Rezension über:

Christoph Reske: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing (= Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen; Bd. 51), Wiesbaden: Harrassowitz 2007, XXXI + 1090 S., ISBN 978-3-447-05450-8, EUR 198,00
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Rezension von:
Frédéric Barbier
Institut d'Histoire moderne et contemporaine, École normale supérieure, Paris
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Frédéric Barbier: Rezension von: Christoph Reske: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing, Wiesbaden: Harrassowitz 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 4 [15.04.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/04/13555.html


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Christoph Reske: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet

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Jeder Bibliograph, Buchhistoriker oder Geschichtswissenschaftler, der über die moderne Geschichte Europas insbesondere in kulturwissenschaftlicher bzw. sozialgeschichtlicher Perspektive arbeitet, kennt das 1963 veröffentlichte Buch von Josef Benzing über 'Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet' (2. verm. Auflage, 1982). Die vorzügliche Arbeit von Benzing hat seit zwei Menschenaltern vor allem dank der Masse der verarbeiteten Dokumentation der Grundlagenforschung entscheidend geholfen.

Doch haben wechselnde wissenschaftliche Konjunkturen die sozialgeschichtlichen Fächer seit fast einem halben Jahrhundert gründlich umgestaltet (unter anderen dank der Vereinigung Europas nach der Wende), und gleichzeitig ist Buchgeschichte zu einer akademisch anerkannten Disziplin in den verschiedenen europäischen Ländern geworden. Dazu haben sich seit den letzen Jahren des 20. Jahrhunderts die bibliographischen Datenbanken dank den sogenannten neuen Medien und insbesondere dank des Internets kräftig entwickelt, wie beispielsweise die OPAC oder in Deutschland die retrospektive Bibliographie mit dem Tübinger Inkunabelkatalog INKA, dem VD16 und dem VD17, mit denen eine Fülle von Erkundigungen und Informationen sofort erreichbar geworden sind.

Hier und da entstehen auch Datenbanken über die ehemaligen Buchhändler bzw. Buchdrucker, sowie über das sogenannte "typographische Material" (vor allem die Typen der Wiegendruckzeit). Kurz, es ist nach und nach möglich geworden, ein möglichst vollständiges Bild des "Buchwesens" nach dem Muster der seit langem gut erforschten Inkunabelzeit auch für die folgenden zwei Jahrhunderte, nämlich das 16. und das 17., vorzubereiten.

Bei dieser Perspektive war die Idee des Verfassers, nicht nur eine dritte Ausgabe des hochgeschätzten "Benzing" vorzubereiten, sondern das seit zwei Jahrzehnten verfügbare Material mit Hilfe der zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen neueren Bibliographien und den Informationsquellen aller Art präzise und systematisch zu ergänzen. Das Vorwort (VII-X) deutet die Leitlinien der Arbeit an: die Quellen werden systematisch neu erarbeitet und ergänzt, die Notizen zu den Buchdruckern vereinheitlicht und mit der größten Ausführlichkeit organisiert. So erreichen die reichsten Städtenotizen die Größe einer unabhängigen Monographie, wie in dem Fall von Nürnberg (654-748).

Die Bestimmung der erforschten Periode sowie des "deutschsprachigen Raumes" wird ebenso präzisiert. Es wird die heutige politische Geographie vorgezogen: Deutschland, Österreich (mit Wien [1]), die deutschsprechende Schweiz, Luxemburg, dazu noch Schlesien, Ost-Preußen, Südtirol und das Elsass. Es entfallen also fast im ganzen West-Preußen (mit Danzig) und Posen, die baltischen Länder, Böhmen, Mähren, Ungarn, Siebenbürgen und Krain [2], auch wenn die deutsche Bevölkerung bzw. die deutschsprechenden Minderheiten insbesondere in den Städten oft eine bedeutende Rolle für das Buchwesen gespielt haben.

Die Einleitung gibt ziemlich kurz einiges über die Statistik des Werkes wieder: 381 Druckorte, in denen 2662 Drucker gearbeitet haben und durch das Verzeichnis nachgewiesen werden. Wenn etwas trotzdem zu bedauern sein sollte (was bei einem mehr als tausend Seiten dicken Buch kaum zu wagen ist), könnte man nur betonen, dass der Verfasser die nicht-deutsche Bibliographie, die Diplomarbeiten oder das verfügbare akademische Forschungsmaterial im Ausland nicht immer benutzen konnte (manchmal gibt es auch kleine Druckfehler bei den Titeln in Fremdsprachen). Nach dem Vorwort findet der Leser ein reichhaltiges "Glossar und Abkürzungsverzeichnis", das zusammen die Symbole und Abkürzungen erklärt und kleine Begriffsbestimmungen über deutsche bzw. lateinische Wörter wie u. a. 'Abbreviatur' (= Abkürzung), 'Albertiner' (= Linie des Herzogtums Sachsen, seit 1485 nach Herzog Albrecht), 'Cicero' (als Schriftgrad) usw. liefert. Ein reichhaltiges allgemeines Literaturverzeichnis schließt sich an. Weitere Titel aus der Spezialliteratur werden unter den Namen entweder der Städte oder der einzelnen Druckereien angegeben.

Die Reihe der Notizen (1-1058!) wird nach den Städten alphabetisch von Aachen bis Zwickau geordnet. Am Ende des Bandes befindet sich das gesamte Druckerregister, mit den Referenzen der verschiedenen Drucker bzw. der Druckerbesitzer und Faktoren, die gegebenenfalls von einem Name auf einen üblicheren verweisen, wie z.B. "Albicornus [s.] Weißenhorn". Wenn man das bei dieser Ausgabe zur Verfügung stehende Material betrachtet, lässt sich ermessen, dass das Buch von Reske keine bloße neue Ausgabe des "Benzing", sondern durchaus ein neues Forschungswerk darstellt.

Für jede Druckerstadt werden zuerst kurz der politische Status (z.B. Reichsstadt), die wichtigsten Funktionen (z.B. Residenz) und die Varianten des (insbesondere lateinischen, doch nicht nur) Namens angegeben. Darauf folgt die Spezialliteratur über die Geschichte des Druckereiwesens für den Ort, die teils auf Benzing beruht, teils durch die nach 1982 veröffentlichten Arbeiten ergänzt ist. Die Artikel über die einzelnen Drucker werden chronologisch nacheinander geordnet, was manchmal zu Schwierigkeiten führen kann, da die Ordnung unsicher und von einer lückenhaften oder manchmal auch paradoxerweise zu reichen Dokumentation abhängig sein kann. Bei jedem Artikel wird auch der Chronologie soweit wie möglich gefolgt, mit Hinweisen über das Leben des Meisters (Geburt, Lehre, Verheiratung, usw.) sowie über die von ihm veröffentlichten Titel (vor allem mit Hilfe des VD16 und des VD17) und über die eventuellen Rechtsnachfolger. Am Ende wird noch kurz, doch vollständig, die mögliche bestehende Spezialliteratur über jedes Geschäft zitiert.

Zu bemerken ist, dass der Verfasser die gegebenenfalls im Ausland zur Verfügung stehenden Internetquellen, insbesondere die OPAC einiger großer Bibliotheken, nicht erwähnt. So enthalten beispielsweise der CCF (Catalogue collectif de France [3]) und der Gesamtkatalog der Staats- u. Universitätsbibliothek (BNU) Straßburg [4] weitere Titel, die Friedrich Wilhelm Schmuck (908) insbesondere vor 1682 veröffentlichte. Es ist zudem bekannt, dass Schmuck zuerst als Kupferstecher gearbeitet hat, was aus dem Artikel ebenfalls nicht hervorgeht. Bei einigen Notizen hat man zuweilen auch den Eindruck, der Verfasser sei der Arbeit von Benzing doch zu treu gefolgt, so dass die zugehörigen Literaturangaben nicht immer auf dem neuesten Stand sind. Ferner ist in demselben Artikel über Schmuck zu lesen, dass "Straßburg in diesem Jahr [1681] von Frankreich besetzt [wurde]", was den historischen Gegebenheiten vielleicht nicht ganz gerecht wird. Die Historiker benutzen vorzugsweise das frz. Wort "réunir" und folgen damit dem von der königlichen Verwaltung jener Zeit benutzten Ausdruck.

Es handelt sich hierbei aber nur um Kleinigkeiten, die von der Unmöglichkeit zeugen, ein erschöpfendes Gesamtverzeichnis der Buchdrucker der modernen Periode vorzulegen. Im Grunde bleibt gültig, dass das Buch von Reske ein Meisterwerk bildet, das der Forschung eine Fülle von Angaben und Referenzen zur Verfügung stellt. Es sollte als eine Quelle von enormem Reichtum von allen Historikern nicht nur im Sonderbereich der Buchgeschichte, sondern auch im allgemeinen Feld der Kultur- bzw. Sozialgeschichte genutzt werden. Eine präzisere Geographie des deutschsprechenden Buchwesens im 16. und 17 Jahrhundert wäre anhand dieses Repertoriums jetzt leicht zu erstellen, und das Repertorium könnte zugleich den Ausgangspunkt für eine Fülle neuer Städte- bzw. Druckermonographien darstellen. Insbesondere wäre es sinnvoll, die ethnologische oder ethnographische Problematik in eine geschichtsvergleichende Perspektive einzurahmen.

Schließlich bestätigt das Buch von Reske einmal mehr, dass es ein Glück ist, solche Arbeiten noch als gedruckte Bände veröffentlichen zu können, auch wenn die aktuelle Herausforderung der buchgeschichtlichen Forschung, die darin besteht, eine europäische Kooperation zu etablieren, eher mit Hilfe der sogenannten neuen Medien bewältigt werden dürfte.


Anmerkungen:

[1] Zu Wien verfügt die Forschung jetzt über das bemerkenswerte Buch von Peter R. Frank und Johannes Frimmel, Buchwesen in Wien 1750-1850. Kommentiertes Verzeichnis der Buchdrucker, Buchhändler und Verleger, mit einer um Information zur Verteilung der Befugnisse, Adressen und Biographien wesentlich erweiterten Fassung im PDF-Format auf CD-Rom, Wiesbaden, Harrassowitz Verlag, 2008, XVIII-299 S., Abbild., 1 CD-Rom ('Buchforschung. Beiträge zum Buchwesen in Österreich', 4).

[2] Man denke z. B. an Rudolf Hoffalter, Drucker zuerst in Ungarn, später (1573-1574) in Dolnja Lendava (Krain).

[3] http://ccfr.bnf.fr/portailccfr.

[4] http://www.bnu.fr/BNU/FR/Catalogue/Catalogue+general.

Frédéric Barbier