Rezension über:

Tilman Struve (Hg.): Die Salier, das Reich und der Niederrhein, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, VII + 414 S., ISBN 978-3-412-20201-9, EUR 54,90
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Rezension von:
Florian Hartmann
Deutsches Historisches Institut, Rom
Redaktionelle Betreuung:
Martina Giese
Empfohlene Zitierweise:
Florian Hartmann: Rezension von: Tilman Struve (Hg.): Die Salier, das Reich und der Niederrhein, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 4 [15.04.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/04/15182.html


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Tilman Struve (Hg.): Die Salier, das Reich und der Niederrhein

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Die Publikation von Beiträgen wissenschaftlicher Tagungen zählt inzwischen zum Tagesgeschäft. Allein für die Salierzeit wurden in den letzten Jahren mehrere Tagungsbände vorgelegt [1] beziehungsweise stehen unmittelbar vor der Veröffentlichung. [2] Der besondere Wert eines solchen Bandes resultiert im Idealfall nicht nur aus der Qualität der einzelnen Beiträge, sondern vor allem aus der Gesamtschau, aus einer übereinstimmenden Methodik oder Fragestellung, aus einer inhaltlich kohärenten Konzeption oder zumindest einer erkennbar dichten Verwandtschaft der behandelten Themen.

Bewertet man unter Beachtung dieser Kriterien den Band, den Tilman Struve als Ergebnis einer im Herbst 2006 in Köln veranstalteten Tagung herausgegeben hat, so kann man nur unter Vorbehalten eine schlüssige Gesamtkonzeption und eine inhaltliche oder methodische Klammer erkennen. Entsprechend gibt die Einleitung als Ziel des Bandes nur vage vor, "einige der für die Regierung Heinrichs IV. und die Salierzeit zentralen Entwicklungen und Strukturen exemplarisch zu behandeln" (8).

Schon in der ersten von drei Sektionen über "Die Familie der Salier" sind Zugriff und Inhalte durchaus disparat. Es geht dabei um die Krisenhaftigkeit der letzten Jahre Heinrichs III. (Daniel Ziemann, 13-45), es geht um Frauen und Töchter der salischen Herrscher (Claudia Zey, 47-98) und um die Überführung des Leichnams Heinrichs IV. nach Speyer (Caspar Ehlers, 99-114), ehe Jürgen Dendorfer (115-170) die gesamte Herrschaft Heinrichs V. untersucht. Unter der vagen Sektionsüberschrift "Aspekte der Reichspolitik" werden die Darstellung Heinrichs IV. in den Streitschriften (Oliver Münsch, 173-205), Entwicklungen der Stadtgeschichte vor allem unter Heinrich IV. und Heinrich V. (Gerold Bönnen, 207-281), Italien im Spiegel salischer Urkunden (Jörg W. Busch, 283-302) und Ehre als Ordnungsvorstellung in der Politik Heinrichs IV. (Knut Görich, 303-323) analysiert. Unter der Rubrik "Köln und der Niederrhein" versammeln sich schließlich Beiträge über die Salier in den Rheinlanden (Rudolf Schieffer, 327-339), über die bürgerliche Stadtgemeinde in Köln (Hugo Stehkämper, 341-351), über die Entführung von Kaiserswerth in der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts (Tilman Struve, 353-368) und über Aachener und Trierer Siegel (Manfred Groten, 369-399).

Zu der thematischen Vielfalt gesellen sich eine auffallende Disparität im Umfang der Beiträge, der zwischen elf und 75 Seiten schwankt, sowie offenbar unterschiedliche Zielsetzungen. So finden sich neben Forschungsberichten und Präsentationen von ersten Befunden für vertiefende Studien auch überaus bemerkenswerte und innovative Beiträge zur Forschung.

Claudia Zey etwa kann einen Wandel in der Heiratsstrategie der Salier nachweisen: Hatten Konrad II. und Heinrich III. noch eine europäische Dimension der Königsheiraten gezeigt, also gleichsam imperial geheiratet, so offenbarte sich erstmals bei der Ehe Heinrichs IV. mit Bertha von Turin - und in der Folge dann immer wieder -, wie die Verheiratung eines Königskindes zu einem Mittel der Konfliktführung in einem reichspolitischen Machtkampf instrumentalisiert wurde.

Jürgen Dendorfer zeichnet einen bemerkenswerten Wandel im Herrschaftsverständnis Heinrichs V. nach. Anfangs, bedingt durch den Kampf gegen seinen Vater, herrschte Heinrich V. konsequent im Einvernehmen mit den Großen des Reiches, deren konkurrierende Vorstellungen allerdings ihrerseits eine gewisse "Plan- und Ziellosigkeit" königlichen Vorgehens verursachen konnten (130). Vor dem Hintergrund dieses Konzeptes konsensualer Herrschaft musste die entschlossene Reichsgutpolitik, die Heinrich V. nach 1112 verfolgte, als fundamentaler Regelbruch erscheinen, der die Stellung des Königs nachhaltig schwächte.

Knut Görich konstatiert in der Mitte der 1070er Jahre eine bis dahin ungekannte Differenzierung zwischen honor regis und honor regni. Die Ehre des Reiches, unterschieden von der des Königs, existierte nur im Konsens zwischen König und Großen. Die sprachlich fundamentale Differenzierung ist daher Folge der tiefen Spaltung jener Personengruppe, die das Reich trug, und impliziert das erklärte Ziel, zur alten konsensualen Herrschaft zurückzufinden.

Rudolf Schieffer erklärt den Niederrhein zu einer königsnahen Landschaft, indem er mit guten Argumenten zeigt, dass gerade die Königsnähe die vergleichsweise geringe Zahl und Dauer königlicher Aufenthalte in dieser Region bedingte. Denn die Salier gingen zumeist reaktiv vor und waren oft gezwungen, Krisenherde in anderen Gegenden des Reiches aufzusuchen und vor Ort zu bekämpfen. Der Niederrhein dagegen wurde eher als Ort sicherer Zuflucht genutzt und daher insgesamt seltener aufgesucht.

Manfred Groten datiert mit bemerkenswerten Argumenten die Fälschung des Karlsdekrets, das Eingang in das Barbarossaprivileg von 1166 gefunden hat, und in der Folge auch das Aachener Karlssiegel in die Zeit Heinrichs V. Das Siegel inszeniert Karl den Großen ebenso wie die Fälschung als überzeitliche Legitimationsfigur des Aachener Marienstiftes. Als Stadtsiegel fungiert dieses Siegel dagegen erst nach 1165. Das erste Stadtsiegel im Reich lokalisiert Groten dann in Trier, indem er in ausgreifender Argumentation postuliert, dass das erstmals aus dem Jahr 1221 erhaltene Trierer Stadtsiegel bereits einer Urkunde aus dem Jahr 1149 angehängt war. In Aachen wie in Trier gingen die Stadtsiegel in ihrer Konzeption auf Siegel kirchlicher Institutionen zurück.

Angesichts der eingangs angesprochenen Heterogenität seiner Beiträge hinterlässt der Tagungsband einen ambivalenten Eindruck, der die Qualität einzelner Aufsätze allerdings nicht zu schmälern vermag. Die Einleitung unter dem Titel "Versuch einer Bestandaufnahme" unternimmt leider nicht den Versuch, die Beiträge und Erkenntnisse argumentativ zu verknüpfen oder weiter zu entwickeln, sondern begnügt sich mit jeweils unverbundenen, sehr knappen Zusammenfassungen der einzelnen Aufsätze. Hier vermisst man eine thematisch einende Argumentation, die die Gesamtkonzeption der Tagung und der verhandelten Themen erhellen könnte. Ein Abkürzungsverzeichnis sowie ein Register der Orte, Namen und Sachen beschließen den Band, der trotz der hier formulierten Kritikpunkte mit durchaus überzeugenden Beiträgen und bemerkenswerten Ergebnissen zu glänzen weiß.


Anmerkungen:

[1] Jörg Jarnut / Matthias Wemhoff (Hgg.): Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert - Positionen der Forschung (= MittelalterStudien; 13), München 2006; Berd Schneidmüller / Stefan Weinfurter (Hgg.): Salisches Kaisertum und neues Europa. Die Zeit Heinrichs IV. und Heinrichs V., Darmstadt 2007.

[2] Christoph Gutmann / Tilman Struve (Hgg.): Die Salier und die Sachsen. Tagung anlässlich des 950. Todestages Heinrichs III. (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar / Goslarer Fundus; 55), Gütersloh 2009; Gerd Althoff (Hg.): Heinrich IV. (= Vorträge und Forschungen; 69), Ostfildern 2009.

Florian Hartmann