Rezension über:

Ralf Roth / Robert Beachy (eds.): Who Ran the Cities? City Elites and Urban Power Structures in Europe and North America, 1750-1940 (= Historical Urban Studies), Aldershot: Ashgate 2007, xxxi + 278 S., ISBN 978-0-7546-5153-6, GBP 55,00
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Rezension von:
Imke Sturm-Martin
Historisches Seminar I, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Imke Sturm-Martin: Rezension von: Ralf Roth / Robert Beachy (eds.): Who Ran the Cities? City Elites and Urban Power Structures in Europe and North America, 1750-1940, Aldershot: Ashgate 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 4 [15.04.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/04/13770.html


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Ralf Roth / Robert Beachy (eds.): Who Ran the Cities?

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Als "notoriously difficult" bezeichnen die Herausgeber die Analyse politischer Macht in der modernen Stadt. Dieser Herausforderung begegnen Robert Beachy und Ralf Roth mit einem internationalen Vergleich - und lassen die Analyse dadurch nicht unbedingt einfacher werden. Die Ergebnisse zeigen für die kommunalen Machtstrukturen im langen 19. Jahrhundert vom Balkan bis Quebec die zu erwartende große Heterogenität. Und doch lässt die breite geographische Anlage das Thema nicht auseinander fallen, sondern vielmehr ein Mosaik entstehen, bei dem zwar auch jedes Steinchen für sich glänzt, aber erst in der Kombination mit den anderen ein komplettes Bild ergibt. Die Herausgeber legen den zeitlichen Schwerpunkt mit dem 19. Jahrhundert in eine Epoche, in der 'klassische' urbane Eliten durch die Ausweitung der politischen Partizipation und den Wandel der öffentlichen Sphäre besonderen Herausforderungen ausgesetzt sind. Die zwölf Beiträge in diesem Band untersuchen 11 Städte aus acht Nationen vertiefend und einige mehr im vergleichenden Überblick. Die Herausgeber haben die Beiträge nach geographischen Aspekten in drei Abschnitte geordnet. Der erste wichtige Schwerpunkt liegt dabei auf Großbritannien, ein zweiter versammelt Beiträge zu kontinentaleuropäischen Städten, im dritten Abschnitt werden nordamerikanische Großstädte untersucht. Diese geographische Dreiteilung im Band ist gleichzeitig eine inhaltliche, indem sie auch auf die unterschiedliche Dynamik der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Nordamerika, Großbritannien und auf dem Kontinent verweist.

Roth und Beachy sehen aber auch besondere stadtgeschichtliche Spezifika der drei geographischen Bereiche des Sammelbandes, und in dieser Zuordnung werden bereits wichtige Ergebnisse des Bandes vorweg genommen. So sehen die Herausgeber für den ersten Abschnitt, dessen Beiträge sich auf Großbritannien beziehen, vor allem die Folgen der Serie britischer Kommunal-Reformen des 19. Jahrhunderts für das Zusammenspiel von ökonomischer und politischer Macht bei den urbanen Eliten als gemeinsamen Nenner der Beiträge. Bei den Beispielen vom europäischen Kontinent drehen sich die Fragestellungen hingegen vornehmlich um den Einfluss kultureller Institutionen und informeller Netzwerke in der Elitenformierung und -stabilisierung, während für die kommunale Politik und die urbanen Eliten in den vier untersuchten Metropolen in Nordamerika im letzten Abschnitt vor allem der Aufstieg der Massendemokratie eine besondere Rolle spielt. Hinsichtlich des methodischen Zugriffs wollen die Herausgeber dabei kaum Einschränkungen vornehmen, sie sehen in unterschiedlichen methodischen Ansätzen lieber eine weitere Ebene des Vergleichs. Auf der Suche nach der historiographischen Tradition der Analyse städtischer Eliten und einer definitorischen Eingrenzung des Begriffs ziehen die Herausgeber in ihrer Einleitung lange Traditionslinien bis zurück zum Lamprecht-Streit und spitzen die sozialhistorischen Forschungen von Jürgen Habermas und Thomas Nipperdey mit David Blackbourn und Geoff Eley auf ihre Bedeutung für die deutsche, mit Robert J. Morris und Peter Clark für die britische Stadthistoriographie zu. Diese breite historiographische Einbettung bietet vor allem für Historiker anderer Spezialdisziplinen einen leichten Zugang zu grundsätzlichen Fragen der Stadtgeschichte.

Zentral in dieser Tradition ist der Aufstieg der Mittelklasse, der am Beispiel der Stadt Lincoln von Denise McHugh dokumentiert wird. Wie auch in den Beiträgen von James Moore und Richard Rodger sowie von Louise Miskell stehen die politischen Reformen im Großbritannien des 19. Jahrhunderts, die auch die Stadtverwaltungen betreffen, hier besonders im Mittelpunkt. Im Vergleich des "British model" mit dem deutschen Fall weist Michael Schäfer die Bedeutung der unterschiedlichen demokratischen Entwicklungen nach: Die schrittweise Ausweitung des Wahlrechts in Großbritannien während des 19. Jahrhunderts gibt den städtischen Eliten wie der in Edinburgh genügend Zeit, sich auf ihre veränderte Position einzustellen, während eine Leipziger Elite den plötzlich drohenden Herausforderungen der Demokratie nur hilflos autoritär begegnen kann.

Gerade im deutschen Fall scheint aber die soziale, politische und konfessionelle Zersplitterung städtischer Eliten ein besonderes Problem zu sein, wie Ralph Roth für die Städte Frankfurt, Dortmund, Bremen, Augsburg, München und Köln nachweist. Die vielen unabhängigen selbstverwalteten Organisationen, in die sich die urbanen Eliten aufgliedern, genießen selbst ohne unmittelbare politische Zwecke oft großen Einfluss - von Stadt zu Stadt jedoch mit großen Unterschieden. Während im deutschen Fall alteingesessene Familien nicht selten ihren 'Standortvorteil' in der kommunalen Politik nutzen, zeigt Steinar Supphellen für die norwegische Stadt Trondheim, wie sich die städtische Elite im 18. Jahrhundert aus eingewanderten deutschen oder niederländischen Kaufleuten mit europaweiten Netzwerken rekrutiert, die je nach Steueraufkommen die Geschicke der Gemeinde bestimmen.

Die Bedeutung von Vereinen und informellen Netzwerken in den Städten Mittelost- und Südosteuropas weisen Árpád Tóth am Beispiel Pest und Dobinka Parusheva für die Großstädte des Balkanraums nach. In Pest überbrücken derartige Vereinigungen die Grenzen zwischen Bürgern und Nichtbürgern, Konfessionen und Klassen und bieten damit auch Lösungsansätze für typische gesellschaftliche Probleme der Sattelzeit zwischen 18. und 19. Jahrhundert. Die konfessionell und religiös übergreifende Mitgliedschaft mancher Vereine ist ein Element städtischer Entwicklung, das auch für den Zeitraum der Verwestlichung der traditionell islamisch regierten Balkanstädte im späten 19. Jahrhundert konstatiert werden kann.

Chicago, klassisches Objekt der modernen Stadtsoziologie, fehlt auch in diesem Band nicht, und Marcus Gräser untersucht denn auch direkt den Einfluss der Chicago School auf die Stadtpolitik, der ausgesprochen gering geblieben ist. Gräser führt den Erfolg der Massendemokratie als Grund für die geringe Wahrnehmung der Stadtforscher in der urbanen Öffentlichkeit an. Die Reaktionen der New Yorker Bourgeoisie auf die Massendemokratie beobachtet Sven Beckert und findet dabei ähnliche Abläufe wie in Europa. Brian Young betritt mit seinem Vergleich von Quebec und Montreal Neuland für Kanada, wo der Städtevergleich - anders als für die europäische Stadtforschung - bislang kaum Anhänger fand. Die "Patrizierfamilien" der protestantischen McCord und der katholischen Taschereau werden mit ihrem sich über Generationen erstreckenden kommunalen Engagement beobachtet, gleichzeitig wird hier - wie im Beitrag von Emil Konishi über King's Lynn in Norfolk - auch die Rolle der Frauen in der urbanen Elitenbildung gewürdigt.

An vielen Einzelaspekten lässt sich die gründliche Redaktion dieses Bandes festmachen, von der Einheitlichkeit der Fragestellungen bis zur Bildauswahl. Neben dem Befund der regionalen Besonderheiten der städtischen Eliten macht die geographische Dreiteilung auch deutlich, wie regional unterschiedlich die Forschungsinteressen in der Stadtgeschichte ausfallen. Man wünscht sich mehr solcher gelungener Beispiele internationaler Vergleiche und internationaler Zusammenarbeit.

Imke Sturm-Martin