Rezension über:

Peter von Moos: Rhetorik, Kommunikation und Medialität. Gesammelte Studien zum Mittelalter Band II (= Geschichte: Wissenschaft und Forschung; Bd. 15), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2006, 509 S., ISBN 978-3-8258-9078-0, EUR 59,90
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Rezension von:
Claudia Lauer
Institut für Germanistik, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Christine Reinle
Empfohlene Zitierweise:
Claudia Lauer: Rezension von: Peter von Moos: Rhetorik, Kommunikation und Medialität. Gesammelte Studien zum Mittelalter Band II, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 1 [15.01.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/01/11571.html


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Peter von Moos: Rhetorik, Kommunikation und Medialität

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Der Sammelband ist der zweite aus der Reihe "Gesammelte Studien zum Mittelalter", der themenbezogen verschiedene Beiträge von Peter von Moos zusammenfasst. Im Vordergrund steht die Frage, wie Kommunikation im Mittelalter funktioniert. Diese wird durch zwei weitere Begriffe, Rhetorik und Medialität, nicht nur kulturgeschichtlich und systematisch eingerahmt, sondern zugleich auch in Hinblick auf die Wechselbeziehungen von Mündlichem und Schriftlichem präzisiert: Was geschah historisch, wenn Mündliches schriftlich und Schriftliches mündlich wurde? Mit der Konzentration auf die Trias von Rhetorik, Kommunikation und Medialität greift der Band einerseits das vor allem in den 1990er Jahren starke Forschungsfeld zur mittelalterlichen Rhetorik [1] sowie den weit reichenden mediävistischen Forschungsdiskurs von "Mündlichkeit und Schriftlichkeit" auf. [2] Zugleich reiht er sich in die kulturwissenschaftliche Debatte um "Kommunikation" und "Öffentlichkeit" ein, wie sie vor allem in den letzten Jahren von der Mittelalter- und Frühneuzeitforschung geführt wurde. [3]

Insgesamt versammelt der Band zwölf Beiträge, die sich in Hinblick auf die Leitperspektive als ein "geschlossene[s] Bündel ergänzender Aspekte" (Zum Geleit) präsentieren. Dabei reichen die konkreten, vorrangig im lateinischsprachigen 11. und 12. Jahrhundert verorteten Beispielfelder von Analysen des schriftlichen Dialogs und des mündlichen Gesprächs, über rhetorische Überzeugungsmittel wie dem Exemplum und dem Briefwesen als einem Bereich zwischen direkter und vermittelter Kommunikation bis hin zu einer stärker theoretischen und kulturgeschichtlichen Betrachtung mittelalterlicher Kommunikation. Auch wenn insgesamt der Verzicht auf eine explizite Untergliederung des Sammelbandes vor dem Hintergrund der Vielseitigkeit des Themas geboten erscheint, hätte man sich als Leser dennoch ein erstes explizites Ordnungsangebot und / oder mehr strukturelle Querverweise innerhalb der Fußnoten der einzelnen Beiträge gewünscht.

Der Band beginnt mit einem Beitrag, der sich generell gegen die These vom "gesprächslosen" bzw. "undialogischen Mittelalter" richtet und zeigt, wie sich im späten 12. Jahrhundert ein neues Dialogparadigma ausbildet, das nicht nur eine Brücke zwischen den unterschiedlichen Dialogkulturen des Klosters und der Schule schlägt, sondern sich literatur- und bildungsgeschichtlich auch als Zeugnis einer neuen schriftlichen Vergegenwärtigungsleistung von Mündlichkeit erweist (Beitrag 1).

Es folgen drei Aufsätze, die sich dem rhetorischen Überzeugungsmittel des Exemplum widmen. Neben der persuasiven Funktion im literarisch-gelehrten und praktisch-politischen Kontext (Beitrag 2), spielt dabei auch dessen interaktionelle Funktion eine besondere Rolle. So zeigt von Moos, wie nicht nur über Gnome und Chrie in Exempelsammlungen, sondern auch über applizierte dicta in der fiktionalen Erzählliteratur eine historische Annäherung an den kreativen Sprechakt der Antwort möglich ist (Beitrag 3). Darüber hinaus werden auch die Eigenheiten der exempla der Prediger in den Blick genommen und das historische Wesen des Exemplum sowie dessen generelle kommunikative Funktion in Hinblick auf die Führung bzw. Manipulation von Gefühl oder Verstand veranschaulicht (Beitrag 4).

In den drei folgenden Beiträgen steht vorrangig das im Spannungsfeld zwischen direkter und vermittelter dialogischer Kommunikation verortete Briefwesen im Vordergrund. Neben einer allgemeinen sozialhistorischen Studie zum Herold als einem Kommunikationsexperten im vermittelten Austausch (Beitrag 6), zeigt von Moos anhand der pragmatischen Schriftkultur der ars arengandi die Tendenz des Eindringens der Schriftlichkeit in die Mündlichkeit (Beitrag 5). Darüber hinaus nimmt er die Briefkonventionen als Ausgangspunkt für eine Untersuchung mündlicher Interaktion unter körperlich Anwesenden und verdeutlicht nicht nur, wie der Brief von allen Schriften der konzeptionell am wenigsten schriftliche ist, sondern eröffnet am Beispiel des Trostbriefes auch einen Einblick in eine persönlichere face-to-face-Kommunikation (Beitrag 7).

Es folgen drei Beiträge, die stärker kommunikationstheoretisch ausgerichtet sind. Dabei zeigt von Moos einerseits, wie sich vor allem im 16. Jahrhundert eine theoretisierende Dialogliteratur ausbildet, die die Umsetzung von Mündlichkeit in die Schriftlichkeit als Fiktionsleistung eigener Art betrachtet (Beitrag 8). Andererseits veranschaulicht er ausgehend von antiken und mittelalterlichen theoretischen Schriften den praktischen Nutzen und die gesellschaftlichen Applikationen der beiden Argumentationsfächer Rhetorik und Dialektik (Beitrag 10). Dazu gesellt sich ein Versuch, das Wesen pragmatischer Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Mittelalter in theoretischer Hinsicht auch an andere moderne Forschungskontexte wie Kulturanthropologie und Pragmatik anzuschließen (Beitrag 9).

Abgeschlossen wird der Band mit zwei stärker kulturgeschichtlich ausgerichteten Beiträgen. So legt von Moos zum einen dar, wie das im kommunikationsstrategischen Zusammenhang stehende Phänomen der Aufmerksamkeit nicht nur religiöse und ethische, sondern zugleich auch eine ambivalente politische Dimension besitzt, die an der Schwelle zur Neuzeit expliziten Verschiebungen unterworfen ist (Beitrag 11). Und zum anderen wird der "Fehltritt" als ein besonderes Vergehen und Versehen in einer mündlichen Kommunikationssituation fokussiert. Dabei verzeichnet von Moos in einer umfassenden interdisziplinären Studie einerseits einen Wandel von der Kultur des Rituals und der Etikette zur Kultur des Taktes, und zeigt andererseits, wie in Hinblick auf die Unabsichtlichkeit eine Verschiebung zu einer Gewissenskultur stattfindet (Beitrag 12).

Alle Beiträge des Sammelbandes erweisen sich als fachlich fundiert, methodisch reflektiert, argumentationslogisch stringent sowie umfassend in der Einordnung in den jeweiligen Forschungskontext. Allein an wenigen Stellen lassen sich kleinere Anmerkungen anfügen. So hätte gerade in den Beiträgen zum rhetorischen Überzeugungsmittel des Exemplum ein stärkerer Seitenblick auf volkssprachliche Quellen und die mediävistische Literaturwissenschaft die Ergebnisse noch weiter profilieren können, ohne dass dies den jeweiligen Untersuchungsrahmen gesprengt hätte - ein Vorteil, den von Moos an anderer Stelle selbst anspricht (162). Darüber hinaus bleibt die Anbindung an neuzeitliche Theoriekonzepte teilweise unscharf, das heißt man hätte sich beispielsweise eine eingehendere Auseinandersetzung mit der Sprechakttheorie von Searle / Austin (Beitrag 3) und in Hinblick auf die Verwendung von Begriffen wie "langue" und "parole" (196) eine detailliertere Rückbindung an den avisierten Forschungskontext gewünscht. Ähnliches zeigt sich auch in Hinblick auf die Bezüge zur modernen Erzähltheorie Genettes (215, 218) und zur Zivilisationstheorie von Elias (314), so dass die Kombination von historischem und modernem methodischen Ansatz teilweise assoziativ wirkt, auch wenn dies den generellen Erkenntnisgewinn nicht schmälert.

Insgesamt gesehen vereint der Band fundierte und grundlegende Untersuchungen zu den Funktionsweisen mittelalterlicher Kommunikation, die nicht nur unter einer historischen Fachperspektive ein Gewinn sind. Gerade die interdisziplinäre Ausrichtung der Beiträge und das weitgesteckte Stofffeld mittelalterlicher Kulturgeschichte machen den Sammelband auch für andere mediävistische Einzeldisziplinen und nicht zuletzt auch für die aktuelle kulturwissenschaftliche Forschung interessant. Die Arbeiten von Peter von Moos zeigen eindrücklich, wie die Kombination von historischem Ansatz und moderner Perspektive nicht nur zu neuen Erkenntnissen führt, sondern leisten zugleich methodisch Pionierarbeit in Hinblick auf eine mögliche Transdisziplinarität der historischen Kulturwissenschaft.


Anmerkungen:

[1] Vgl. z.B. die Reihe "Rhetorik-Studien", hrg. v. Joachim Dyck / Walter Jens / Gerd Ueding, Tübingen 1991ff.

[2] Vgl. z.B. Christel Meier / Volker Honemann / Hagen Keller / Rudolf Suntrup (Hgg.): Pragmatische Dimensionen mittelalterlicher Schriftkultur. Akten des Internationalen Kolloquiums Münster 26.-29. Mai 1999 (= Münstersche Mittelalter-Schriften; Bd. 79), München: Fink 2002; Hagen Keller / Christel Meier / Thomas Scharff (Hgg.): Schriftlichkeit und Lebenspraxis im Mittelalter. Erfassen, Bewahren, Verändern (= Münstersche Mittelalter-Schriften; Bd. 76), München 1999; Arnold Angenendt: Verschriftlichte Mündlichkeit - vermündlichte Schriftlichkeit. Der Prozess des Mittelalters, in: Heinz Duchhardt / Gert Melville (Hgg.): Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit (=Norm und Struktur, Bd. 7), Köln / Weimar / Wien 1997, 3-25.

[3] Vgl. z.B. Karl-Heinz Spieß (Hg.): Medien der Kommunikation im Mittelalter (= Beiträge zur Kommunikationsgeschichte; Bd. 15), Stuttgart 2003; Gerd Althoff (Hg.): Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter (= Vorträge und Forschungen; Bd. 51), Stuttgart 2001; Gert Melville (Hg.): Das Öffentliche und Private in der Vormoderne (= Norm und Struktur; Bd. 10), Köln 1998.

Claudia Lauer