Rezension über:

Kim Christian Priemel: Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik (= Moderne Zeit. Neue Forschungen zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts; Bd. XVII), Göttingen: Wallstein 2007, 864 S., ISBN 978-3-8353-0219-8, EUR 48,00
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Rezension von:
Ralf Banken
Historisches Seminar, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Michael C. Schneider
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Banken: Rezension von: Kim Christian Priemel: Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik, Göttingen: Wallstein 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 10 [15.10.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/10/13879.html


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Kim Christian Priemel: Flick

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Bereits die erste von demnächst drei Untersuchungen zur Friedrich Flick und seinen unternehmerischen Aktivitäten vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik bewegt sich methodisch und inhaltlich auf der Höhe der modernen Unternehmensgeschichtsschreibung und ist zu Unrecht als Bespiel einer zu langen Dissertation in die Diskussion geraten. [1] Zwar ist die Arbeit umfangreich, doch gut strukturiert und verfolgt zudem stringent eine konkrete Fragestellung. Zudem ist die auch in den finanztechnischen Passagen nicht nur stets auf Höhe des Themas, sondern lässt sich darüber hinaus auch gut lesen. Priemels Interesse zielt dabei vor allem darauf, das Funktionieren des Flick'schen Konzerns über zahlreiche Krisen und politische Systeme hinweg nachzuverfolgen, die Ursachen für den Erfolg des Inhabers herauszuarbeiten und schließlich anhand dieses Beispiels das Verhältnis von Staat und Unternehmen im 20. Jahrhundert genauer zu bestimmen.

Der Verfasser geht dabei chronologisch vor und widmet sich zunächst dem Aufstieg Flicks in Weltkrieg und Inflation bis 1925/26, als dieser sich zunächst durch äußerst geschickte Beteiligungsgeschäfte vom angestellten Manager in der siegerländischen Eisenindustrie zu einem der Großaktionäre in der Stahlbranche seiner Zeit emporschwang und zahlreiche Montanunternehmen im Siegerland sowie in Oberschlesien und Mitteldeutschland kontrollierte. Neben dem geschickten Erwerb beherrschender Mehrheiten durch verwinkelte Manöver war dabei vor allem Flicks Fähigkeit zur Instrumentalisierung der politischen Institutionen von zentraler Bedeutung, etwa durch die vermeintliche Wahrung deutscher Interessen in der ostoberschlesischen Eisenindustrie oder der angedrohten Schließung regional wichtiger Arbeitgeber sowie durch politische Lobbyarbeit und umfangreiche Parteispenden.

Mit dem Einbringen der Mitteldeutschen Stahlwerke und anderer Beteiligungen gelang es Flick dann ab 1926, zum größten Anteilseigner an den Vereinigten Stahlwerken und damit gleichzeitig in die erste Liga der nationalen Industriellen aufzusteigen. Als aber aufgrund der Weltwirtschaftskrise die Sicherung seiner Kredite brüchig wurde, konnte Flick seine finanziellen Verpflichtungen, die er zum Erwerb der Unternehmensanteile eingegangen war, nicht mehr bedienen und sich nur durch einen damals als skandalös empfundenen Verkauf der überteuerten Stahlverein-Aktien ans Reich retten. Unbeirrt von seinem Verlust als größter Anteilseigner des wichtigsten deutschen Montanunternehmens, baute Flick in der Folgezeit einen integrierten Stahlkonzern in Mitteldeutschland auf. Dabei arrondierte er sich auch durch umfangreiche Arisierungen, u.a. die Übernahme des Hochofenwerks Lübeck und der Petschek-Braunkohlenvorkommen, ohne jegliche moralische Vorbehalte und mit üblen Methoden jeder Art. Das Flick'sche Firmenkonglomerat profitierte dabei besonders stark von der nationalsozialistischen Rüstungskonjunktur. Die intensive politische Lobbyarbeit der Berliner Firmenzentrale zahlte sich auch im Zweiten Weltkrieg weiter aus, als Flick den Zugriff auf mehrere Montanbetriebe in den besetzten Gebieten erhielt.

Nach dem Zusammenbruch seines Montanimperiums am Kriegsende und seiner Haft im Rahmen der Nürnberger Prozesse gelang es Flick ab 1948 abermals, ein neues Firmenreich aufzubauen. Neben dem Hochofenwerk Lübeck sowie der bayrischen Maxhütte erwarb er mit den Entschädigungszahlungen für seinen früheren Steinkohlenbesitz als Anteilseigner eine starke Stellung bei Daimler-Benz und anderen aufstrebenden Unternehmen, die ihn zum größten Industriearbeitgeber Westdeutschlands machte. Erst mit dem Strukturwandel und Defiziten in mehreren seiner Unternehmen begann der Stern Flicks zu sinken. Mit seinem Tod 1972 setzte sich der Niedergang dann beschleunigt fort. So mussten seine Erben die Anteile der "Cash Cow" Daimler veräußern, um den Rest seines Konglomerats, vor allem die leidenden Stahlunternehmen zu stabilisieren. 1985 wurde die Friedrich Flick KG dann sogar aufgelöst, nachdem deren Spenden an bundesdeutsche Parteien nochmals für einen handfesten politischen Skandal gesorgt und sich Friedrich Flicks Nachkommen als wenig unternehmerisch gezeigt hatten.

Wenngleich sich Priemel - auch aufgrund seiner Frage nach der Beziehung von Staat und Unternehmen - allen bundesrepublikanischen Subventionen und Interventionen zum Trotz aus der Sache heraus stärker auf Flicks Aktivitäten in der Zwischenkriegszeit konzentriert, zeigt doch der Abschnitt über die Entwicklung seiner KG in der Bundesrepublik abermals Flicks Strategien und Stärken. Priemel konstatiert daher einen Systemopportunismus, aufgrund dessen Flick in jedem kapitalistisch geprägten Politiksystem zurechtkam und seine zumeist ungerechtfertigten Vorteile aus der Interventionsbereitschaft der politischen Akteure zog. Allerdings macht ein Vergleich mit anderen, ebenfalls politisch stärker engagierten Wirtschaftsführern wie Reusch oder Thyssen deutlich, dass Flick in seiner Art nicht der Prototyp eines deutschen Unternehmers, sondern eine Ausnahme war und sich deutlich von anderen Firmenchefs unterschied, die in der Regel politisch deutlich weniger opportunistisch und zudem auch weit weniger skrupel- und rücksichtslos agierten.

Über die Frage nach dem Verhältnis zwischen Staat und Unternehmen und dem speziellen Ergebnis für den Flick'schen Fall lassen sich zwei weitere methodische Aspekte der Arbeit besonders hervorheben. Zum einen macht Priemels Studie deutlich, dass die Erstellung einer Unternehmensgeschichte ohne die zentrale Überlieferung der obersten Unternehmensleitung zwar möglich und auch gewinnbringend ist, zumal durch die alliierten Nachkriegsuntersuchungen für Flick letztendlich eine durchaus gute Quellenlage vorliegt. Allerdings zeitigt das Fehlen dieser Archivalien dennoch Folgen und macht so indirekt den Wert von Unternehmensarchiven deutlich. So kann der Autor die eigentliche Strategie nicht durch interne Papiere und Überlegungen der Konzernführung erfassen, sondern muss diese aufgrund deren Entscheidungen und Vorgehensweise herausarbeiten, was aufgrund der vielen Schwenks und Finten Flicks größeren Spielraum für Interpretationen lässt.

Auf ein zweites methodisches Ergebnis weist Priemels Untertitel "Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik" hin, zeigt diese Wahl doch anders als sonst häufig seinen reflektierten Umgang mit dem Unternehmensbegriff, der für die Flick'schen Konglomerate eben nicht immer zutraf. Tatsächlich kann man einzig für die Zeit von 1931 bis Kriegsende 1945 ohne größere Probleme von einem Unternehmen reden, auch wenn der Flick'sche Konzern in dieser Zeit im Wesentlichen durch die Besitzansprüche von Friedrich Flick zusammengehalten wurde und sich als Unternehmen nie von seinem Eigentümer "verselbstständigte", d.h. sich institutionalisierte. Auf keinen Fall kann man dagegen die Vereinigten Stahlwerke als ein Flick'sches Unternehmen ansehen, da Friedrich Flick trotz seiner Eingriffe in die Unternehmensführung eben nur der größte Anteilseigner blieb. Auch für die Zeit der Bundesrepublik ist es schwierig, das Flick'sche Firmenkonglomerat mit dem Unternehmensbegriff zu bezeichnen. Anders als in den dreißiger Jahren gab es nach 1948 jedoch keinen größeren Zusammenhang zwischen Flicks Beteiligungen wie Daimler, Feldmühle oder der Maxhütte, sodass man allerhöchstens von einer reinen Finanzholding sprechen kann, die eben je nach Interesse Unternehmen erwirbt oder verkauft, auch wenn Flick von diesem alten, stets unsentimental durchgehaltenen Grundsatz zum Schluss seines Lebens teilweise abwich, z.B. im Fall der Maxhütte, an der er trotz ihrer wirtschaftlichen Schwierigkeiten unbeirrt festhielt. Der geringe Zusammenhalt dieses Konglomerats zeigte sich denn auch nicht nur an den Unternehmenskäufen und -verkäufen Flicks, sondern noch mehr an der kurzen Überlebenszeit des Konzerns nach seinem Tod. Als sich sein ehemaliges Firmenimperium nach dessen Ableben wie in Luft auflöste, war es, als wenn es ohne seinen eigentlichen Lenker und Eigentümer Friedrich Flick nicht leben konnte, da es sich zuvor eben nicht als eigenständige Institution etabliert hatte.


Anmerkung:

[1] Außer Priemels Studie ist bis jetzt publiziert: Johannes Bähr / Axel Drecoll / Bernhard Gotto / Kim C. Priemel / Harald Wixforth: Der Flick-Konzern im Dritten Reich, München 2008. In Kürze erscheint dann die Untersuchung der Jenaer Forschungsgruppe: Norbert Frei / Ralf Ahrens / Jörg Osterloh / Tim Schanetzky: Flick. Der Konzern, die Familie, die Macht, München 2009. Zur erwähnten Diskussion siehe: Manfred Rasch: Eine Polemik zum heutigen deutschen Promotionswesen im Fach Geschichte und die Würdigung der als Buch erschienenen Dissertation vom Kim Christian Priemel: Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. in: VSWG 96 (2009), H. 1, 27-32; Alfred Reckendrees: Weder Polemik noch Rezension. Anmerkungen zu einem Beitrag von Manfred Rasch im 96. Band der VSWG 2009, 27-32, in: VSWG 96 (2009), H.2, 212-216.

Ralf Banken