Rezension über:

Wolfgang Jahn / Margot Hamm / Evamaria Brockhoff (Hgg.): Adel in Bayern. Ritter, Grafen, Industriebarone, Stuttgart: Theiss 2008, 343 S., ISBN 978-3-8062-2187-9, EUR 24,90
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Rezension von:
Josef Matzerath
Institut für Geschichte, Technische Universität, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Josef Matzerath: Rezension von: Wolfgang Jahn / Margot Hamm / Evamaria Brockhoff (Hgg.): Adel in Bayern. Ritter, Grafen, Industriebarone, Stuttgart: Theiss 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 4 [15.04.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/04/15188.html


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Wolfgang Jahn / Margot Hamm / Evamaria Brockhoff (Hgg.): Adel in Bayern

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Sind Industriebarone auch Adelige? Nach Angaben des Dudens bezeichnet das Wort auf spöttische Weise "Industriemagnaten". Der Untertitel des Begleitbandes zur bayerischen Landesausstellung 2008 bräuchte eigentlich eine Erklärung. Leider fehlt dem Buch aber eine wissenschaftliche Einleitung, in der die Herausgeber die Konzeption der Ausstellung und ihres Kataloges darlegen. Reißerisch kommt auch die Überschrift des Klappentextes daher. Denn sie verkündet: "Der Adel ist abgeschafft - es lebe der Adel!" Wer nun erwartet, eine Geschichte des in Bayern ansässigen Adels bis in die Gegenwart zu finden, muss feststellen, dass das zeitlich jüngste Kapitel sich mit dem "Adel im 19. Jahrhundert" befasst und dass das letzte Exponat dieser Sektion die Verfassungsurkunde des Freistaates Bayern vom 14. August 1919 ist, durch die der Adel abgeschafft wurde. Insofern überzieht auch der Text auf der Rückseite des Einbandes, weil er vorgibt, das Buch behandle "Die Welt des Adels vom Mittelalter bis heute". Ein vereinzeltes Hochzeitsfoto des Grafen Montgelas und der Fürstin Wrede aus dem Jahre 1968 (143) lässt sich kaum als Gegenargument verstehen, zumal es in den Bereich für die Frühe Neuzeit eingebettet ist. Noch fragwürdiger erscheint eine Abbildung von Karl Valentin als "Ritter Unkenstein" im Rahmen der Mittelaltersektion.

Der Begleittext kontrastiert auf mutige Weise mit der ansonsten wissenschaftlich solide gearbeiteten Kommentierung von Gegenständen materieller Kulturgüter adeliger Provenienz. Der "Ritter Rost"auf der Eisernen Burg in Schrottland und die "oiden Rittersleit" geraten dem Leser ohne eine kommentierende Begründung ins Blickfeld, warum hier ausnahmsweise mehrere populäre Adaptionen des mittelalterlichen Rittertums in der Moderne Bestandteil der Ausstellung wurde. Spannend wäre eine Analyse, zu welchem Zweck der Adel früherer Epochen später rezipiert wurde, vor allem schon deshalb gewesen, weil die jüngere sozialhistorische Forschung zum Mittelalter, zur Frühen Neuzeit und zur Moderne auf die Kohäsionskraft der Erinnerungskultur für den Adel nachdrücklich hingewiesen hat.

Nach der Lektüre des Vorwortes vom Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte erahnt man, wie die Ausstellung zustande kam. Die "Begeisterung", schreibt Richard Loibl, des Aschauer "Bürgermeisters Kaspar Öttl und Tourismuschefs Wolfgang Bude" habe geholfen, für die bayerische Landesausstellung zum Adel "die eine oder andere Schwierigkeit [zu] überwinden". Das meint vor allem, dass der größte Teil der Ausstellung in Schloss Hohenaschau keinen Platz fand, sondern ins 18 km entfernte Rosenheim in einen ehemaligen Lokschuppen ausgelagert werden musste. Diese räumliche Trennung der Exponate zog eine Zweiteilung auch des Begleitbuches zur Ausstellung nach sich. Der erste Teil des Bandes mit der auf den ersten Blick überraschenden Überschrift "Lokschuppen Rosenheim" umfasst eine eher chronologische Beschäftigung mit den Adelsformationen Bayerns. Werner Hechberger gelingt in der Einleitung zum Kapitel "Adel im Mittelalter" ein konziser Überblick über die Entwicklung vom bajuwarischen Adel im 6. Jahrhundert bis zur ausdifferenzierten Sozialstruktur des Spätmittelalters. Die folgenden drei Kapitel befassen sich ebenfalls mit dem Adel der Vormoderne. Von den mittelalterlichen Wurzeln her, aber mit Schwerpunkt auf dem Beginn der Frühen Neuzeit hat Ludwig Holzfurtner die Beziehung zwischen Landesherrn und Adel skizziert. Er hebt den Ämterdienst und das Kondominat der Landstände hervor. Vier weitere Autoren haben sich die einleitenden Texte zum breit abgehandelten Komplex "Adeliges Leben" geteilt. Hier liegt ein besonderer Schwerpunkt des Rosenheimer Ausstellungsteils. Die beiden Beiträge von Klaus Kopfmann und Dietmar Stutzer bieten eine gute Einführung in die Spannbreite des Phänomens "Hofmark". Sie sprechen sich aber nicht darüber aus, welchen Wert der Landbesitz für die Konstituierung von Adeligkeit besaß. Barbara Kink, Stefan Pongartz und Wolfgang Schuster haben sich in ihren Artikeln "Herkunft und Familie", "Von der Wiege bis zur Bahre", "Tätigkeitsfelder des Adels" und "Privileg 'Freizeit'" den standestypischen Lebensbedingungen genähert. Drei von sechs dieser Basistexte verzichten leider auf Literaturverweise. Insgesamt erreichen die Ausführungen des Kapitels "Adeliges Leben" den Informationswert, den ein fundiertes Konversationslexikon bietet.

Beim Kapitel 4, "Im Zentrum steht der Landesherr", beschreibt der einleitende Text von Britta Kägler vor allem das Münchener Hofzeremoniell. Der gesellschaftliche Verkehr des Adels untereinander, der in Residenzstädten besonders intensiv stattfinden konnte, wird nicht ausgeleuchtet. Lediglich die spezifische Architektur von Adelspalais diskutiert die Autorin knapp, analysiert aber nicht die gruppenkonstituierende Funktion, die ein großes Haus etwa durch Bälle, Diners oder als Ort von Visiten hatte. Das Kapitel 5, "Adel im 19. Jahrhundert" fokussiert den "Privilegienverlust und [die] Neuorientierung" in der beginnenden Moderne. Die drei Autoren, die dazu das ihre Ansicht nach Grundsätzliche verfassten, haben sich an die seit Langem diskutierten Positionen der klassischen Sozialgeschichtsschreibung angelehnt. Walter Demel referiert die rechtlichen Dimensionen der Integration des fränkischen und schwäbischen Adels in den erweiterten bayerischen Staat des beginnenden 19. Jahrhunderts. Bernhard Löffler geht ohne vertiefte Argumentation noch von "Amalgamierungsprozessen einer großbürgerlich-adeligen Funktionselite" aus, die selbst die jüngere elitentheoretisch ausgerichtete Adelsforschung allenfalls als gescheiterten Versuch betrachtet. Marita Krauss stellt in den Blickpunkt ihrer Betrachtungen zu modernen Tätigkeitsfeldern des Adels die erfolgreichen Mitglieder der Sozialformation. Ob diese gut sichtbaren Adeligen den Standard abbildeten, diskutiert sie nicht. Ein griffiges Erklärungskonzept, wieso der Adel als eine traditionale Großgruppe in der Moderne fortbestehen konnte, bieten die Ausführungen von Demel, Löffler und Krauss dem Leser nicht an.

Der zweite Teil des Ausstellungsbegleitbuches stellt eigentlich ein eigenes Thema dar, das für den "Adel in Bayern" allenfalls exemplarische Bedeutung beanspruchen kann. Die Baugeschichte von Hohenaschau, die Ausmalung der Lauberstube nach italienischen Vorbildern und der Beitrag "Im Dienste der Memoria und Fama - Porträts des bayerischen Adels" sind im Kern kunsthistorische Abhandlungen. Der Text "Adelige Mode vom 16. bis zum 18. Jahrhundert" geht über eine deskriptive Kleidungsgeschichte nicht hinaus und verpasst vor allem eine Stellungnahme zur Kleidung des Adels in der Moderne. Dagegen kann der Beitrag zur "Hoch- und Niedergerichtsbarkeit" immerhin die Ausführungen zur Hofmark im ersten Teil am lokalen Einzelfall ergänzen. Die Beschäftigung mit den Besitzern von Hohenaschau sind auf die drei Kapitel "Die Hohenaschauer Burgherren", "Die Preysing-Hohenauschau" und "Die Familie Cramer-Klett" verteilt. Abgesehen von vertretbaren Redundanzen handeln die Autoren die Besitzerfamilien weithin auf deskriptivem Niveau ab. So erfährt man beispielsweise, dass die Familie Cramer-Klett im Jahre 1942 erkennen musste, "dass Schloss Hohenaschau als Familiensitz nicht erhalten werden konnte". Über den Grund dieser Erkenntnis schweigen sich die Autoren aber aus.

Der Katalogteil des Buches ist in der wünschenswerten Präzision gearbeitet. Er hebt sich von vergleichbaren Publikationen besonders dadurch ab, dass er den Erläuterungen zu den Exponaten kurze Begleittexte voranstellt, die erläutern, was das jeweilige Ausstellungsstück illustrieren soll. Das erschließt nicht allein auf rasche Weise die Vielzahl der Ausstellungsobjekte, sondern gewährleistet in prägnanter Weise den Zusammenhang zwischen musealisiertem Artefakt und historiografischer Intention der Ausstellungsmacher. Das Literaturverzeichnis des Bandes weist dagegen bei aller Fülle doch auch bedenkliche Lücken auf. Obwohl dem Landesherr und seinem Hof ganze Kapitel gewidmet sind, sucht man die Grundlagenliteratur von Norbert Elias, Jürgen v. Kruedener, Alois Winterling, Karl Mökl, Volker Bauer, Wolfgang E.J. Weber und Barbara Stollberg-Rilinger vergeblich.

Josef Matzerath