Rezension über:

Birgit Wiedl: Alltag und Recht im Handwerk der Frühen Neuzeit. Schmiede, Wagner, Schlosser und andere Eisen verarbeitende Handwerke in Stadt und Land Salzburg (= Schriftenreihe des Archivs der Stadt Salzburg; Bd. 21), Salzburg: Archiv und Statistisches Amt der Stadt Salzburg 2006, 319 S., ISBN 978-3-900213-03-9, EUR 27,50
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Rezension von:
Guillaume Garner
Mission Historique Française en Allemagne, Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Guillaume Garner: Rezension von: Birgit Wiedl: Alltag und Recht im Handwerk der Frühen Neuzeit. Schmiede, Wagner, Schlosser und andere Eisen verarbeitende Handwerke in Stadt und Land Salzburg, Salzburg: Archiv und Statistisches Amt der Stadt Salzburg 2006, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 4 [15.04.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/04/12440.html


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Birgit Wiedl: Alltag und Recht im Handwerk der Frühen Neuzeit

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Seit einigen Jahren hat die Zunftgeschichte sowohl im deutschsprachigen Raum als auch in anderen Ländern Konjunktur. Die Problematiken und Fragestellungen haben sich erneuert, einerseits durch die Verabschiedung einer lange vorherrschenden Betrachtungsweise, die in den Zünften erstarrte und fortschrittsfeindliche Sozialgebilde sah, andererseits durch die Heranziehung neuer Quellen, und zwar nicht nur normativer Quellen, sondern auch von Dokumenten der alltäglichen Praxis im Handwerk. Genau in diesen neuen Ansatz fügt sich die hier zu besprechende Studie über die eisenverarbeitenden Handwerke in Salzburg vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert ein. Dabei kann sich die Verfasserin auf umfangreiche Bestände stützen, die neben normativen Quellen zünftige und obrigkeitliche Akten umfassen.

Nach einem knappen Überblick über den heutigen Forschungsstand (11-14) stellt Wiedl die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des untersuchten Zeitraums dar und betont dabei die fehlende Selbständigkeit der Zünfte, die ab dem frühen 16. Jahrhundert der städtischen Obrigkeit und der erzbischöflichen Herrschaft straff unterworfen waren, sowie ihren in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einsetzenden wirtschaftlichen Niedergang.

Die Untersuchung konzentriert sich auf die beiden wichtigsten Zünfte des eisenverarbeitenden Handwerks, und zwar diejenigen der (Huf-)Schmiede und der Schlosser. Diese beiden 'Zechen' waren heterogen: Die Wagner z.B. gehörten zur Schmiedezeche, während die Schlosser mit Uhr-, Büchsen- und Windenmachern zusammengeschlossen waren. Dies bewirkte Konkurrenz- und Abgrenzungskonflikte, die sich sowohl zwischen den verschiedenen Zünften, als auch innerhalb der jeweiligen Zünfte abspielten. Die sich innerhalb von zwei Jahrzehnten (1695-1714) vollziehende Trennung der Uhr-, Büchsen- und Windenmacher von den Schlossern liefert dafür ein sehr anschauliches Beispiel, das zeigt, wie die Spezialisierung der handwerklichen Wirtschaft Konflikte über die Kontrolle der Arbeiterschaft (Gesellen und Lehrjungen) und über die Abgrenzung der Produktions- und Absatzbereiche herbeiführte (28-34). Anschließend wird die topographische Verortung dieser Handwerke nachgezeichnet, und betont, dass die Schlosser, Uhr-, Büchsen- und Windenmacher als typisch städtische Handwerkszweige bezüglich ihres Standorts nicht so starken Einschränkungen unterworfen waren wie die Schmiede und Wagner, die in höherem Maß auf die Erreichbarkeit von Rohstoffen und Kunden achten mussten.

Der Hauptteil der Studie (53-144) besteht dann in vier Kapiteln, die den Lehrjungen, den Gesellen, der Meisterprüfung und den Meistern gewidmet sind. Wiedl geht für diese verschiedenen Bereiche von normativen Quellen wie den Zunftordnungen aus, um dann ihre Umsetzung in der Praxis in den Blick zu nehmen. Dabei kann sie einzelne Fallbeispiele ausführlich darlegen. Dies ermöglicht ihr, auf die Diskrepanz zwischen Norm und Praxis hinzuweisen, sowie auf die Flexibilität, die manche Bereiche des Zunftalltags charakterisierte, z.B. die Dauer der Lehrzeit (55-58) oder die Meisterstücke. Wiedl betont auch, dass die Obrigkeiten einige Bräuche oder Regeln der Zünfte bekämpften, was insbesondere für die mit der Lehrzeit und der Gesellenwerdung verbundenen Kosten galt - dies allerdings nur mit partiellem Erfolg. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und im 18. Jahrhundert wurde aber dieser obrigkeitliche Versuch, die Zünfte stärker zu kontrollieren, immer deutlicher, was unter anderen im Fall der spezifischen Geselligkeitsinstitutionen und -orte der Gesellen besonders auffallend ist (77-81).

Nach zwei kurzen Kapiteln über die innerzünftische Gerichtsbarkeit (145-148) sowie über die Lade und die eigenen Zunftzeichen (149-152) behandelt Wiedl drei Themen, denen die Zunftgeschichte in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit geschenkt hat: das Handwerk auf dem Land (153-170), die Störer und alten Meister als Handwerker außerhalb der Zunft (171-173) und die Stellung der Frauen im Handwerk (174-180). Was das Landhandwerk betrifft, unterstreicht Wiedl die hohe Anpassungsfähigkeit der sogenannten 'Viertelladen' an die lokalen Verhältnisse und den auf dem Land relativ leichten Zugang zu einer Meisterstelle, wobei ein Meister nicht selten ohne Gesellen und Lehrjunge arbeitete; darüber hinaus zeigen die häufigen Konflikte um die Anerkennung der Zuständigkeit der Hauptladen bzw. der Viertelladen, dass die Reichsgesetzgebung zwar die Ansprüche der Hauptladen oft zurückwies, dass aber für die Landhandwerker vor allem die Unterstützung der Salzburger Obrigkeiten von Relevanz war (168-169). Ein 'gemeinsamer Nenner' kann außerdem zwischen Landhandwerkern und Bauern, Frauen und alten Meistern herausgearbeitet werden: Es war der ausgeprägte Wille der Zünfte, sich vor der Konkurrenz solcher 'Störer' oder außerzünftiger Arbeiter zu schützen, wobei jedoch den Witwen und alten Meistern ein gewisser Handlungsspielraum zugestanden wurde, um die Zechen von finanziell kostspieligen Fürsorgenaufgaben zu entlasten.

Während ein Kapitel über die Bruderschaften die Rolle der religiösen Dimension im Handwerksalltag hervorhebt, stellt das letzte Kapitel ausführlich die Erzstifts- und Reichsgesetzgebung zum Handwerk und zu den Zünften dar. Dabei fällt insbesondere auf, dass die lokalen Obrigkeiten in ihrem Herrschaftsanspruch über die Zünfte die Reichsgesetzgebung teilweise vorwegnahmen und dass die Rechtsstellung der Handwerker eine nicht zu unterschätzende Rolle in ihrem wirtschaftlichen Handlungsspielraum spielte (siehe die interessante Typologie, 206-212).

Ein Anhang - aus der Edition einiger Ordnungen und drei Übersichtstabellen über die Landhandwerker, die Chronologie der Ordnungen und die Bedingungen der Meisteraufnahme bestehend - sowie ein sehr ausführliches Literaturverzeichnis, ein Orts- und Personenregister runden diesen Band ab, der sich durch die akribische Bearbeitung der benutzten Quellen auszeichnet.

Zu bedauern ist allerdings, dass dies auf Kosten der Problematisierung der Untersuchung geschieht: Eine Einführung, die den Ansatz und die leitenden Erkenntnisinteressen der Verfasserin schildern würde, vermisst der Leser. Der zergliederte Aufbau dieser Studie (17 Kapitel von sehr unterschiedlicher Länge und Dichte) macht einige Wiederholungen unvermeidbar, und hilft dabei nicht weiter, die - insgesamt durchaus interessanten - Ergebnisse dieser Studie zum Ausdruck zu bringen. Damit einhergehend ist auch festzustellen, dass die gewählte Verfahrensweise überwiegend deskriptiv ist, was den Nachteil mit sich bringt, dass wichtige Debatten zur Zunftgeschichte nur am Rande erwähnt werden - z.B. die Norm(durch)setzung (187) oder die Sozialdisziplinierung (202-203). Eine Analyse der von den Handwerkern benutzten Semantik fehlt ebenfalls, obwohl die oft zitierten Quellen eine solche sehr wahrscheinlich ermöglicht hätten.

Trotz dieser Kritikpunkte bleibt hervorzuheben, dass dieser Band vor allem dank seiner sorgfältigen Bearbeitung umfangreicher Bestände und seiner Materialreichhaltigkeit durchaus empfehlenswert ist.

Guillaume Garner