Rezension über:

Steven Jan van Geuns: Tagebuch einer Reise mit Alexander von Humboldt durch Hessen, die Pfalz, längs des Rheins und durch Westfalen im Herbst 1789. Hrsg. v. Bernd Kölbel und Lucie Terken unter Mitarbeit von Martin Sauerwein, Katrin Sauerwein, Steffen Kölbel und Gert Jan Röhner (= Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung; 26), Berlin: Akademie Verlag 2007, 587 S., ISBN 978-3-05-004321-0, EUR 89,80
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Rezension von:
Jürgen Müller
Historisches Seminar, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Müller: Rezension von: Steven Jan van Geuns: Tagebuch einer Reise mit Alexander von Humboldt durch Hessen, die Pfalz, längs des Rheins und durch Westfalen im Herbst 1789. Hrsg. v. Bernd Kölbel und Lucie Terken unter Mitarbeit von Martin Sauerwein, Katrin Sauerwein, Steffen Kölbel und Gert Jan Röhner, Berlin: Akademie Verlag 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 3 [15.03.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/03/12509.html


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Steven Jan van Geuns: Tagebuch einer Reise mit Alexander von Humboldt durch Hessen, die Pfalz, längs des Rheins und durch Westfalen im Herbst 1789

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Das Buch bietet mehr, als der Titel erwarten lässt: Neben dem Reisetagebuch, das van Geuns "für sich und seine Eltern" aufzeichnete (67-314), enthält es 43 ausgewählte Briefe (315-447), "die unmittelbar mit dem Studium von Steven Jan van Geuns und Alexander von Humboldt in Göttingen oder der im Tagebuch beschriebenen Reise im Zusammenhang stehen" (317) sowie Auszüge aus dem "liber amicorum", dem Studentenalbum von van Geuns, das dieser während seiner Studienzeit führte (449-466). Ergänzt werden die mustergültig edierten Dokumente durch eine ausführliche Einleitung und diverse sehr nützliche Verzeichnisse und Register (Münzen, Maße und Gewichte, Literaturverzeichnis, Namenverzeichnis, Geographisches Verzeichnis, Geologisch-mineralisches Verzeichnis, Botanisch-zoologisches Verzeichnis, 469-582). Der stattliche Umfang des Werkes ist auch dadurch bedingt, dass alle Quellen, die im Original in holländischer und zum Teil auch in lateinischer Sprache verfasst sind, auch in deutscher Übersetzung abgedruckt werden. Der große editorische Aufwand zeigt sich daran, dass allein das Reisetagebuch (176 Druckseiten in holländisch und deutsch) mit einem Kommentar von nicht weniger als 939 Anmerkungen auf 69 Druckseiten versehen ist.

Die Edition bietet auf diese Weise eine umfassende Information über die naturhistorische Reise, die der junge Arzt und Botaniker Steven Jan van Geuns (1767-1795), der von August 1789 an in Göttingen studierte, vom 24. September bis zum 31. Oktober 1789 zusammen mit Alexander von Humboldt (1769-1859) durchführte. Die Schwerpunkte dieser Forschungsreise waren "Bergbau und Geologie/Mineralogie, Salinenkunde, Botanik und Pflanzengeographie, Geographie und Landeskunde, Medizin, soziale und geschichtliche sowie philosophische Fragen" (12). Das Interesse der jungen Forscher galt aber auch technologischen und industriellen Aspekten wie etwa den Fabriken in Offenbach und Frankenthal. Das Tagebuch bietet auf diese Weise ein sehr anschauliches und detailreiches Bild der besuchten Orte und Regionen, und dies nicht nur in naturhistorischer, sondern auch in kulturgeschichtlicher Hinsicht. Dabei fördert der "fremde Blick" des holländischen Reisenden neben vielem Bekannten auch zahlreiche weniger präsente Details des Alltagslebens zutage. In Frankfurt, so erfahren wir, trank man den Wein nicht aus Wein-, sondern aus Biergläsern, und der gemeine Mann, der den Rheinwein nicht bezahlen kann, "macht sich eine Art Apfelwein, der dann ein sehr verbreitetes Getränk unter dem niedrigen Stand ist" (105). Lobende Worte findet van Geuns erwartungsgemäß für das Nationaltheater in Mannheim, wo er der Komödie zweimal mit Zufriedenheit beiwohnte (145); ganz anders fällt seine Kritik eines Theaterbesuchs in Neuwied aus: "Schlechteres Theater, schlechtere Komödianten und ein lächerlicheres Spiel sah ich noch nirgends" (185).

Ausführlich beschreibt van Geuns die Verhältnisse in Göttingen, wobei er sich besonders mit dem Charakter der Einwohner beschäftigt. Seine Auslassungen dazu sind wenig schmeichelhaft, er bescheinigt den Göttingern Habgier, Geiz und Prunksucht. Auch die Professoren erscheinen in einem wenig günstigen Licht. Sie sind zwar arbeitsam und unermüdlich im Studium, haben aber eine "Sucht zum Bücherschreiben" entwickelt und sind berüchtigt für ihre "mannigfaltige Kompendienschreiberei" (223). Zu den negativen Eigenschaften der Professoren gehören ferner Habsucht und Geldgier sowie eine große Missgunst gegenüber ihren Kollegen: "So halten hier viele Professoren zur selben Stunde und über dieselbe Materie Vorlesungen, führen untereinander ihre Schriften nicht an, und tun alles, um einander Abbruch zu tun." (229).

Diese wenigen Beispiele mögen verdeutlichen, dass van Geuns' Reisebericht ein äußerst reichhaltiges, gut lesbares, instruktives und vielfach amüsantes kulturhistorisches Porträt der Verhältnisse in den von ihm besuchten Teilen Deutschlands darstellt. Dieses Dokument, in dem Alexander von Humboldt nur als Begleiter erwähnt wird, ist aus sich selbst heraus ein wichtiges historisches Zeugnis, das Beachtung verdient. Dabei mag es helfen, dass die Herausgeber die Person Humboldts signalkräftig auf das Titelblatt ihrer Edition gehievt haben, in der Sache begründet ist das nicht. Das "Dagverhaal eener Reize door Hessen, de Palts, langs den Rhijn en Westphalen in de Herfst van 1789 door S. J. van Geuns voor sich zelven en voor zijne Ouders opgetekend" kann für sich selbst stehen. Verzeihlich ist das wissenschaftliche "name-dropping" insofern, als ohne den Namen des bekannten deutschen Gelehrten die Aufzeichnungen des zumindest in Deutschland weithin unbekannten holländischen Gelehrten wohl kaum eine größere Aufmerksamkeit gefunden hätten. Van Geuns' von den Herausgebern zu Recht betonte Bemühungen zur Schaffung früher wissenschaftlicher Netzwerke (24ff.) tragen somit späte, aber dafür umso süßere Früchte.

Jürgen Müller