz: Städtebünde und Städtenetz am Mittelrhein im 13. und 14. Jahrhundert

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Während die ältere stadtgeschichtliche Forschung die Stadt vorwiegend isoliert als Gemeinwesen mit eigenem unverwechselbaren Profil untersucht hat, tritt seit einiger Zeit eine neue Betrachtungsweise in den Vordergrund, die die einzelne Stadt in ihren vielfältigen Beziehungen zu anderen Städten in Räumen mittlerer Größe in den Blick nimmt. Die Beziehungen von Städten zueinander werden als teilweise hierarchisch strukturiertes Netzwerk dargestellt. Ein Städtenetz als Raum konstituierender Faktor kann den übrigen von der Landesgeschichte seit Langem erforschten Faktoren der Abgrenzung von Geschichtsräumen oder -landschaften zugesellt werden. Das Institut für vergleichende Städtegeschichte in Münster hat sein Frühjahrskolloquium 2002 dem Thema Städtenetz gewidmet. [1] Aus dem Teilprojekt B 2 des Trierer Sonderforschungsbereichs 235 (Zwischen Maas und Rhein) "Die Stadt zwischen Maas und Rhein im Herrschafts- und Sozialgefüge des hohen und späten Mittelalters im Vergleich" ist die vorliegende Dissertation hervorgegangen, die der Projektleiter Alfred Haverkamp betreut hat. [2]

Bernhard Kreutz macht es dem Leser nicht ganz leicht, weil er wiederholt falsche Fährten legt. Die Themenstellung ist zweifellos aus der Trierer Städtenetzforschung hervorgegangen. Im Titel der Dissertation erscheint jedoch an erster Stelle der Begriff "Städtebünde", womit ein neuer Aspekt ins Spiel gebracht wird. Städtenetze sind letztlich geschichtswissenschaftliche Konstrukte, denen keine Wahrnehmung der Zeitgenossen entsprochen haben muss, Städtebünde waren dagegen bewusst herbeigeführte, rechtlich definierte Bündnisse zwischen Städten. Die Reichweite von Städtebünden wurde, wie auch die zu besprechende Arbeit zeigt, keineswegs durch Städtenetze bestimmt. Die beiden Phänomene folgten je eigenen Gesetzen. Städtebünde sind nun keineswegs wissenschaftliches Neuland. Dennoch beschäftigt sich der Verfasser erneut, und zum Teil durchaus mit Gewinn, mit diesem Thema, während man zusammenhängende Ausführungen zum Städtenetz nur an wenigen Stellen des Buches findet.

Wenn man sich das Inhaltsverzeichnis der Arbeit ansieht, wird man mit einer neuen Wendung der Fragestellung konfrontiert. Die Städtebünde sollen nämlich primär aus der Perspektive einer einzigen Stadt, nämlich Worms, betrachtet werden. "In der vorliegenden Arbeit soll versucht werden, die traditionell getrennt betrachteten Ebenen der Reichs-, der Landes- und der Stadtgeschichte anhand von Beispielen [!] aus der inneren Wormser Verfassungsgeschichte wie aus den auswärtigen Beziehungen der Stadt zusammenzuführen."; so lautet das Programm auf Seite 30. Welche neuen Erkenntnisse aus dieser ungewöhnlichen Perspektive gewonnen werden sollen, führt der Verfasser nicht weiter aus. Eine derart einschneidende Verschiebung der Betrachtungsebene und Reduzierung des Arbeitsfeldes hätte eigentlich in einem Untertitel angekündigt werden müssen. Die Lektüre des Werks zeigt dann aber, dass auch das Inhaltsverzeichnis irreführend ist, denn die Ausführungen zu den Städtebünden nehmen bei Weitem den meisten Raum ein, ohne das die Stadt Worms in diesen Abschnitten eine besondere Berücksichtigung finden würde.

Der Verfasser klärt zunächst Voraussetzungen seiner Arbeit, indem er eine gut durchdachte Definition des Raumbegriffs "Mittelrhein" entwickelt (31-34). Der Mittelrhein wird sodann als Städtelandschaft charakterisiert und zu Herrschaftsräumen in Beziehung gesetzt.

Kapitel 2 "Worms im mittelrheinischen Städtenetz" (61-376) dominiert von seinem Umfang her das Werk. Der Verfasser behandelt in Unterkapitel 1 für den Zeitraum von 1226 bis 1302/03 (vorgeblich) aus Wormser Perspektive "gemeinsame Außenbeziehungen" (der mit Worms in Städtebünden organisierten Städte) und "innerwormsische Entwicklung" jeweils in eigenen Abschnitten. Auf der bündischen Ebene werden der Rheinische Bund von 1254/56 und der mittelrheinische Städtebund von 1293 etwas ausführlicher betrachtet, allerdings ohne wesentliche neue Erkenntnisse. Die Verfassungsgeschichte der Stadt Worms, die schon Burkhard Keilmann bearbeitet hat [3], wird vor allem als Folge von Konflikten zwischen den Bischöfen und den Bürgern dargestellt, mit den drei Rachtungen von 1233, 1293, 1300 und dem Vertrag mit Bischof Eberwin von 1303 als Wegmarken. Die Wormser Bürgerschaft wird recht monolithisch gesehen. Eine Weiterführung der von Sabine Happ [4] begonnenen Analyse der Wormser Führungsgruppen hat der Verfasser nicht versucht. Schwerer wiegt angesichts seines Themenschwerpunkts, dass er auch auf eine eingehende Erörterung der Wechselwirkungen zwischen der städtischen und der bündischen Ebene weitgehend verzichtet hat. Die strikt durchgehaltene Trennung der beiden Ebenen in der Gliederung bietet für eine Zusammenschau von Reichs- Landes- und Stadtgeschichte allerdings auch kaum Ansatzpunkte.

In den Unterkapiteln 3 ("Das frühe 14. Jahrhundert"), 4 ("Die Mitte des 14. Jahrhunderts") und 5 ("Der Rheinisch-Schwäbische Bund von 1381 bis 1389") wird die Gliederung um Abschnitte über "die zwischenstädtische Ebene" erweitert (vgl. wiederum die Erläuterung auf Seite 30). Der Begriff "zwischenstädtisch" erweist sich aber als unglücklich gewählt, denn in diesen Abschnitten wird nicht in erster Linie die Kommunikation zwischen Worms und anderen Städten untersucht (so das Vorhaben), es werden vielmehr überwiegend Ereignisabläufe in anderen Städten (Mainz, Speyer, Straßburg u. a.) behandelt, auf die Worms nur gelegentlich Einfluss genommen hat. In den dem 14. Jahrhundert gewidmeten Unterkapiteln tritt die Wormser Geschichte ohnehin immer weiter in den Hintergrund und macht nur noch etwa 10% des Textes aus. Zunehmend ausführlicher werden vielmehr die Städtebünde behandelt, Unterkapitel 5 liest sich wie eine Monografie über den Rheinisch-Schwäbischen Bund (208-367).

In Kapitel 3 wechselt die Perspektive. Hier werden systematisch "Instrumente und Konstanten der gemeinsamen städtischen Politik" zusammengestellt (377-456). Behandelt werden zunächst formale und inhaltliche Aspekte zwischenstädtischer Verträge sowie das Botenwesen. Sodann werden Kontinuität und Wandel der Bundessysteme und Formen der Programmatik und Legitimierung erörtert.

Die Schlussbetrachtung in Kapitel 4 widmet sich noch einmal zusammenfassend der Position der Stadt Worms im mittelrheinischen Städtenetz und grenzt dieses Städtenetz gegen Nachbarräume (nördlicher Mittelrhein, Wetterau, Oberrhein, Elsass, Schwaben) ab (457-480).

Die Arbeit bietet keine spektakulären weiterführenden Ergebnisse. Ihre Stärke liegt in der akribischen Analyse der gedruckten Quellen und der umfassenden kritischen Auswertung der Sekundärliteratur, die den Verfasser in die Lage versetzen, an nicht wenigen Stellen die vorliegenden Darstellungen zu korrigieren, zu differenzieren und zu vertiefen. Schade ist, dass der Verfasser sich nicht so recht hat entscheiden können, was er eigentlich schreiben wollte. Seine Konzeption erscheint widersprüchlich. Sie ist in der Arbeit auch nicht durchgehalten worden. Am ehesten wird man die Dissertation als Beitrag zur Erforschung der Städtebünde heranziehen können.


Anmerkungen:

[1] Städtelandschaft - Réseau urbain - Urban Network. Städte im regionalen Kontext in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Holger Th. Gräf / Katrin Keller (= Städteforschung A/62), Köln / Weimar / Wien 2004; von Kreutz nicht berücksichtigt (vgl. 27); s. hierzu die Rezension von Helmut Flachenecker, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 2 [15.02.2005], URL: http://www.sehepunkte.de/2005/02/6371.html>.

[2] Vgl. auch Städtelandschaft - Städtenetz - zentralörtliches Gefüge. Ansätze und Befunde zur Geschichte der Städte im hohen und späten Mittelalter, hg. von Monika Escher, Alfred Haverkamp, Frank G. Hirschmann (= Trierer Historische Forschungen, 43), Mainz 2000.

[3] Burkhard Keilmann: Der Kampf um die Stadtherrschaft in Worms während des 13. Jahrhunderts, Marburg 1985.

[4] Sabine Happ: Stadtwerdung am Mittelrhein. Die Führungsgruppen von Speyer, Worms und Koblenz bis zum Ende des 13. Jahrhunderts (= Rheinisches Archiv, 144), Köln / Weimar / Wien 2002.

Manfred Groten