Rezension über:

Jörg Schwarz: Stadtluft macht frei. Leben in der mittelalterlichen Stadt (= Geschichte erzählt; Bd. 15), Darmstadt: Primus Verlag 2008, 143 S., ISBN 978-3-89678-364-6, EUR 16,90
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Rezension von:
Gerold Bönnen
Stadtarchiv Worms
Redaktionelle Betreuung:
Harald Winkel
Empfohlene Zitierweise:
Gerold Bönnen: Rezension von: Jörg Schwarz: Stadtluft macht frei. Leben in der mittelalterlichen Stadt, Darmstadt: Primus Verlag 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 6 [15.06.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/06/15141.html


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Jörg Schwarz: Stadtluft macht frei

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Einführungen und Überblicke erfreuen sich in letzter Zeit einer beachtlichen Konjunktur. Die Stadtgeschichtsforschung hat mit dem Überblick von Felicitas Schmieder zur mittelalterlichen Stadt (2005) und der (ganz anders angelegten) Arbeit von Bernd Fuhrmann zum selben Thema (2006) zwei derartige Publikationen hervorgebracht, denen der Verfasser nun einen durchaus kühnen erzählenden Überblick ganz anderen Zuschnitts an die Seite gestellt hat. Auf gut 140 Seiten und in gelungener Aufmachung 'erzählt' Schwarz anhand des Bezugspunktes vornehmlich der 'Leitstadt' Köln als wichtigstem urbanen Zentrum des mittelalterlichen Reiches in acht Kapiteln flüssig und anschaulich von zentralen Aspekten der Entwicklung städtischen Lebens, er will "ein Bild geben vom Leben der mittelalterlichen Stadt".

Dass Schwarz mit der Vorstellung von der frei machenden Stadtluft ein bekanntlich sehr differenzierungsbedürftiges Diktum zum Titel gemacht hat, zeigt bereits die Problematik des hier verfolgten Konzepts an, nämlich höchst komplexe Sachverhalte in kleine Kapitel von sechs bis 25 Seiten zu konzentrieren, ohne die Probleme und nötigen Differenzierungen nach Raum und Zeit innerhalb des Mittelalters auch nur annähernd andeuten oder mittels Literaturverweisen nachvollziehbar machen zu können.

Ausgangspunkt ist zunächst ein Blick auf das äußere Erscheinungsbild mittelalterlicher Städte, erwartungsgemäß mit einem klaren Schwerpunkt in der Zeit des 13. bis 15. Jahrhunderts, dabei vor allem den deutschen Sprachraum beachtend. Erzählt wird hier vornehmlich von Fragen der Alltagsgeschichte und Topografie (Märkte, Gastlichkeit, Vergnügungen, Turniere, Hospitäler).

Es folgt ein mehr systematisierender Überblick über einige Städtetypen, wobei sich der Verfasser auf Römerstädte (gemeint sind vor allem die Bischofsstädte römischen Ursprungs), Handelsplätze und Marktorte beschränkt hat. Hier spielt unter Rückgriff auf die Spätantike nach einem kurzen Streifen von Marseille und Genua die Metropole Köln ("Stadt der Römer und des Christentums") eine wichtige Rolle, was zugleich nachvollziehbar ist und dennoch angesichts der Exzeptionalität der Kölner Verhältnisse nicht ganz unproblematisch erscheint. Beim Blick auf See- und Flusshandelsplätze kommen die Wikorte und mit ihnen Haithabu zu exemplarischer Würdigung. Für die Handelszentren im Binnenland wählt der Verfasser sinnvollerweise Regensburg als herausragendes Zentrum aus.

Das ausführlichste Kapitel widmet sich der 'Entstehung eines städtischen Bürgertums' und konzentriert sich neben Mailand wiederum vor allem auf das hochmittelalterliche Köln. Breiten Raum nimmt hierbei der immer wieder thematisierte 'Aufstand' von 1074 mit seinem gesellschaftlich-politischen Hintergrund ein. Dabei (auch hinsichtlich des Kölner Stadtsiegels) werden die in der älteren Forschung so gern betonten und in letzter Zeit weitaus stärker hinterfragten Konfliktlinien zwischen Stadtherrn und Freiheitsbewegung kräftig herausgestrichen, die Kommunebewegung wird ganz in traditioneller Sicht mit dem Streben nach Freiheit gleichgesetzt. Dieser Linie folgt auch die Skizzierung der Mainzer Ereignisse um den Erzbischofsmord von 1160 ('Das Rad wird zurückgedreht').

Anhand der rheinischen Metropole zum einen und Nürnberg als oberdeutschem Zentrum des späten Mittelalters zum anderen verfolgt Schwarz im folgenden Abschnitt die Tätigkeit des ab 1200 sich ausbreitenden Stadtrates ('Lenken und Regieren') einschließlich der Problematik der 'Patrizier' und der innerstädtischen Konflikte samt den mit ihnen einhergehenden Verfassungsänderungen. Anschaulich und originell ist dabei der Blick auf ein Beispiel für die in der Forschung noch wenig präsenten 'Stadt-Tyrannen' des Spätmittelalters am Augsburger Beispiel.

Mit den Mauern als schützendem Ring und Symbol der Stadt konzentriert sich die Darstellung im Folgenden anhand wiederum von Köln und nun der Stadt Nördlingen auf ein zentrales Element der Stadt vor allem während des 14./15. Jahrhunderts. Das sechste, sehr knappe Kapitel verfolgt die Wanderungen der Neubürger und greift damit ein in den letzten Jahren intensiv erforschtes Kapitel der Stadtgeschichtsforschung auf. Es folgt ein Abschnitt über die Außenseiter und Randgruppen der Stadt, zu denen (was bekanntlich nicht unumstritten ist) auch die Juden gerechnet werden, exemplifiziert am Schicksal der Kölner Judengemeinde des späten Mittelalters.

Der letzte Teil ('Erzählen von der Stadt') greift mit der städtischen Geschichtsschreibung anhand von Colmar, Straßburg, Nürnberg und Köln ein zentrales Feld des städtischen Selbstverständnisses auf und stellt Chroniken und andere Geschichtswerke exemplarisch vor, nicht zuletzt mit Blick auf ihren Beitrag zur Rekonstruktion des Alltaglebens in der Stadt.

Dass bei einem durchaus mutigen Unternehmen wie dem vorliegenden Buch zentrale Aspekte wie etwa die städtische Religiosität fast ganz unbeachtet bleiben, dass vor allem die großen Zentren dominieren, dass weite Zeiten und Städtelandschaften ganz außen vor sind (Flandern, Hanseraum u.a. !) usw. wird man bedauern, ließ sich aber innerhalb des Konzepts der nun auf 15 Bände angewachsenen Reihe 'Geschichte erzählt' kaum vermeiden. Etwas willkürlich und nur begrenzt hilfreich sind die wenigen Anmerkungen und die etwa 50 Literatur- bzw. Quellenhinweise. Neben den 17 Abbildungen werden Stichworte und Quellenübersetzungen grafisch hervorgehoben; Register fehlen.

Zwar lässt der Band die stadthistorisch sensiblen Leserinnen und Leser insgesamt ein wenig ratlos zurück, jedoch ist er insgesamt gelungen und gut lesbar. Dies gilt allerdings nur, wenn man keine Einführung im Sinne universitärer Forschungsliteratur erwartet. Dazu wird man auf andere Arbeiten zurückgreifen müssen.

Gerold Bönnen