Rezension über:

Mechthild Dubbi: Vom k.u.k. Hauptmann zum Kommerzialrat. Karl Bittner 1871-1951. Zwei Lebensentwürfe im Spiegel autobiographischer Aufzeichnungen (= Sozial- und wirtschaftshistorische Studien; Bd. 33), München: Oldenbourg 2008, 297 S., ISBN 978-3-486-58792-0, EUR 49,80
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Rezension von:
Klaus-Dieter Mulley
Institut für Geschichte der Gewerkschaften u. AK Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Klaus-Dieter Mulley: Rezension von: Mechthild Dubbi: Vom k.u.k. Hauptmann zum Kommerzialrat. Karl Bittner 1871-1951. Zwei Lebensentwürfe im Spiegel autobiographischer Aufzeichnungen, München: Oldenbourg 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 10 [15.10.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/10/14709.html


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Mechthild Dubbi: Vom k.u.k. Hauptmann zum Kommerzialrat. Karl Bittner 1871-1951

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Im Rahmen einer sich in den letzten beiden Jahrzehnten zur "Kulturwissenschaft" wandelnden "alten", überwiegend auf Strukturen fixierten Sozialgeschichte feierte auch "das Subjekt" eine "Rückkehr" in das historiografische Interesse. [1] Die Erforschung unterschiedlicher Identitätskonstruktionen gewann in einer von zunehmender Unsicherheit und scheinbarer Undurchschaubarkeit gezeichneten (Um-)Welt an Bedeutung. Bereits vor einem Jahrzehnt sprach Hans-Ulrich Wehler im Zusammenhang mit der Renaissance Erikson'scher Theorie vom "unaufhaltsamen Siegeszug der Identität". [2] In der vorliegenden Arbeit von Mechthild Dubbi geht es um die unterschiedlichen "Lebensentwürfe" eines um die Jahrhundertwende lebenden "klassischen" Vertreters des Wiener Bürgertums.

Der spätere "Kommerzialrat" Karl Bittner, der es vorerst nur mit Mühe zum "k.u.k.Hauptmann" brachte, lebte von 1871 bis 1951. Die Geschichte hätte von ihm wohl kaum oder nur am Rande Notiz genommen, wenn nicht sein umfangreicher Nachlass einer Dissertantin Gelegenheit geboten hätte, seine sich im Laufe der Jahre wandelnden Lebens- und Identitätsentwürfe zu re- und dekonstruieren.

In der Tat gelingt es Dubbi das von persönlichen und wirtschaftlichen Krisen gezeichnete Leben des Herrn Bittner zum Teil minutiös nach zu zeichnen und auf seine unterschiedlichen Dispositionen zu hinterfragen. Dem Streben des in Salzburg als Kind eines Oberrealschullehrers und einer gut situierten Prager Bürgerin geborenen Karl Bittner nach einer Offizierslaufbahn wurde zwar nach Ablehnung seines Ansuchens um Besuch der "Technischen Militärakademie" durch seine Aufnahme in der Theresianischen Militärakademie entsprochen, sollte jedoch nach seiner Ausmusterung als Offizier bedingt durch eine chronische Krankheit eher tragisch verlaufen.

Karl Bittner bezeichnete die Zeit seiner Offiziersausbildung als eine "Zeit voll herrlicher Ideale und froher Hoffnungen" (69). In der aus bürgerlicher und adeliger Herkunft gleichermaßen bestehenden sozialen Zusammensetzung der Militärakademiker glaubt Bittner das "demokratische Prinzip" verwirklicht. Detailliert und versehen mit zahlreichen Hinweisen aus der Literatur beschreibt die Autorin in diesem Zusammenhang die Offiziersrekrutierung und das Selbstverständnis der angehenden Offiziere.

Die Militärlaufbahn Karl Bittners sollte nach 15 Jahren scheitern. Wiewohl die Autorin in diesem Scheitern mit seiner nachfolgenden Hinwendung zu bürgerlichen beruflichen Interessen eine bedeutende Zäsur im Leben des Karl Bittner erblickt, kann sie deren über diverse Krankheiten hinaus reichenden Ursachen trotz Hinweise auf ähnliche Schicksale in der Armee nur unzureichend beschreiben. Jedenfalls verbrachte Bittner ein Drittel seiner Dienstzeit im Krankenstand, verschuldete sich, bekam ein Ehrenratsverfahren und wurde denn auch von Beförderungen übergangen.

1907 versuchte der als Offizier gescheiterte Karl Bitnner eine "bürgerliche Karriere", die von hochdotierten Managerposten über Versuche sich selbständig zu machen bis hin zu Zeiten der Arbeitslosigkeit reichte und durch Höhen und Tiefen, Hoffnungen und Enttäuschungen gekennzeichnet war. Entscheidend für sein "bürgerliches Selbstverständnis" war seine führende Stellung im "Österreichischen Betonverein", die er 1907 bis 1914 und dann wieder ab 1929 ausübte. Im Grunde war Bittner ein mit seinem Leben immer wieder recht unzufriedener Gesell.

Die Autorin zeichnet die nur scheinbaren Antagonismen "Offizierslaufbahn" und zum Teil "Bürgertum" minutiös nach, jedoch gelingt ihr nicht ganz diese unterschiedlichen Identitätskonstruktionen in ihrer sozialen Bedingtheit miteinander in Einklang zu bringen. Die Anerkennung als k.u.k. Offizier und später das im österreichischen Bürgertum verankerte Bewusstsein als "Weltkriegsoffizier" gedient zu haben gehörten mit zum vielerorts konstruierten Selbstbildnis und war mithin ein integraler Bestandteil von Bürgerlichkeit. Wenn auch das durch die Autorin en detail beschriebene und auch kritisch hinterfragte Leben des Karl Bittner sicherlich nicht unbedingt stellvertretend für "Bürgerlichkeit" in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts zu sehen ist, so gelingt Mechthild Dubbi mit ihrer akribisch gearbeiteten Studie doch die Innen- und Außenansichten, die Selbstbildnisse und Repräsentationen des österreichischen Bürgertums kritisch zu hinterfragen. Insofern ist die vorliegende Studie für jede biografische Beschäftigung mit militärischen und bürgerlichen Lebensformen im 20.Jahrhundert Pflichtlektüre, die eine Fülle von Hinweisen und Anregungen bietet.


Anmerkungen:

[1] Reinhard Sieder: Die Rückkehr des Subjekts in den Kulturwissenschaften. Wien 2004.

[2] Hans-Ulrich Wehler: Die Herausforderung der Kulturgeschichte. München 1998, 130ff.

Klaus-Dieter Mulley