Rezension über:

Waldemar Heckel: The Conquests of Alexander the Great (= Key Conflicts of Classical Antiquity), Cambridge: Cambridge University Press 2008, xxii + 218 S., ISBN 978-0-521-84247-1, GBP 14,99
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Michael Zahrnt
Institut für Altertumskunde, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Michael Zahrnt: Rezension von: Waldemar Heckel: The Conquests of Alexander the Great, Cambridge: Cambridge University Press 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 4 [15.04.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/04/14942.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Waldemar Heckel: The Conquests of Alexander the Great

Textgröße: A A A

Waldemar Heckel beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Alexander, hat in dieser Zeit eine große Zahl grundlegender Monografien und anregender sowie weiterführender Aufsätze verfasst und darf zu den weltweit herausragenden Kennern der Geschichte des Makedonenkönigs, der Quellen und der mit beidem verbundenen Problemen gerechnet werden. Diese Meisterschaft hat ihn befähigt, in offensichtlich relativ kurzer Zeit (das lassen manche Wiederholungen und Dubletten in Text- und Anmerkungsteil vermuten) einen überaus geistreichen Essay über Alexanders Eroberungen zu verfassen. Dabei betont Heckel ausdrücklich, keine Biografie und überhaupt keine erschöpfende Behandlung geliefert, sondern den Schwerpunkt auf militärische und politische (einschließlich administrativer) Aspekte gelegt zu haben. Es gehe weniger um detaillierte Schlachtschilderungen als um Ziele, Wirkung und politische Konsequenzen militärischer Aktionen und speziell den Einsatz von Propaganda für Zwecke sowohl der Motivation als auch der Rechtfertigung. Schließlich kommen auch Verschwörungen und Meutereien zur Sprache und zwar als Reaktionen auf Alexanders Politik und sichtbare Veränderungen in seiner Persönlichkeit bzw. Symptome von Kampfmüdigkeit oder Enttäuschung wegen ausbleibender Beförderung. Das sind innerhalb der nicht abreißenden Flut von Alexanderdarstellungen durchaus interessante Ansätze und verlockt zur Lektüre.

Es fragt sich allerdings, an welches Publikum die Herausgeber der Serie bzw. der Autor gedacht haben. Das ausführliche "glossary" (167-170) scheint im Hinblick auf eine Leserschaft ohne große Vorkenntnisse aufgenommen worden zu sein. Letztere sind aber häufig notwendig, um die Ausführungen zu verstehen und die Schlussfolgerungen in den größeren Rahmen des Alexanderzuges einzuordnen. Das beginnt in der Einleitung (1): Ein mit der Materie nicht vertrauter Leser kann weder Alexander im Jahre 325 im Indusdelta verorten noch Gemeinsamkeiten mit dem Übergang über den Hellespont im Jahre 334 erahnen. Auch die Ausführungen zu Philipp II. (15ff.) bedingen die Kenntnis der Geschichte des Königs: Was ist z.B. "the battle of the Crocus Field" und wo setzten die Phoker Artillerie gegen die makedonische Phalanx ein? Auf Seite 45 wird überlegt, warum Alexander in Richtung Daskyleion zog, während sich die persischen Truppen in Zeleia sammelten; leider sind beide Orte nicht auf der Karte (44) verzeichnet. Gleiches gilt für Seite 60ff.: Man kann nicht den Pinaros mit dem Kuru Çay identifizieren und dann diesen nicht auf der Karte zeigen. Auf Seite 87ff. bleibt ungesagt, wie Dareios endete und Alexander von Persepolis nach Hekatompolis kam. Auch flohen nicht alle Mörder nach Baktrien; Heckel selbst nennt Satibarzanes, der in seine Satrapie Areia zurückkehren durfte. Desgleichen hätte man sich z.B. bei der Behandlung der Kleitosnacht (100ff.) oder der Meuterei von Opis (142ff.) größere narrative Abschnitte sowie bei der Skizze der im Indusgebiet getroffenen Ordnung (126) eine Karte oder zumindest klare topografische Angaben gewünscht.

Heckel bringt kluge Ausführungen zur Quellenkritik, die er für eine Art Detektivarbeit erklärt (10ff.); aber wenn es um Philipps letzte Ehe und Tod geht, glaubt er kritiklos den Quellen, was besonders einem so charmanten Erzähler wie Plutarch zugutekommt (20ff.). Auch akzeptiert er die nur bei Polyain (4,3,23) berichtete Geschichte von Alexanders Einmarsch in Thessalien mithilfe von Stufen, die in den Hang des Ossa (nicht Oita, wie 28 behauptet) geschlagen worden seien. Es gibt zahlreiche Übergänge von Makedonien nach Thessalien, sodass Alexander keine Pioniere bemühen musste. Offensichtlich glaubt Heckel auch Arrians Angabe (2,21,4), die Mauern von Tyros hätten eine Höhe von 150 Fuß gehabt (67); das wäre das Vierfache der Aurelianischen Mauer nach ihrer Erhöhung um 400 n. Chr. gewesen. Nach Diod. 17,71,2 sollten die Schätze aus Persepolis nach Susa, nicht nach Ekbatana transportiert werden (83), was angesichts der verschneiten Pässe gar nicht möglich gewesen wäre.

Genug der Einwände, und wir kommen zu den unbedingten Vorzügen des Buches, das als eine Sammlung von grundgescheiten 'Diskussionsbeiträgen' bezeichnet werden kann (XI: "I have tried to highlight major themes and, in places, to challenge accepted interpretation."). Das beginnt mit seinem Alexanderbild, das keinem der immer wieder gezeichneten Extreme folgt, sondern wohltuend zwischen Arrianismus und Badianismus angesiedelt ist. Knappe, aber gut verständliche Ausführungen zu Alexanders Heer und zu seiner Taktik in den großen Schlachten (24ff.) bereiten auf die Lektüre der entsprechenden Abschnitte vor, die sich ebenfalls jeweils durch Klarheit und Kürze auszeichnen. Alexander ist zwar der überlegene Feldherr, aber Heckel lässt auch seinem häufig als feige und unfähig verschrienen Gegner Dareios Gerechtigkeit widerfahren. Dass Prosopografisches eine große Rolle spielt, ist beim Verfasser einer "Prosopography of Alexander's Empire" verständlich.

Zu den beherzigenswerten Ausführungen gehört die besonnene Behandlung der Philotasaffäre, innerhalb derer Heckel sowohl die tatsächliche Existenz einer Verschwörung, mit der Parmenions Sohn sympathisiert haben könnte, wahrscheinlich als auch Alexanders Reaktion auf die offensichtliche Gefährdung verständlich gemacht hat (88ff.). Desgleichen hat er überzeugend herausgearbeitet, dass es beim Versuch der Einführung der Proskynese nicht um die Vorstufe zu einem Herrscherkult, sondern um eine 'protokollarische Gleichschaltung' der verschiedenen Untertanen des Königs ging (106ff.). Der Zug nach Indien diente der Wiederherstellung der vollständigen Herrschaft in allen Gebieten, die einst dem Großkönig, dessen Nachfolge Alexander angetreten hatte, unterstanden hatten, nicht aber dem Streben, das Ende der bewohnten Erde zu erreichen (112f.). Die Behandlung des geschlagenen Poros entsprang nicht der Großmut Alexanders, sondern dem Wunsch, an der Grenze seines Reiches ein starkes Königreich zu haben (120). Folglich sollte es baldmöglichst flussabwärts zum Ozean gehen und die Zeit bis zur Fertigstellung der Flotte durch einen Marsch bis zum Hyphasis überbrückt werden; die dortige Meuterei sei von Alexander provoziert worden, um seinen Soldaten die Schuld an der ohnehin geplanten Umkehr geben zu können (120ff.). Damit erledigt sich auch die häufig geäußerte Vermutung, Alexander habe sein Heer zur Vergeltung durch die Gedrosische Wüste gejagt; dieser Zug sei vielmehr notwendig gewesen, um die Fahrt der Flotte zu unterstützen, doch könnte der König die Schwierigkeiten falsch eingeschätzt haben oder von seinen Informanten getäuscht worden sein (131ff.). Leider erfahren wir nicht, wie hoch Heckel die Verluste während des Marsches beziffert. Ins rechte Licht gerückt werden auch die nach der Rückkehr durchgeführten Strafmaßnahmen, die bisweilen zu einem "reign of terror" hochstilisiert werden (137ff.). Zu den ausführlich behandelten Vorgängen gehören schließlich die Massenhochzeit von Susa (137ff.), die Harpalosaffäre (135. 144ff.) sowie das Verbanntendekret (146ff.) und die Verleihung göttlicher Ehren, die von den Griechen ausging, Alexander aber sehr gelegen kam (146ff.).

Auch wenn man Heckel nicht in allen Punkten zustimmt, wird man seine erfrischenden Überlegungen zu einigen Aspekten des Alexanderzuges dankbar begrüßen und nur bedauern, dass die Herausgeber ihm nicht mehr Seiten zugestanden haben.

Michael Zahrnt