sehepunkte 8 (2008), Nr. 12

Christopher Kobrak: Die Deutsche Bank und die USA

Es ist zweifellos ein positiver Nebeneffekt der Globalisierung, dass auch das Interesse an historischer Forschung zugenommen hat, die sich in längerfristiger Perspektive mit diesem Phänomen beschäftigt. Die vielleicht einflussreichsten Träger von Internationalisierungsprozessen sind Unternehmen. Christopher Kobrak hat sich mithin eines wichtigen Themas angenommen: Die Deutsche Bank ist, jedenfalls aus deutscher Sicht, fraglos einer der wichtigsten Global Players der deutschen Wirtschaft und hat zugleich eine mehr als 130jährige Geschichte vorzuweisen. Es liegt also nahe, nach historischen Wurzeln und Pfadabhängigkeiten der heutigen internationalen Verflechtung des Kreditinstituts zu suchen und sich dabei auf den wichtigen amerikanischen Markt zu konzentrieren.

Allerdings war die Deutsche Bank, darauf weist der Verfasser selbst hin, über etliche Jahrzehnte hinweg "nicht selbst in den USA im eigentlichen Wortsinne tätig" (21). Daraus resultiert ein Grundproblem des Buchs, denn Kobrak hat möglichst viele Quellen zusammengetragen, die irgendwie die Beziehungen zwischen der Deutschen Bank und den USA betreffen. Da die Quellendichte bzw. der Zugang zu den Akten aber umso problematischer wird, je mehr er sich der Gegenwart annähert, ist der erste, von der Gründung der Bank 1870 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs reichende Teil rund doppelt so lang wie der dritte über die Zeit von 1957 bis zur Gegenwart. Wer sich speziell für die Finanzierung amerikanischer Eisenbahnen oder von General Electric interessiert, wird mit einer Fülle von Details bedient. Zum Verständnis der Zusammenhänge und gemessen an der tatsächlichen Bedeutung dieses Geschäftsfelds für die Bank (diese Relation wird leider auch in den anderen Teilen nur punktuell angedeutet) erscheint eine derart ausführliche Schilderung von Finanzierungs- und Sanierungsverhandlungen ihrer amerikanischen Vertreter aber nicht unbedingt notwendig.

Nichtsdestoweniger bekommt man auch Einblick in den Umgang der Bank mit den Risiken und Kontrollproblemen, die sich aus transatlantischen Informationsasymmetrien ergaben. Der Lerneffekt aus dem teilweisen Scheitern riskanter Großengagements bestand schließlich in der breiteren Streuung des US-Engagements und in der Spezialisierung auf die Vermittlung von Unternehmensbeteiligungen, ohne allzu viel eigenes Kapital zu riskieren. Man mag darin bereits Anfänge des modernen Investmentbanking identifizieren, doch solche Lerneffekte wurden durch den Ersten Weltkrieg schnell entwertet. Der Krieg komplizierte nicht nur die transatlantische Kommunikation, er nötigte die Deutsche Bank auch zum geschäftspolitischen Umschalten: Vorläufig ging es darum, "so viel wie möglich von ihren eigenen Vermögenswerten in den Vereinigten Staaten sowie von denjenigen ihrer Kunden zu retten" (255), statt deutsche Gelder in den USA zu investieren. Von einem eigentlichen amerikanischen Geschäft der Bank konnte in dieser Zeit noch weniger als zuvor die Rede sein, da die Beziehungen sich weiterhin auf Korrespondenzbanken stützten.

Ähnlich wie im ersten Teil kommt die Deutsche Bank selbst über weite Strecken gar nicht als Akteur vor. Kobrak referiert zwar ausführlich die Bemühungen um eine Loseisung ihrer amerikanischen Vermögenswerte, aber ihre eigentliche Funktion bestand in der Zwischenkriegszeit vor allem in der Vermittlung von Dollarkrediten nach Deutschland. Allzu erfolgreich war die Bank dabei offenbar nicht, und nach den Stillhalteabkommen im Gefolge der deutschen Bankenkrise von 1931 war die Beschränkung auf eine eher technische Dienstleisterfunktion kaum vermeidbar, bevor die deutsch-amerikanischen Finanzbeziehungen mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg praktisch aufhörten. Die Ausführungen zur Begründung der zweiten Zäsur dieses Abschnitts, das Jahr 1957, sind nicht gerade ein Muster an Präzision. Ganz nach Belieben vergleicht Kobrak die Zeitspanne mit dem "Dreißigjährigen Krieg", spricht von den "fünfzig Jahren" nach 1914 oder von der Zeit der "Großen Unordnung" - eine mit Bedacht gewählte Bezeichnung Gerald D. Feldmans für die Inflationsjahre seit dem Ersten Weltkrieg (242). Eigentlicher Grund für den Einschnitt 1957 ist die vollständige Rezentralisierung der Großbanken, nachdem die Deutsche Bank ebenso wie die beiden anderen Filialgroßbanken (Dresdner Bank und Commerzbank) auf amerikanischen Druck hin 1947/48 dezentralisiert worden war. Irgendwie hat das schon mit der Deutschen Bank "und" den USA zu tun - auch wenn man staunt, dass Kobrak die Dezentralisierungspolitik ernstlich als "Amerikanisierung des deutschen Bankwesens" bezeichnet (355). Aber den eigentlichen Einschnitt markierten weder die Auseinandersetzungen mit der Besatzungsmacht noch der zögerliche Wiederanlauf des internationalen Geschäfts in den fünfziger Jahren, über den Kobrak wenig berichtet, was über die Person von Hermann Josef Abs und dessen gelegentliche Äußerungen zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen hinausgeht.

Eine neue Ära der Internationalisierung begann erst mit der verstärkten Präsenz amerikanischer Unternehmen auf den europäischen Anleihemärkten in den sechziger Jahren, mit der Eröffnung eigener Niederlassungen in den USA seit 1978, und vor allem mit dem Einstieg der Deutschen Bank in das amerikanische Investmentbanking durch den Kauf von Tochtergesellschaften seit den achtziger Jahren. Es ist nur scheinbar paradox, dass der über Spezialprobleme hinausweisende Erkenntnisgewinn des Buchs gerade im dritten Teil am größten ist, obwohl Kobrak hier mit der problematischsten Quellenlage konfrontiert war: Je internationaler das Geschäft der Deutschen Bank seit den 1970er Jahren wird, desto mehr ist die Geschichtsschreibung (noch) auf Zeitzeugen und Geschäftsberichte angewiesen. Vielleicht zwang gerade dieses Problem zu einer stärkeren Straffung des Materials als in den beiden ersten Teilen.

Man kann darüber streiten, ob die Konzentration auf "Männer und Haltungen, die das internationale Geschäft formten" (11), oder auf "Männer und Märkte" (17) die strukturellen Zusammenhänge und ihren Wandel hinreichend aufhellt. Diese Fokussierung erscheint angesichts der großen Bedeutung personaler Netzwerke gerade im internationalen Geschäft mit Unternehmensfinanzierungen und Anleiheemissionen aber zumindest legitim, und sie fördert allemal die Anschaulichkeit. Kobraks überschäumende Detailfreudigkeit in allen irgendwie relevanten Aspekten dient hingegen nicht zwangsläufig dem Verständnis. Ausführungen zur allgemeinen Unternehmensgeschichte der Deutschen Bank fehlen dafür weitgehend, vergleichende Seitenblicke auf andere deutsche Kreditinstitute völlig. Erschwerend für die Einordnung des US-Geschäfts ist auch die weitestgehende Ausblendung anderer Auslandsmärkte und die spärliche Einordnung in allgemeine geschäftspolitische Strategien. Eine deutliche Straffung hätte dem Text zweifellos gut getan und dem Leser die Konzentration auf die wichtigen Erträge erheblich erleichtert. Insgesamt darf freilich nicht übersehen werden, dass Kobrak mit diesem Buch eine in vielen Punkten anregende Pionierstudie vorgelegt hat, die hoffentlich weitere unternehmenshistorische Arbeiten zur Globalisierung des Kreditgewerbes anstößt.

Rezension über:

Christopher Kobrak: Die Deutsche Bank und die USA. Geschäft und Politik von 1870 bis heute. Aus dem Englischen übersetzt von Heidrun Homburg und Thorsten Schmidt, München: C.H.Beck 2008, 654 S., 44 Abb., 1 Karte, ISBN 978-3-406-57068-1, EUR 38,00

Rezension von:
Ralf Ahrens
Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Ahrens: Rezension von: Christopher Kobrak: Die Deutsche Bank und die USA. Geschäft und Politik von 1870 bis heute. Aus dem Englischen übersetzt von Heidrun Homburg und Thorsten Schmidt, München: C.H.Beck 2008, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 12 [15.12.2008], URL: https://www.sehepunkte.de/2008/12/14103.html


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