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Stephan Conermann: Islamische Welten. Einführung, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 6 [15.06.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/06/forum/islamische-welten-122/

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Islamische Welten

Einführung

Von Stephan Conermann

In diesem Forum "Islamische Welten" haben wir es mit Besprechungen von 15 Büchern zu tun, die allesamt wichtige Aspekte unseres Faches berühren. Immer wieder geben runde Geburtstage (65, 70, 75) Schülern, Kollegen und Mitarbeitern die Gelegenheit, dem Jubilar auf wissenschaftliche Art ihren Dank, Respekt und Achtung Ausdruck zu verleihen. Solche Festschriften können natürlich nur bedingt eine inhaltliche Stringenz aufweisen, doch finden sich in der Regel zahlreiche interessante und niveauvolle Beiträge. Dies gilt auch für die hier vorliegenden Bände für John Edmund Woods, der an der University of Chicago eine Professur für Middle Eastern History innehat, und Bert G. Fragner, den Direktor des an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften beheimateten Instituts für Iranistik (Hayoz über Pfeiffer/Quinn bzw. Conermann über Ritter/Kauz/Hoffmann). Beinhaltet der erste Sammelband 25 Beiträge zum Weltreich der Mongolen, den Timuriden, Safawiden, Mamluken, zur historischen Geographie und zu überregionalen Kulturkontakten, so bietet uns das Fragner gewidmete Werk stattliche 39 Kontributionen zu iranischen Themen im weitesten Sinne. Ausgezeichnet werden kann jemand aber nicht nur in Form von Festschriften, sondern auch durch die Aufnahme in die angesehene Variorum Collected Studies Series. Diese Ehre widerfuhr dem britischen Historiker Hugh Nigel Kennedy von der Londoner School of Oriental and African Studies (Scheiner über Kennedy). In dem Band finden sich 14 zwischen 1980 und 2004 erschienene Aufsätze zu drei zentralen Forschungsfeldern: Zum Wandel von Städten und Räumen in der Zeit der Spätantike bzw. des Frühislams, zum Verhältnis von Byzanz zu den Umayyaden und Abbasiden sowie zu islamischen Administrationstechniken und -theorien.

Eine weitere wichtige Form der Publikation sind Handbücher. Wenn alles gut geht, erreichen solche Werke den Status von "Klassikern". So etwa die 1940 von Georg Ostrogorsky (1902-1976) veröffentlichte "Geschichte des byzantinischen Staates" (Scheiner über Ostrogorsky). Der Beck-Verlag hat jetzt noch einmal einen Neudruck der 2. Auflage einer 1965 unter dem Titel "Byzantinische Geschichte 324 bis 1453" erschienenen Sonderauflage auf den Markt gebracht. Trotz aller Vorzüge der Arbeit scheint es mir allerdings dennoch an der Zeit zu sein, sich einmal an eine neue Gesamtdarstellung zu wagen. Dass ein als Handbuch geplantes Vorhaben auch völlig daneben gehen kann, zeigt der Cambridge Companion to Classical Islamic Theology (Eichner über Winter). Viele der beteiligten Autoren scheinen mit der Forschungsdiskussion nicht vertraut zu sein und versuchen erst gar nicht, eine konzeptionelle Perspektive zu verfolgen. Offenbar hatte der Herausgeber ihnen keinerlei inhaltliche Vorgaben gemacht und Themen eher willkürlich der einen oder anderen Person zugeordnet. Eine Vorstellung, wie islamische Theologie institutionell, historisch oder systematisch im Kontext anderer Disziplinen einzuordnen ist, wird nicht entwickelt. Vielleicht ist es manchmal doch besser, wenn ein Übersichtswerk aus der Feder eines Autors stammt. Ein gutes Beispiel ist M. Şükrü Hanioğlus "Brief History of the Late Ottoman Empire" (Schwanitz über Hanioğlu). Der Überblick über die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen innerhalb der Osmanischen Reiches während des "langen 19. Jahrhunderts" (1789/98-1918) ist zugleich kenntnisreich, anschaulich und sehr gut lesbar.

Ein Thema, das seit einiger Zeit im Mittelpunkt des islamwissenschaftlichen Interesses steht, sind die verschiedenen nahöstlichen Erinnerungskulturen. Hochinteressant und spannend sind in diesem Zusammenhang die Memoiren von einem Mitglied des Stammes Boyr Ahmadi über einige deutsche Spione in Süd-Iran während des Zweiten Weltkrieges (Schwanitz über Taheri). Die Erinnerungen dieses Zeitzeugen, die der Berliner Ethnologe Burkhard Ganzer vorbildlich herausgegeben und eingeleitet hat, ergänzen wunderbar die bereits bekannten Berichte des Abwehr-Majors Bernhardt Schulze-Holthus und des Abwehr-Hauptmanns Paul Leverkühn. Einen ähnlich bemerkenswerten Charakter besitzt auch der Rückblick des Historikers Nicola Ziadeh (1907-2009) auf sein Lesen, mit dem der 93-Jährige im Jahre 2001 einen in Beirut veranstalteten Kongress über die mentale Verarbeitung des Ersten Weltkrieges im Nahen Osten eröffnete (Meier über Farschid/Kropp/Dähne). Dieser erste globale Krieg sollte in der Tat in eine Globalgeschichte eingeordnet werden. Zu lange hat man ihn allein von den Schlachtfeldern in Westeuropa aus wahrgenommen.

Eine Grauzone in unserem Forum bilden drei Bücher, die an der Schnittstelle von Wissenschaft und Populärdarstellungen verortet werden können. Reza Aslan, seines Zeichens Assistant Professor for Creative Writing (!) an der University of California (Riverside) und bekannt durch seine Artikel in der Washington Post, in denen er den Irak-Krieg und die Politik der Regierung von George W. Bush scharf verurteilt, präsentiert uns eine Übersicht über den Glauben der Muslime von Muhammad bis zur Gegenwart (Kulke über Aslan). Obgleich er sich um ein objektives Urteil bemüht, bietet Aslan in seiner Skizze der frühen islamischen Geschichte kein an dem neuesten Forschungsstand orientiertes Bild. Vielmehr beschreibt er, woran der Großteil der Muslime glaubt. Dabei kann Aslan weder seine schiitische Herkunft noch sein Credo, dass die islamische Welt dringend die Aufklärung nachzuholen habe, ausblenden. Eine ganz andere Form des persönlichen Statements bietet da der Bericht des irakischen Schriftstellers Najem Wali über seine Reise zu einer Konferenz in Haifa im Frühjahr 2007 (Schwanitz über Wali). Sehr eindrücklich, differenziert und glänzend geschrieben reflektiert der Autor das Spannungsverhältnis zwischen einer jungen israelischen Demokratie und den alteingesessenen arabischen Stammeskulturen in seiner Heimat. Als für den wissenschaftlichen Leser ungeeignet erweist sich hingegen ein Buch von Lynette und André Singer, eine Begleitpublikation zu einem von ihnen produzierten Dokumentarfilm über die Rekonstruktion der "Kanzel von Saladin" (Kühn über Singer). Es geht um die Wiederherstellung eines 1168/69 von Nur ad-Din (reg. 1146-1174 in Syrien) in Auftrag gegebenen Minbars. 1187 ließ ihn Saladin aus Aleppo in die al-Aqsa-Moschee in Jerusalem überführen, wo er 1969 durch einen Brandanschlag fast vollständig zerstört wurde. Erst 2006 konnte man der Öffentlichkeit das wiederhergestellte Kunstwerk vorstellen.

Neben der auch in diesem Forum vertretenen philologischen Grundlagenarbeit, etwa der Edition von fünf wichtigen Handschriften zur sunnitischen Theologie während der Osmanenzeit (Schüller über Badeen), erfreuen wir uns schließlich an drei Rezensionen über Arbeiten zum 19. und 20. Jahrhundert. Zum einen legt Felix Konrad eine umfassende Analyse des ägyptischen Hofes in der Zeit von 1840 bis 1880 vor (Schüller über Konrad). Den zeitlichen Rahmen der Abhandlung bilden die Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, in der die monarchische und dynastische Ordnung in Ägypten fest verankert wurde, so dass Monarchie und Dynastie als stabilisierende und dominierende gesellschaftliche und politische Faktoren bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts unangefochten bleiben konnten. In Bezug auf die sich in dieser Zeit etablierenden Nationalstaaten in der sogenannten muslimischen Welt stellt die Analyse der Heterogenität paralleler, konkurrierender oder einander überlagernder Rechtsordnungen und deren Verflechtung mit dem staatlichen, internationalen und supranationalen Recht ein Desiderat dar. Verfassungen sind dabei ein (wichtiger) Teil der gesamten Rechtskultur einer Gesellschaft. Da kann es doch erstaunen, dass sich selbst die wichtigsten sunnitischen Religionsgelehrte zu diesem Thema so gut wie gar nicht äußern (Conermann über Wick). Zu guter Letzt gilt es, über ein Buch zur "ersten islamischen Republik" zu sprechen (Bentlage über Gallab). Gemeint ist der Sudan in der Zeit von 1989 bis 1999, als Hasan at-Turabi versuchte, seine bis dahin von ihm entwickelten Vorstellungen einer muslimischen Gesellschaft in der Wirklichkeit zu realisieren. Wir bekommen ein vielschichtiges Bild vom Entstehen, Entwicklung und Scheitern dieses Unterfangens.

Ich wünsche allen viel Spaß bei der Lektüre!

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