Rezension über:

Ulman Weiß (Hg.): Buchwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift für Helmut Claus zum 75. Geburtstag, Epfendorf: bibliotheca academica 2008, 484 S., 1 Taf., 84 Abb., ISBN 978-3-928471-70-1, EUR 49,00
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Rezension von:
Christoph Reske
Institut für Buchwissenschaft, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Reske: Rezension von: Ulman Weiß (Hg.): Buchwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift für Helmut Claus zum 75. Geburtstag, Epfendorf: bibliotheca academica 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 4 [15.04.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/04/15927.html


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Ulman Weiß (Hg.): Buchwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit

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Mit der vorliegenden Festschrift wird ein Wissenschaftler geehrt, der sich um die Erforschung der deutschen Buchgeschichte des 16. Jahrhunderts wie kaum ein anderer verdient gemacht hat. Helmut Claus arbeitete seit 1959 als wissenschaftlicher Bibliothekar in der Landesbibliothek Gotha auf Schloss Friedenstein, deren stellvertretender Direktor er 1962 wurde. Die nach sieben Jahren ihrem Auftrag entsprechend in Forschungsbibliothek Gotha umbenannte Einrichtung beherbergt einen bedeutenden Altbestand, neben Handschriften insbesondere Drucke aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. 1981 übernahm Claus als Direktor offiziell deren Leitung und wurde nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und der Neugründung des Landes Thüringen 1991 in diesem Amt bestätigt. In seiner Laudatio weist Helmut Roob (11-13) darauf hin, was Claus wichtig war: die wissenschaftliche Bestandserschließung und die Darstellung der Bedeutung dieser Bibliothek in der Öffentlichkeit. Doch zeichnete sich bald ab, dass die Einrichtung ihre Eigenständigkeit verlieren sollte, weshalb Claus 1996 vorzeitig ausschied (13) - die Bibliothek ist heute Teil der Universität Erfurt.

Claus gehört zu dem Typus Wissenschaftler, der mit seiner grundlegenden, soliden Arbeit die Basis für weitergehende Darstellungen erst ermöglicht. 70 Publikationen konnte Elisabeth Rimpler in einem am Ende des vorliegenden Bandes abgedruckten Schriftenverzeichnis zusammenstellen (459-466). Wie wertvoll diese Publikationen für die Druck- und Buchgeschichtsschreibung sind, konnte der Rezensent in seiner eigenen Publikation zu den Buchdruckern im deutschen Sprachgebiet immer wieder selbst feststellen.

So wundert es auch nicht, dass mit 20 Beiträgen zu Ehren des Jubilars ein sehr umfangreicher Sammelband entstanden ist. Leider geht der Herausgeber Ulman Weiss in seinem äußerst knapp ausgefallenen Vorwort (7) nicht auf die Konzeption des Bandes ein - eine "tabula gratulatoria" bzw. Kurzinformationen zu den Gratulanten fehlen ebenso. Hilfreich ist hingegen das von Annette Gerlach zusammengestellte Register der in den Beiträgen vorkommenden Personen (469-484). Der Band ist typografisch und drucktechnisch weitgehend schön aufbereitet, die Nutzung leidet jedoch durch eine falsch dimensionierte Buchdecke bei der buchbinderischen Verarbeitung.

Alle Beiträge zu besprechen ist hier leider unmöglich. Im Folgenden sollen jedoch einige kurz angesprochen werden, beginnend mit Frieder Schanze, der in seinem Aufsatz "Deutsche Drucke Kilian Fischers in Freiburg aus dem Jahr 1493" (39-54) eine spannend zu lesende Druckerbestimmung liefert. Ihm gelingt es, dem Drucker Fischer vier deutschsprachige, politische Einblattdrucke über die Auseinandersetzungen des Reiches mit Frankreich nachzuweisen, was insofern verblüfft, da dieser Drucker bisher nur durch lateinischsprachige, umfangreiche Drucke bekannt ist. Festzumachen ist die Argumentation an ungewohnten Elementen bei der Schrift, die der Drucker hinzugefügt hatte, um seine für die lateinische Sprache konzipierten Drucktypen für die deutsche Sprache anwendbar zu machen. Fischer scheute den Aufwand nicht, da diese eiligen, amtlichen Gelegenheitsdrucke im Auftrag der königlichen Kanzlei eine lukrative Sondereinnahmemöglichkeit darstellten - die Kanzlei hingegen nutzte Fischers günstige örtliche Lage zum Geschehen.

Alejandro Zorzin untersucht in seinem Beitrag "Peter Schöffer d. J. und die Täufer" die religiöse Einstellung des Sohns des berühmten Mainzer Druckers zur Täuferbewegung (179-213). Eine Verbindung war bereits 1892 thematisiert und 2005 als Grund für seinen Wegzug aus Worms interpretiert worden. Aufgrund der dürftigen archivalischen Quellenlage legt Zorzin nun das Augenmerk auf die von Schöffer hergestellten Drucke. Zwar zeigt sich in den Jahren 1527/1528 eine umfangreiche Druckertätigkeit für die Täuferbewegung, doch blieb diese aufgrund fehlender Firmierungen verborgen. So wurde Schöffers Unternehmen auch nicht tangiert, als die Obrigkeiten Mitte 1527 gegen die Wormser Täufer vorgingen (190). Zorzin kommt zu dem nachvollziehbaren Schluss, dass es keine eindeutigen Indizien für eine Verbindung Schöffers zu der Wormser Täufergemeinschaft gibt und deren Beeinträchtigungen nicht als Grund für den Wegzug des Druckers aus Worms angenommen werden kann. Gleichwohl zeigt sich eine Affinität zu den mystisch-spiritualistischen Gedanken der Reformatoren Hans Denck (ca. 1500-1527) und Ludwig Hätzer (ca. 1500-1529). Abschließend liefert Zorzin 158 Kurzbeschreibungen von Schöffer zuzuweisenden Drucken der Jahre 1510/1511 bis 1542 (179-213).

In seinem Beitrag "Der Katechismus Andreas Althamers von 1528 - Entstehung und Überlieferung des ersten Katechismus für die Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach" würdigt Christoph Weismann den Ende 1528 erschienenen Katechismus des Ansbacher Reformators Andreas Althamer (215-250). Vorbildlich wird zunächst das Leben des Autors dargelegt und dann die Entstehung, der Text und die Weiterwirkung des Werkes analysiert, um schließlich auf die Bedeutung der hier erstmalig abgedruckten Fürbitt-Kollekten hinzuweisen. Beispielhaft sind im Anschluss die Druckbeschreibungen der acht deutschen, sechs niederländischen und der einen englischen Katechismus-Ausgaben, die in den Jahren 1528-1567 erschienen sind. Weismann folgt hier seiner bereits 1981 [1] vorgestellten präzisen Druckbeschreibung mit zeilengetreuer Angabe der Titelseite, der Impressumsseite, einer bibliographisch exakten Beschreibung des Buches, des Exemplarnachweises, der inhaltlichen Zusammensetzung und der Zusammenstellung der Forschungsliteratur und etwaiger Faksimileausgaben, die er teilweise durch individuelle Anmerkungen ergänzt. Diese exakte Beschreibung sollte Standard sein für Drucke der gesamten Handpressenzeit (15.-18. Jahrhundert), freilich ergänzt um eine genaue Beschreibung von Schrifttypen und Bilddruckstöcken (Holzschnitte, Kupferstiche) - viele Untersuchungen an Originalen ließen sich hierdurch vermeiden.

Heinz Scheible gelingt es in seinem Artikel "Melanchthons Verhältnis zu Johannes Setzer", die Beziehung des Reformators Philipp Melanchthon (1497-1560) zu dem Hagenauer Drucker Johannes Setzer zu erhellen, indem er insbesondere auf das Quellenmaterial des von ihm herausgegebenen Briefwechsel Melanchthons [2] zurückgreift (313-321). Wunderte man sich bisher, warum der Reformator bei der Vergabe von Druckaufträgen an den für seine fehlerhaften Drucke bekannten Setzer festhielt, so lässt sich diese Treue nun durch eine frühe und langjährige Freundschaft der beiden erklären.

Einen Einblick in die Gepflogenheiten der Gothaer Bibliothek ermöglicht Maria Mitscherling mit ihrem Beitrag über die "Dienstwege Gothaer Bibliotheksdirektoren" (387-411). Sie nutzt dabei die Beschreibung der Gothaer Bibliothek zu Zeiten Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha von Helmut Claus [3], der 1993 nur die Eckpunkte skizzieren konnte und aus zeitlichen Gründen nicht die Möglichkeit hatte "nach links oder rechts ein wenig abzuschweifen" (387). Mitscherling bringt diverse Fallbeispiele, die sie den Archivalien des Thüringischen Staatsarchivs Gotha entnimmt. So wandte sich beispielsweise der Wolfenbütteler Bibliothekar Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) mit seinem Ausleihwunsch von drei Handschriften nicht direkt an die Bibliothek, sondern ließ seinen Herzog bei dem Gothaer Herzog anfragen (388-390). Die Bibliothek hatte bei Handschriften-Ausleihen nur selten Mitspracherecht. Zu einem Politikum avancierte die Ausleihe von gedruckten Bundestagsprotokollen, die "an ein zu deren Lectüre ganz ungeeignetes Publikum" ausgeliehen worden waren, nämlich zwei Schlossermeistern, worauf der Herzog sein zuständiges Personal zurechtweisen ließ (392). Eine 1843 nach Paris ausgeliehene Handschrift wurde ein Jahr später vergeblich zurückerbeten und gelangte erst durch Intervention des Ministeriums 1846 zurück in die Bibliothek (393). Der Etat für Bucherwerbungen reichte, wie dies auch heute noch vielfach der Fall ist, lediglich zur Weiterführung der Fortsetzungswerke, eine Klage, die sich so Mitscherlich durch alle Aktenbände zieht (397). So ist die Dublettenveräußerung eine äußerst wichtige Einnahmequelle, die wiederum die sorgfältige Bearbeitung der Bibliothekskataloge erforderlich macht (398). Von dem 1459 in Mainz von Peter Schöffer d. Ä. und Johann Fust gedruckten Psalterium Benedictinum (H*13480) besaß man zwei Exemplare und bot eines 1816 der Königlichen Bibliothek in München, der heutigen Bayerischen Staatsbibliothek, zum Tausch gegen Caesars Commentarii von 1469 (GW 5863) an. Wie die Archivalien belegen, ergänzte man beim verbleibenden Exemplar die fehlenden Blätter aus dem nach München weitergereichten, was in den einschlägigen Inkunabelkatalogen nicht verzeichnet ist (403).

Diese kleine subjektive Auswahl lässt die Informationsfülle der Beiträge erahnen. Bei der überwiegenden Zahl handelt es sich um Detailstudien, die weitere Facetten liefern, um unser Verständnis der Buch- und Druckgeschichte zu erweitern - sie entsprechen damit genau der soliden, fruchtbaren Arbeitsweise des Jubilars.


Anmerkungen:

[1] Diese vorbildliche Beschreibung ist leider als unselbstständige Schrift in einem Sammelband versteckt: Christoph Weismann: Die Beschreibung und Verzeichnung alter Drucke. Ein Beitrag zur Bibliographie von Druckschriften des 16. bis 18. Jahrhunderts, in: Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit, hg. von Hans-Joachim Köhler, Stuttgart 1981 (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit; 13), 447-614.

[2] Melanchthons Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe, hg. von Heinz Scheible, Bd. 1-12, T1-T6, Stuttgart/Bad Cannstatt 1977-2007.

[3] Helmut Claus: Die Herzogliche Bibliothek in Gotha zur Zeit Ernsts II, in: Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha 1818-1893 und seine Zeit, hg. von Elisabeth Dobritzsch und Helmut Claus, Coburg/Gotha 1993, 265-284.

Christoph Reske