Rezension über:

Susanne Hilger: "Amerikanisierung" deutscher Unternehmen. Wettbewerbsstrategien und Unternehmenspolitik bei Henkel, Siemens und Daimler-Benz (1945/ 49-1975) (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte; 173), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004, 314 S., ISBN 978-3-515-08283-9, EUR 60,00
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Rezension von:
Ingo Köhler
Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Georg-August Universität, Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Michael C. Schneider
Empfohlene Zitierweise:
Ingo Köhler: Rezension von: Susanne Hilger: "Amerikanisierung" deutscher Unternehmen. Wettbewerbsstrategien und Unternehmenspolitik bei Henkel, Siemens und Daimler-Benz (1945/ 49-1975), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 3 [15.03.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/03/8196.html


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Susanne Hilger: "Amerikanisierung" deutscher Unternehmen

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"Die amerikanische Herausforderung" und mithin das (Vor-)Bild eines modernen, liberalen US-amerikanischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells fasziniert nicht erst seit dem Kriegsende die Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaften in Deutschland. Sie ist unter dem Schlagwort der "Amerikanisierung" geradezu zum Mythos, Leit- und Schreckensbild zugleich geworden und hat ausgehend von der wegweisenden Studie Volker Berghahns in den letzten 20 Jahren immer wieder die wirtschaftshistorische Forschung befruchtet. Gerade jüngst hat die Arbeit von Christian Kleinschmidt wesentlich dazu beigetragen, den oft als einseitigen Transfer von Technologie, Produktionsmethoden und Managementwissen beschrieben Amerikanisierungsbegriff aufzubrechen und ihn auf mikroökonomischer Ebene als interkulturellen Lern- und Austauschprozess mit der hybriden Tendenz zur gleichzeitigen Konvergenz und Differenzierung von Management- und Produktionspraktiken zu entlarven. [1]

Unter einer ähnlichen Fragestellung begibt sich auch Susanne Hilger in der vorliegenden Habilitationsschrift auf die Spuren der Amerikanisierung deutscher Unternehmen zwischen 1945 und 1975. Ziel ist, die Transfer- und Adaptionsmechanismen amerikanischer "Wirtschaftskultur" im Bereich des Marktverhaltens, der Produktionsmethoden und Managementpraktiken deutscher Industrieunternehmen zu untersuchen. Methodisch will sich die Arbeit am interkulturellen Transfers von "Ideen, Gütern und Menschen" (12) der new cultural history orientieren, konzentriert sich aber letztlich im Wesentlichen auf den Umgang mit neuen US-amerikanischen "Technologien, Geschäftspraktiken und Strategien" (11). Spannend erscheint insbesondere die gewissermaßen doppelt vergleichende Querschnittsanalyse - sowohl auf der Ebene unterschiedlicher Branchen (Investitionsgüter- und Konsumgüterindustrie), als auch einzelner unternehmerischer Funktionsbereiche der Marktpolitik und Unternehmensführung. Für die Untersuchung konnten umfangreiche neue Quellenbestände in den Konzernarchiven von Siemens, Daimler-Benz und Henkel gesichtet werden, die der Zunft zum Teil leider bis heute noch nicht für die eigentlich wohl selbstverständliche kritische Überprüfung nach wissenschaftlichen Kriterien zur Verfügung stehen.

Einleitend legt die Autorin durch eine prägnante Darstellung der Anfänge und Entwicklungsstränge der Amerikanisierungsdebatten in Deutschland eine wichtige Grundlage, um den Forschungsgegenstand auch historiografisch einzuordnen. Vorgeschaltet werden zudem die Kanäle des Wissenstransfers zwischen deutschen und amerikanischen Unternehmen skizziert, um Indikatoren und Instrumente der Analyse festzulegen.

Trotz der Breite der Fallbeispiele gelingt es im Hauptteil durch eine systematische Gliederung, die unterschiedliche Durchsetzungsfähigkeit amerikanischer Modelle in der deutschen Industrie aufzuzeigen. In einem ersten Abschnitt werden Amerikanisierungstendenzen in den so genannten Produktsektoren der Investitionsgüterindustrie (Kraftwerksbau, Mikroelektronik, Medizintechnik sowie Nutzfahrzeuge und Motoren) und der Konsumgüterindustrie (PKW, "Weiße Industrie", Waschmittel, Kosmetika und Körperpflege) untersucht. Dabei wird die Abhängigkeit der Adaption von den Variablen der Marktbeschaffenheit, des Wettbewerbsdrucks, der technologischen Rückständigkeit und der unterschiedlichen Nachfrageentwicklung nachgewiesen. Amerikanisierung, so könnte man Hilger zusammenfassen, passierte aber nur dort, wo sie aufgrund strategischer Erwägungen oder aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit unerlässlich erschien. Insbesondere die Ausführungen zu den Nischen- und Spezialmärkten zeigen gleichwohl, dass deutsche Unternehmen eine selbstbewusste Distanz zum amerikanischen Leitbild entwickelten.

In einem zweiten Abschnitt wendet sich Susanne Hilger den amerikanischen Einflüssen auf die Managementpraktiken deutscher Unternehmen zu. Auch hier verdeutlicht sie anhand der Untersuchungsfelder Produktion, Marketing, Organisation, Rechnungswesen, Personalmanagement und Unternehmenskommunikation, dass deutsche Unternehmenspolitik in sehr unterschiedlichem Maße von amerikanischen Know How beeinflusst wurde. Während Anregungen für die strategische Planung / Controlling und das Rechnungswesens relativ rasch aufgenommen wurden, da hier mit vergleichsweise geringen Kosten eine notwendige Steigerung der betrieblichen Effizienz erreicht werden konnte, konstatiert sie für die Implementierung neuer Produktionsmodelle und Organisationsformen, dem Personalmanagement und der PR-Arbeit eine nur langsame Adaption von amerikanischen Managementtechniken, die eher als "Anregungen und Fingerzeige" oder "benchmarks" (278 f.) dienten. Gerade der ersten kurzen Wirtschaftskrise in Deutschland 1966/67 wird schließlich eine Katalysatorfunktion für den Rückgriff auf die amerikanischen Erfahrungen mit erhöhter Wettbewerbsintensität auf enger werdenden Märkten zugesprochen.

Folgt man allerdings dieser überzeugenden Argumentation von einem direkten Zusammenhang zwischen Amerikanisierung und dem Wettbewerbsdruck auf heimischen und internationalen Märkten, so scheint es umso erstaunlicher, dass als Fazit gerade für die beginnenden 1970er-Jahre ein Bedeutungsverlust amerikanischer Einflüsse postuliert wird. Auch wenn diese These letztlich neuere Studien [2] bestätigt, die einhellig eine Abschwächung des Amerikadiskurses und des Transfers amerikanischer Management-Modelle betonen, so öffnet sie einen spannenden Dissens zwischen zunehmend negativer Rezeption und positiver praktischer Adaption amerikanischer Managementmethoden. Denn gerade in den konjunkturellen Krisenjahren der 1970er-Jahre griffen deutsche Unternehmen insbesondere in den Bereichen Marketing, Public Relations und Personalmanagement deutlich intensiver auf vorhandenes amerikanisches Managementwissen zurück.

Insgesamt liefert die quellengesättigte und gut strukturierte Studien einen wertvollen Beitrag zur Frage der Funktionsweise und Reichweite des deutsch-amerikanischen interkulturellen Transfers von Managementmethoden, Produkt- und Produktionsstrategien. Sie gibt damit nicht nur wichtige Hinweise zur Erklärung des Marktverhaltens und des Formwandels deutscher Industrieunternehmen in der Nachkriegszeit, sondern hilft das lange Zeit forschungsdominante Schlagwort der Amerikanisierung in einen komplexen Interaktions- und Differenzierungsprozess weiter zu dekonstruieren. So hält Hilger als zentrales Ergebnis fest, dass deutsche Unternehmen "mit Blick auf spezifische Umweltbedingungen und Wettbewerbsverhältnisse adäquate Inhalte der Marktpolitik und Unternehmensführung aus den USA in Sinne einer best practice übernahmen, dabei jedoch nie das eigene Umfeld, eigene Traditionen [...] aus dem Blick verloren" (282). Mit dem Nachweis einer selektiven Adaption bestätigt die Arbeit nicht nur bereits vorliegende Forschungsergebnisse, sondern fundiert sie überzeugend durch eine branchen- und sektorenübergreifende Fallstudienanalyse. Offen bleibt dagegen, inwieweit die ausgewählten Unternehmen als idealtypisch für die deutsche Industrie angesehen werden können, existierten bei diesen bereits früh international agierenden Firmen doch vermutlich deutlich stärker ausgebaute Wissen- und Informationskanäle zu den amerikanischen Märkten. Zu wenig wird auch auf die Beharrungskräfte deutscher Traditionen der Managementlehre eingegangen. Gerade etwa im Bereich der Organisation, des Personalwesens und des Absatzmarketings gab es starke eigene deutsche Entwicklungspfade, die in Verbindung mit spezifischen Rahmenbedingungen (wie etwa der Mitbestimmungsdebatte u. a.) für deutliche Grenzen der Rezeptionsbereitschaft und -fähigkeit deutscher Unternehmen führten. Hilfreich wäre hier vielleicht eine stärkere Einbindung des wirtschaftswissenschaftlichen Diskurses über die amerikanischen Modellangebote, um tiefer auf die Frage einzugehen, wie neues Wissen an die Unternehmen herangetragen, dort verarbeitet wurde und schließlich in einen veränderten Entscheidungsprozess einfloss. Über die direkte Transmission des interpersonellen Austausches hinaus könnte damit vielleicht auch der indirekte Wandel institutioneller Denk- und Lernformen (etwa durch die Managerausbildung) sowie die Anziehungskraft von "Managementmoden" stärker in den Mittelpunkt gehoben werden. Mit dem Buch von Hilger (und auch Kleinschmidt) können derartige Folgestudien auf bereits breiter Basis aufbauen.


Anmerkungen:

[1] Christian Kleinschmidt: Der produktive Blick - Wahrnehmung amerikanischer und japanischer Management- und Produktionsmethoden durch deutsche Unternehmer 1950-1985, Berlin 2002.

[2] M. Warner / A. Campell: German Management, in: David J. Hickson (Hg.): Management in Western Europe. Society, Culture and Organization in Twelve Nations, Berlin / New York 1993, 89-108; Robert R. Locke: The Collapse of the American Management Mystique, New York 1996; Kleinschmidt: Der produktive Blick (s. Anm. 1).

Ingo Köhler