Rezension über:

Ian Fenlon: Ceremonial City. History, Memory and Myth in Renaissance Venice, New Haven / London: Yale University Press 2007, xv + 448 S., ISBN 978-0-300-11937-4, USD 50,00
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Rezension von:
Benjamin Paul
Department of Art History, Rutgers University, New Brunswick, NJ
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Benjamin Paul: Rezension von: Ian Fenlon: Ceremonial City. History, Memory and Myth in Renaissance Venice, New Haven / London: Yale University Press 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 10 [15.10.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/10/14849.html


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Ian Fenlon: Ceremonial City

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Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts war in Venedig eine Zeit größter Unruhe. Zum fortschreitenden politischen Machtverlust und wirtschaftlichen Problemen gesellten sich Kriege, Hungersnöte, Feuer und nicht zuletzt eine vernichtende Pestepidemie der Jahre 1575/77. Die Serenissima war jedoch zu schwach, dieser Krise aktiv durch umfassende Reformen zu begegnen, wie dies noch 1509 nach der Niederlage gegen die Liga von Cambrai der Fall gewesen war. Während Venedig nach 1509 heftigste Selbstkritik übte, schien die Republik mittlerweile die Krise zu ignorieren und feierte sich stattdessen lieber selbst. Dabei kam ihr zugute, dass es auch (scheinbare) Erfolge zu feiern gab, wobei natürlich vor allem die Schlacht von Lepanto 1571 zu nennen wäre, in der Venedig im Verbund mit dem Papst und Spanien einen großen, wenngleich auch politisch folgenlosen Seesieg gegen die Türken erzielte. Doch auch der Besuch Heinrichs III. von Frankreich 1574 gab Anlass für aufwändig inszenierte Festivitäten, die ein Jahr nach dem Separatfrieden mit den Türken und dem Zerfall der Heiligen Liga Venedig dazu dienten, die eigene Verunsicherung und das schleichende Bewusstsein des wachsenden Bedeutungsverlusts zu kompensieren.

Die Selbstdarstellung Venedigs in diesen Jahren und vor allem die damit einhergehenden Zeremonien und Rituale untersucht Iain Fenlon in seinem hier zu besprechenden, aufwendig gestalteten Buch. Gerade die öffentliche Repräsentation offenbart, wie die Republik sich selbst wahrnahm, und vor allem, wie sie wahrgenommen werden wollte. Dabei legt der in Cambridge lehrende Musikwissenschaftler Fenlon einen besonderen Schwerpunkt auf den musikalischen Anteil an den städtischen Feierlichkeiten. Doch er berücksichtigt ebenso die Bildpropaganda der Serenissima, wie sie etwa in der Neuausstattung des Dogenpalasts nach den beiden Großbränden 1574 und 1577 zu Tage trat, als auch die Rolle der Architektur, beispielsweise auf der Piazza San Marco, die im 16. Jahrhundert von Jacopo Sansovino umgestaltet wurde. Dank dieses umfassenden Ansatzes gelingt es Fenlon ein komplexes Bild von Venedigs Selbstdarstellung im ausgehenden 16. Jahrhundert zu entwerfen und damit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des sogenannten 'Mythos von Venedig' zu leisten.

Um eine seiner zentralen Beobachtungen zu belegen, nämlich dass sich Venedig von früh an als eine von Gott privilegierte Stadt inszenierte, beginnt Fenlon bei den Ursprüngen und untersucht im ersten Kapitel des ersten Teils die Rolle des Heiligen Markus und der Jungfrau Maria als den beiden wichtigsten Schutzpatronen der Stadt. Um beide Heilige wurden nach fest etablierten Schemata Mythen und Wunder gesponnen, die ihre besondere Verbindung zu Venedig belegen sollten. Dadurch sollte Venedigs gleichrangige Stellung neben Byzanz und Rom bestätigt werden. Gleichzeitig wurden die Heiligen durch diese Vereinnahmung eng mit der Identität der Stadt verwoben und stärkten so das Selbstverständnis Venedigs als einer auserwählten, christlichen Republik.

Diese Vereinnahmung zeigt sich besonders deutlich in der zeremoniellen und rituellen Einbindung der Basilica di San Marco, wie Fenlon im zweiten Kapitel verdeutlicht. Doch nicht nur der rito patriarchino, also die eigens für San Marco geschaffene Liturgie, sondern auch die Architektur und Ausstattung der Basilika standen ganz im Dienste der Inszenierung. Untrennbar verband sie die beiden Schutzpatrone mit dem Dogen und damit auch der Republik, mit welcher der Doge und sein Amt im Laufe der Jahrhunderte zunehmend identifiziert wurden.

Im dritten Kapitel diskutiert Fenlon die Bedeutung der Piazza San Marco für die Selbstdarstellung der Republik und zeigt, wie alle dort versammelten Gebäude, vor allem die von Jacopo Sansovino entworfene Biblioteca Marciana und die Loggetta, in dieses Geflecht eingebunden wurden. Das vierte, den ersten Teil des Buches beschließende Kapitel, ist den komplexen Wahl- und Begräbnisritualen der Dogen gewidmet, in denen sich offenbart, dass dem obersten Amt der Serenissima zunehmend sakrale Bedeutung zukam.

Im zweiten Teil seines Buches veranschaulicht Fenlon die Selbstdarstellung der Venezianer als auserwähltes Volk an Hand von drei zentralen Ereignissen des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Dabei widmet er Lepanto gleich zwei Kapitel. Denn bereits die Vorbereitungen auf den Krieg mit den Türken und die Feierlichkeiten zum Abschluss der Heiligen Liga mit dem Papst und Spanien wurden von intensiver Propaganda begleitet, die zum Ziel hatte, den Konflikt als Kreuzzug des Christentums gegen die Ungläubigen darzustellen. Die umfangreichen, nicht enden wollenden Feierlichkeiten und Prozessionen nach dem Sieg gegen die Türken bei Lepanto verstärkten diese Auffassung und unterstützten wie kein anderes Ereignis des 16. Jahrhunderts die venezianische Selbstwahrnehmung, eine privilegierte Stellung im göttlichen Heilsplan einzunehmen. Keine zwei Jahre nach diesem Erfolg sah Venedig sich jedoch gezwungen, einen unvorteilhaften, ja geradezu demütigenden Friedensvertrag mit den Türken abzuschließen, der zu massiven Konflikten mit dem Papst und Spanien führte und natürlich auch Venedigs Propaganda in ein anderes Licht zu stellen drohte.

Umso umfangreicher waren deshalb die Festlichkeiten für den Besuch von Heinrich III. von Frankreich, der 1574 auf dem Weg von Warschau nach Paris, wo er zum König Frankreichs gekrönt werden sollte, Venedig besuchte. Diesem aufwendig gestalteten Empfang Heinrichs, der der Serenissima in einem Moment großer Verunsicherung die Möglichkeit bot, sich als weiterhin relevante politische Kraft und Freund des künftigen allerchristlichsten Königs zu präsentieren, widmet Fenlon das siebte Kapitel.

Auch im Zusammenhang mit der großen Pest, die zwischen 1575-1577 rund ein Drittel der Bevölkerung hinwegraffte und die Fenlon im achten Kapitel erörtert, fanden Prozessionen statt. Doch angesichts dieser Gottesstrafe war es nicht mehr möglich, eine quasi göttliche Stellung Venedigs zu proklamieren. Stattdessen wurde in den Prozessionen nun Läuterung geboten und die Schutzheiligen um Fürbitte angehalten.

Im dritten Teil richtet sich Fenlons Augenmerk auf die Verarbeitung und Erinnerung all dieser Ereignisse. Im neunten Kapitel untersucht er deshalb die vielen Pamphlete, Flugblätter und Traktate, die in der Buchdruckerstadt Venedig der Schlacht von Lepanto und Heinrichs Besuch gedachten. Das zehnte Kapitel widmet sich einer detaillierten Untersuchung der neuen Rituale und Feste, die im Zusammenhang mit Lepanto am Namenstag der Heiligen Justina und in Erinnerung an das Abklingen der Pest in der nach Plänen Palladios errichteten Kirche Il Redentore stattfanden.

Im elften Kapitel beschäftigt der Autor sich mit dem Personenkult, der nach Lepanto vor allem um die Admiräle Sebastiano Venier und Agostino Barbarigo betrieben wurde, wobei ersterer als Retter der Christenheit und letzterer als Märtyrer dargestellt wurde. Im zwölften und letzten Kapitel betont Fenlon dann ein weiteres Mal, dass viele Venezianer sich nach Lepanto als ein auserwähltes Volk verstanden, wobei er jetzt auch kritischere Stimmen erwähnt, aus denen hervorgeht, dass bei weitem nicht alle sich von der offiziellen Propaganda blenden ließen, sondern im Gegenteil die zahlreichen Rückschläge als Gottesstrafe verstanden.

Wie dieser knappe Abriss verdeutlicht, beeindruckt die Spannbreite von Fenlons Studie. Dabei glänzt der Musikwissenschaftler nicht nur mit seinen Beschreibungen der akustischen Komponente bei den zahlreichen Prozessionen durch die Stadt und den Festlichkeiten in San Marco. Darüber hinaus leistet er auch wichtige kunsthistorische Beiträge, beispielsweise in seiner Analyse der gegenreformatorischen Aspekte des Kreuzwegs zur Grabkapelle, die der Lepantoveteran Francesco Duodo für sich in Monselice bei Padua errichten ließ (303-306). Gleichzeitig muss jedoch erwähnt werden, dass Fenlon nicht immer zu innovativen Erkenntnissen gelangt, sondern oftmals lediglich den aktuellen Forschungsstand referiert. Seine Diskussion der politischen Implikationen von Jacopo Sansovinos Umgestaltung der Piazza San Marco (92-112) beispielsweise liefert ebenso wenig neue Einsichten wie seine Argumentation, dass Palladio die Redentore-Kirche unter strenger Berücksichtigung der jährlich dort stattfindenden Prozession gestaltete (285-91).

Das eigentliche Problem von Ceremonial City ist jedoch das Fehlen einer klaren Fragestellung und einer analytischen Herangehensweise. Über weite Strecken ist Fenlons Studie beschreibend und dabei bisweilen auch etwas ausufernd. So bleibt beispielsweise offen, warum er seiner Untersuchung der Pamphlete zu Lepanto und Heinrich III. eine umfassende Darstellung des venezianischen Buchmarkts voranstellt (Kapitel 9). Der wichtigen Frage, was die offizielle Selbstdarstellung Venedigs kaschiert, inwiefern sie gerade ein Krisensymptom darstellt und wie erfolgreich sie überhaupt bei diesen Bemühungen war, widmet Fenlon sich ebenso nur am Rande wie den inoffiziellen Stimmen, die mehr oder weniger verdeckt Kritik an der Serenissima übten. Aber diese Einwände überdecken keineswegs Fenlons große Verdienste. Im Gegenteil, seine Studie bietet nun eine hervorragende Grundlage für ebensolche weiterführenden Fragestellungen.

Benjamin Paul