Rezension über:

Andrea Worm: Das Pariser Perikopenbuch und die Anfänge der romanischen Buchmalerei an Rhein und Weser. (Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. 17325) (= Denkmäler Deutscher Kunst), Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft 2008, 272 S., ISBN 978-3-87157-220-3, EUR 89,00
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Rezension von:
Harald Wolter-von dem Knesebeck
Institut für Kunstgeschichte und Archäologie, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Ulrich Fürst
Empfohlene Zitierweise:
Harald Wolter-von dem Knesebeck: Rezension von: Andrea Worm: Das Pariser Perikopenbuch und die Anfänge der romanischen Buchmalerei an Rhein und Weser. (Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. 17325), Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 2 [15.02.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/02/13623.html


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Andrea Worm: Das Pariser Perikopenbuch und die Anfänge der romanischen Buchmalerei an Rhein und Weser

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Gelungene Handschriftenmonografien wie die vorliegende haben den Vorteil, dass sie bei guter Wahl des behandelten Gegenstands und seiner umfassenden Bearbeitung nicht nur die einzelne Handschrift in einem neuen Licht erscheinen lassen. Vielmehr bilden sie auch einen guten Einstieg in größere Zusammenhänge, zu deren Neubewertung sie beitragen.

Der vorliegende Band behandelt einen in künstlerisch-qualitativer wie entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht ganz hervorragenden frühromanischen Kodex, der auf spezifische Weise an der Grenze zwischen spätottonischer und frühromanischer Buchmalerei in Norddeutschland, zwischen "Rhein und Weser" angesiedelt ist. Zugleich ist das Pariser Perikopenbuch auch buchtypologisch und von seinen Entstehungsbedingungen her eine Art Grenzgänger. Folgt man der stilkritisch gut abgesicherten Frühdatierung Worms in die Jahre 1120 bis 1130, so ist es eine in der Zeit des zu Ende gehenden Investiturstreits bereits selten gewordene liturgische Prachthandschrift. Es vertritt einen in der von Bibliothekshandschriften mit Federzeichnungen dominierten Buchkultur der Kirchenreform eher veralteten Buchtypus. Zugleich ergeben sich gute Argumente für einen von den bisher üblichen monastischen Bindungen freien Laien als Buchmaler der stilistisch homogenen Ausstattung, was eher auf die weitere Entwicklung der Buchmalerei vorausweist. Die Miniaturen verbinden ihrerseits auf eigentümliche Weise ottonische Elemente, insbesondere in der pastellartigen Farbigkeit, mit der von italo-byzantinischen Vorgaben herkommenden aktuellen italienischen Malerei im Umkreis der Kirchenreform in Mittelitalien, was sich etwa in der frühromanischen linearen Stilisierung der blockhaft organisierten Gewandpartien ausdrückt. All dies lässt Worm an eine Ausbildung des Malers im Rheinland denken.

Auf dem Buchschmuck liegt demnach ein damals eher ungewöhnliches Augenmerk: Auf nur 59 Blatt besten Pergaments finden sich 19 Bild- sowie elf Zierseiten. Sie werden in sehr guten originalgroßen Farbabbildungen in einem eigenen Block nach den einleitenden kurzen Kapiteln zu Provenienzenfolge, Forschungsstand, Inhalt und Aufbau, Perikopenauswahl und Illustrationsprinzip der Handschrift angeordnet. Im Kodex folgen die Miniaturen fast immer auf die zugehörigen Perikopen, wohl um einfacher "eindrucksvolle diptychonartige Doppelseiten" (15) zu bilden. Die Illustrationsweise ist dabei am besten mit den ottonischen Handschriften von der Reichenau und aus Trier sowie dem Kloster Echternach vergleichbar.

Die umfassende Analyse der Ikonografie und der Motivik der einzelnen Miniaturen, die ein Forschungsdesiderat erfüllt und von erfreulicher sprachlicher Prägnanz ist, führt in eine andere Richtung. Neben byzantinischen bzw. byzantinisch geprägten Vorlagen und Elementen aus italienischen bzw. römischen Werken stehen hier vor allem die sächsischen, insbesondere die Helmarshausener und Hildesheimer Handschriften des 12. Jahrhunderts. Hervorzuheben ist das Helmarshausener Evangeliar in Gnesen (Archivum Archiediecezjalne Katedra, Ms. 2), mit dem das Pariser Perikopenbuch offensichtlich Vorlagenmaterial teilt. Demgegenüber treten Verbindungen mit dem ebenfalls oft als Herkunftsbereich der Handschrift angesprochenen Rheinland zurück. Konsequenterweise hält Worm nach einem Auftraggeber in Niedersachsen und Westfalen Ausschau. Einen Hinweis auf einen Frauenkonvent bieten die erstmals von Worm erkannten Darstellungen einer Äbtissin oder Priorin und weiterer weiblicher Konventsmitglieder bei dem letzten Miniaturenpaar der Handschrift, dem Marientod und dem Begräbnis Mariae. Diese "Devotionsfiguren" und das Fehlen eines männlichen Klostervorstandes sowie auch die Tradierung eines in ottonischer Zeit in besonderer Blüte stehenden Handschriftentyps und der besondere Aufwand lassen Worm "als Bestimmungsort der Handschrift vor allem die Reichsstifte Quedlinburg, Gandersheim und Herford" (238) erwägen.

Präzisierend könnte vielleicht ein weiterer Aspekt hinzutreten, den Worm selbst für diese beiden Miniaturen exkursartig anspricht. Sie bieten ein seltenes und daher umso interessanteres Beispiel für theologische Kontroversen im Bildprogramm einer liturgischen Handschrift: In der Gegenüberstellung der Aufnahme der Seele Mariens in den Himmel mit der Bestattung ihres Leibes (fol. 51v-52r) erkennt Worm eine dezidierte Stellungnahme gegen die assumptio corporis, das heißt die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel. Nach lange vorherrschender agnostischer Sicht war diese Vorstellung erst im 12. Jahrhundert aufgekommen. Der Streit wurde trotz Widerstand gegen 1200 letztlich zugunsten einer seelischen und leiblichen Aufnahme entschieden. Gab es für das Damenstift, das die Handschrift besaß, vielleicht auch abseits theologischer Debatten "handfestere" Gründe, diese Szenen zur Darstellung des Konvents auszuwählen und dabei zugleich dezidiert die assumptio corporis abzulehnen, Gründe, die im Selbstverständnis, dem eigenen Reliquienbestand und/oder dem eigenen Patrozinium zu suchen sind?

Die abschließende Betrachtung des stilistischen Umfelds der Handschrift in seiner Entwicklung führt in dem eingangs erwähnten Sinn in größere Zusammenhänge. So zeigte sich bereits bei der Ikonografie die stärkere Orientierung der Helmarshausener Buchmalerei an Köln, während sich von der niedersächsischen eher Verbindungen zum Niederrhein ergaben. Dies korreliert etwa mit der mutmaßlichen Herkunft Rogers von Helmarshausen aus Köln und der Einschätzung der Bibel von Frankenthal durch Cohen-Mushlin. Diese Trends können durch Worms Analyse der lokalen Stilentwicklung von der spätottonischen zur frühromanischen Malerei an Rhein und Weser bzw. in Niedersachsen gestützt werden.

Auch die zuvor ausführlich analysierte Entwicklung der Ornamentik bewegt sich in diesen Bahnen, wobei das Pariser Perikopenbuch in Zierseiten, Rahmenfriesen und Textinitialen auffälligerweise eine eher retrospektive Orientierung an ottonischen Werken aufweist. Bei seiner stilgeschichtlichen Verortung gewinnt hingegen zu Recht die Entwicklung der frühromanischen Malerei und Buchmalerei bzw. Buchkultur vor dem Hintergrund (kirchen-) geschichtlicher Entwicklungen, das heißt von Investiturstreit und Kirchenreform, zentrale Bedeutung. Dies gilt insbesondere für die auffällige Orientierung an der mittelitalienischen Malerei im Umfeld von Kirchenreform und Papsttum. Worm kann in diesem Zusammenhang auf Beziehungen Erzbischof Annos von Köln und seiner Gründung Siegburg nach Italien verweisen. Künstlerisch schlugen sie sich möglicherweise in den mit bedenkenswerten Argumenten in Annos Zeit vordatierten Wandmalereien eines in Italien ausgebildeten Malers in St. Gereon in Köln nieder. Dass hierbei die stehenden Propheten mit den auf ihren Schultern sitzenden Aposteln der Wandmalerei verwechselt werden (212), verunklärt die Beschreibung, spielt aber für die Argumentation letztlich keine Rolle. Aufgrund der von Worm herangezogenen Frühdatierung der italienischen Vergleichsbeispiele in der jüngeren Forschung entsteht vielmehr ein klareres, bruchloseres Bild der Entwicklung der spätottonischen und frühromanischen Malerei im Rheinland, mit dem sich die Forschung auseinanderzusetzen haben wird.

Harald Wolter-von dem Knesebeck