Rezension über:

Nils Büttner: Geschichte der Landschaftsmalerei, München: Hirmer 2006, 416 S., 220 Farbabb., 17 Farbtaf., ISBN 978-3-7774-2925-0, EUR 135,00
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Rezension von:
Ursula Härting
Hamm
Redaktionelle Betreuung:
Dagmar Hirschfelder
Empfohlene Zitierweise:
Ursula Härting: Rezension von: Nils Büttner: Geschichte der Landschaftsmalerei, München: Hirmer 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/11/12957.html


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Nils Büttner: Geschichte der Landschaftsmalerei

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Die lang tradierte, doch irrige kunsthistorische Lehrmeinung von einer Entwicklung der Landschaftsmalerei aus dem religiösen Historienbild gilt unter Spezialisten schon länger als falsch. Und doch schien es geraten, auf die gänzlich andere Entwicklung und ihre Wurzeln hinzuweisen. Im vorliegenden Prachtband zur Geschichte der Landschaftsmalerei wird nun festgeschrieben, aus welch vernetztem Wurzelwerk die Landschaftsmalerei reifte, eben nicht nur aus der Tafelmalerei, sondern auch aus der Buchmalerei, der Kunst der Bildteppiche und den graphischen Künsten. "Die Erfindung der Landschaft als Gattung der Malerei war eine Folge der Rezeption antiker Ideale und der vielfältigen Interdependenzen zwischen Kunst und Kosmographie. Sie führten schließlich dazu, dass die Landschaft als bildwürdiger Gegenstand entdeckt wurde." (121) Die Antwort auf die Frage nach der Autonomie der Landschaftskunst entwickelt Nils Büttner auf dem Weg zur Jetztzeit mit der Erkenntnis, dass es zwar einen Weg zur menschenleeren Landschaftsansicht gibt (erstmals vielleicht in Albrecht Altdorfers Donaulandschaft von 1520-1530, 91), aber keine sinnfreie Landschaftsmalerei existiert.

Vieles zum Terrain ist geschrieben worden, Ansichten kollidierten, vor allem wenn die Frage nach dem ersten autonomen Landschaftsbild gestellt wurde, einem menschenleeren, also figürlich erzählfreien Landschaftsausschnitt, unabhängig von irgendeiner Funktion des Kunstwerks. Der "Wiener Seesturm" (Wien, KHM, Inv. 2690) vom Ende des 16. Jahrhunderts war lange Zeit ein Dreh- und Angelpunkt dieser Diskussion. Die Zuschreibungen der Tafel variieren von Pieter Bruegel, Peter Paul Rubens, Joos de Momper bis zu Tobias Verhaecht. Die anhand der Rückseite überprüfte Tatsache, dass es sich um das Fragment einer größeren Tafel handelt, wurde bei diesen Deutungen allerdings außer Acht gelassen. [1] Sinnvoll an den Debatten um das Wiener Gemälde war die Erkenntnis, dass es die niederländische Landschaftsmalerei ist, in der die Grundlagen aller späteren Erscheinungsformen enthalten sind, die das Landschaftsbild in den kommenden Jahrhunderten annehmen sollte (212). Nach Auskunft Büttners und seiner visuellen Belege greifen nachfolgende Künstlergenerationen immer wieder intuitiv oder umformend auf ein Repertoire von Möglichkeiten zurück, das seit der Antike der Landschaftskunst innewohnte. Kunstformen wie Fresko, Grafik und Tapisserie tradieren wie die Malerei den Blick auf die Landschaft. Pointiert gesetzte, vergleichende Illustrationen erläutern dabei die großformatigen Hochglanz-Abbildungen.

Das niederländische 17. Jahrhundert nennt sich das Goldene Zeitalter, es ist die Blütezeit der Tafelmalerei. Die Zeit des Spezialistentums war angebrochen (150, 189), mehr als ein Drittel aller holländischen Bilder des 17. Jahrhunderts gehörten dem Landschaftsfach an (178). Die Nachfrage und das Interesse unter den Käufern erstreckte sich auf verschiedenste Bereiche: auf die Landschaft als Teil der Inneneinrichtung etwa (23), oder die Darstellungen der Monate oder des Jahresverlaufs als Dekoration in Landhäusern (50, 112), auf die Entdeckung der geografischen Wiedergabe (87, 239), Sinnbilder von Prestige und Macht der eigenen Territorien (151) oder die politische Landschaft (381, 399), auf den Reiz der Naturähnlichkeit (158) und der Naturphänomene (84, 204, 258) und die lang währende religiöse Determination der Menschen (121) und ihre spirituelle Belehrung durch Landschaftskunst (162). Patriotismus spiegelten Landschaftsbilder seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert mit flämischen Wäldern, holländischen Poldern und hatten einen Höhepunkt mit den grandiosen, "heroischen" Weiten Amerikas im 19. Jahrhundert. Niemals war oder ist Landschaftsmalerei sinnfrei. Immer wirken Ideal und Wirklichkeit gleichermaßen (212), sind ideale, irreale oder reale Ansichten wirkungsmächtig.

Die Gattung Landschaft geht dabei malerisch dieselben Wege wie die übrigen Gattungen. Etwa von der Romantik zum Impressionismus weiter zum abstrakten Expressionismus. Noch geht Büttner nicht bis zum Hyperrealismus eines Gottfried Helnwein, aber die Geschichte der Landschaftsmalerei ist ja auch noch nicht zu Ende (400). Der Blick auf die Natur und die zunehmende Autonomie, auch im Hinblick auf die Fotografie (398), erweiterten die Freiheiten der Kunst und der Künstler. Dass der eine oder andere Künstler dem einen oder anderen fehlen mag, wird jedem nachvollziehbar erscheinen, aber das Handwerkszeug zur Auseinandersetzung mit dem Bild von der Landschaft liegt hiermit endlich vor. In Büttners monografischer Reise über zwei Kontinente kann man ihren parallelen Stilen und Strömungen stichwortartig folgen. Hilfreich ist dabei sicher die kleinteilige Bibliografie, die neben Künstlern auch nach Jahrhunderten aufgestellt ist. Wichtig ist das Register der Sachbegriffe (414), wobei schwierige Oberbegriffe wie 'Bedeutung' oder 'Metapher' nicht aufgenommen wurden (202-210, 394), hier hilft das Stichwort 'Symbolismus/Symbolik'. Mancher wird Orte suchen und finden (410).

Die Zwitterstellung, angesiedelt im Zwischenreich von Ideal, Fiktion, Wirklichkeit und Funktion, und vor allem die Naturerkenntnis unterschiedlicher Zeiten und Kulturen machte es Generationen von Kunstexperten so schwer, die Sinnhaftigkeit der Landschaftskunst zu durchleuchten und zu erkennen. Büttners großes Verdienst ist es, diese Vieldeutigkeit und ihre vielfachen Beziehungen mit Glaubensfragen, Staatsform, Literatur, Ethik, Philosophie, Religion und Ökonomie der jeweiligen Zeiten und Länder zu verknüpfen. Seine Argumentationen sind jeweils stringent aus der Lebenswelt von Künstler und zeitgenössischem Betrachter entwickelt. Dazu sind sie kurzweilig geschrieben. Niemals endet sein Strom unterhaltsamer Lesbarkeit angesichts des enormen Materialwusts an Werken und zugehöriger Literatur. Textblöcke erläutern die 220 prachtvollen Illustrationen - Kunstwerke, die Büttner werktreu beschreibt und kulturhistorisch prägnant deutet. Lange vernachlässigte Fragen wie die nach Funktion, Auftraggebern und Sammlern werden durchgehend gestellt und beantwortet. [2]

Büttners Meisterleistung besteht darin, Gemälde höchster künstlerischer Qualität auszuwählen, ihnen eine jeweils dichte Objektbeschreibung zur Seite zu stellen und sie ohne Zwang mit der jeweiligen Kultur, Ideologie und Geistesgeschichte zu verknüpfen. Für den an kunst- und kulturgeschichtlichen Grundlagen interessierten Leser entwickelt er im Textteil die zugehörige detaillierte Sicht auf Zeit und Ort. Ob Forscher oder Laie, keiner wird ohne dieses neue Standardwerk über die Geschichte der Landschaftsmalerei auskommen können.


Anmerkungen:

[1] Ursula Härting: Einige frühe Werke des Tobias Verhaecht und der Wiener Seesturm, in: Die Malerei Antwerpens. Köln 1993, 93-103. Marinebilder, die der Gattung Landschaft zugerechnet werden, sind in Büttners Gattungsdarstellung mit einigen Beispielen vertreten (183ff). Ihre bisher ungeschriebene Genese demnächst zu verfassen, ist ein gemeinsames Anliegen von Gerlinde de Beer und der Verfasserin. Auch für die Marinebilder gilt die Kernstellung niederländischer Tafelmalerei.

[2] Noch kürzlich eher marginal behandelt in Ausstellungskatalogen wie zur "Flämischen Landschaftsmalerei", Wien/Essen 2003/2004, oder "Die Entdeckung der Landschaft des 16. & 17. Jahrhunderts", Stuttgart 2005/2006.

Ursula Härting