Rezension über:

Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2009, 638 S., 24 Abb., ISBN 978-3-406-58154-0, EUR 34,00
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Rezension von:
Matthias Meusch
Düsseldorf
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Meusch: Rezension von: Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 3 [15.03.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/03/15777.html


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Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903-1968

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Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer war eine der interessantesten Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Als Jude, Sozialdemokrat und Reichsbannermitglied 1933 von den Nationalsozialisten aus dem Richteramt gejagt, zwei Jahre später nach Dänemark und Schweden emigriert, kehrte er 1949 zunächst als Richter, dann als Generalstaatsanwalt in Braunschweig nach Deutschland zurück. Größere Bekanntheit erlangte er erstmals als Ankläger gegen den Alt- und Neonazi Otto Ernst Remer, der maßgeblich an der Niederschlagung des Aufstandes vom 20. Juli 1944 beteiligt gewesen war. Bauer nutzte den Prozess, um die Widerstandskämpfer um Claus Graf Schenck von Stauffenberg gegen die immer wieder gehörten Schmähungen als Hoch- und Landesverräter zu verteidigen und die Rechtmäßigkeit des Widerstands gerichtlich feststellen zu lassen.

Nachdem Bauer 1956 als Generalstaatsanwalt nach Frankfurt/Main gewechselt war, rückte die strafrechtliche Verfolgung von NS-Tätern in den Mittelpunkt seines Wirkens. Vor allem der erste große Frankfurter Auschwitzprozess, an dessen Zustandekommen er maßgeblichen Anteil hatte, aber auch die zahlreichen von ihm angestrengten Verfahren gegen die am nationalsozialistischen Krankenmord Beteiligten führten dazu, dass das US-amerikanische Time Magazine ihn in einem Nachruf als "West Germany's most renowned Nazi hunter" charakterisierte. Bauers Wirken umfasste jedoch weitaus mehr als nur die Verfolgung von NS-Verbrechern. Nach dem Scheitern der Weimarer Republik war es sein Ziel, am Aufbau einer neuen belastbaren Demokratie mitzuarbeiten. Dies tat er in vielfältiger Weise.

Mit Irmtrud Wojaks Studie liegt nun die erste Biografie dieses Mannes vor. [1] Die ersten sieben Kapitel, ungefähr die Hälfte des Buches, widmen sich dem Leben Bauers bis zu seiner Rückkehr aus der Emigration, wobei Wojak hier weitgehend chronologisch vorgeht. Über Bauers Kindheit und Jugendzeit ist wenig bekannt. Die Autorin versucht deshalb, die fehlenden Quellen mithilfe von Schilderungen von Freunden Bauers und einer Beschreibung des allgemeinen historischen Hintergrundes zu überbrücken. Diese Methode ist prinzipiell angemessen und nachvollziehbar. Allzu oft muss sich die Autorin aber, was die Person Bauers selbst angeht, in bloße Vermutungen und teils wenig substanzielle Schlussfolgerungen flüchten (82ff.). Durch eine gewisse theoretische Unterfütterung hätte man dieses vielen Biografen bekannte Quellenmanko zumindest zu einem gewissen Grad auffangen können. Über Methodik und Fragestellung der Autorin erfährt der Leser aber leider kaum etwas.

Des Öfteren schweift Wojak in diesen ersten Kapiteln auch zu sehr von ihrem eigentlichen Untersuchungsgegenstand ab. So versucht sie etwa, das geistige, kulturelle und politische Klima in Württemberg zur Zeit der Geburt Bauers herauszuarbeiten. Man fragt sich jedoch, welche Bewandtnis die Baugeschichte des Stuttgarter Hauptbahnhofs (51ff.), die Flügelkämpfe in der württembergischen SPD (49ff.) zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder auch die Herren Robert Bosch, Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach (57) für die Biografie Bauers besitzen. Umso verdienstvoller ist die Schilderung der Emigrantenzeit Bauers in Dänemark und Schweden. Auch wenn die Überlieferung hier mitunter wiederum versagt und über das Wirken Bauers nichts Genaues bekannt ist, gelingt es der Autorin, die prekäre Lage Bauers in der Emigration eindringlich zu beschreiben. Minutiös werden außerdem die Kämpfe innerhalb der Exil-SPD dargestellt und Bauer gewinnt hier erstmals politische Kontur.

Die darauffolgenden zwei Kapitel widmen sich Bauers Zeit in Braunschweig, seine sich daran anschließende Tätigkeit in Frankfurt wird in sechs Kapiteln behandelt. Hier geht Wojak nicht mehr chronologisch, sondern sachthematisch vor. In einem spannend zu lesenden Kapitel über die Suche nach Adolf Eichmann, Martin Bormann und Josef Mengele erfährt der Leser eine Reihe neuer und interessanter Details. Die dann folgenden Kapitel sind dem Frankfurter Auschwitzprozess, den NS-"Euthanasie"-Prozessen sowie weiteren hessischen NS-Verfahren gewidmet. Über die Auswahlkriterien für die an verschiedenen hessischen Staatsanwaltschaften geführten Verfahren erfährt der Leser nichts, wiederum hätte man sich einige Äußerungen zu Methodik und Fragestellung der Studie gewünscht. Problematisch ist in diesen Passagen zudem die fehlende Trennung zwischen der von Bauer geleiteten Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt und den anderen hessischen Staatsanwaltschaften, die zwar Bauer unterstanden, aber nicht "seine" Behörden waren. So laufen der tatsächliche Einfluss und die Beteiligung Bauers mitunter Gefahr überhöht zu werden. Auch leidet die Schilderung an einigen Stellen an klarer Strukturierung. So wird zwar das Verfahren gegen Krumey und Hunsche wegen deren Beteiligung an der Deportation der ungarischen Juden erwähnt. Der Leser erfährt auch noch, dass Krumey 1969 verurteilt wurde, was aus Hunsche wurde, bleibt jedoch im Dunkeln (404ff.). Trotzdem gelingt es der Autorin, die Vielzahl der in Hessen in den 1960er Jahren durchgeführten Prozesse sowie die Probleme und Schwierigkeiten, auf die die Strafverfolger bei ihrer Arbeit immer wieder stießen, eindringlich wiederzugeben.

Leider ist hierin aber auch ein Problem dieser Biografie zu erkennen: Bauer wird insgesamt zu sehr auf seine Tätigkeit als "Nazi-Jäger" reduziert. Während diese fast 150 Seiten in Anspruch nimmt, werden seine für sein ganzes Wirken grundlegenden kriminologischen Theorien oder auch seine Überlegungen zu Freiheit und Unfreiheit des Menschen, die zuvor nur an einzelnen Stellen angerissen worden waren, erst am Ende des Buches auf gut 30 Seiten zwar etwas eingehender, insgesamt aber doch nur oberflächlich beleuchtet.

Das größte Manko dieser Biografie ist aber wohl die oft fehlende Distanz der Autorin zum Objekt ihrer Studie. Es ist ein Biografien oft innewohnender Irrtum, Kritik an der untersuchten Person würde deren unbestreitbare Verdienste schmälern. So versäumt es die Autorin etwa, die zeitgenössische Kritik an Bauer - wohlgemerkt: nicht die Diffamierungen seiner Person - auf ihre (zeitgebundene) Berechtigung hin zu prüfen. Es wäre beispielsweise zu fragen gewesen, inwieweit Bauer sich selbst durch sein vor dem Hintergrund der politischen Realitäten mitunter ungeschicktes Handeln Wege verbaut hat - zu nennen wären hier vor allem seine wiederholt viel politisches Porzellan zerschlagenden Interviews. Zu Bauers umstrittenem Vortrag zu den Wurzeln nationalsozialistischen und faschistischen Handelns oder zu der in einem Lexikonartikel zum Begriff des Genozids entwickelten Tätertypologie hätte man sich von einer auf diesem Gebiet ausgewiesenen Historikerin eine etwas tiefer gehende Analyse gewünscht, als dies hier der Fall ist. Etwas weniger Entrüstung und dafür etwas mehr Hermeneutik wären insgesamt angebracht gewesen. In der schwedischen Emigration urteilte Bauers Freund Fritz Tarnow einmal über diesen, er könne "sehr realpolitisch schreiben, aber auch etwas verwirrt radikal-revolutionär reden." Es bleibe abzuwarten, "wie sich F. B. hier weiter machen wird." (166) Diese Frage aus dem Jahr 1943 wäre ein guter Ansatzpunkt für eine etwas kritischere Betrachtung der Person und des Wirkens Fritz Bauers gewesen und letztlich dem Menschen Bauer auch gerechter geworden.

Trotz aller hier geäußerten Kritik hat Irmtrud Wojak ein wichtiges Buch geschrieben, in dem sie Leben und Wirken einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der bundesdeutschen Geschichte anschaulich beschreibt und einen eindrucksvollen Menschen mit einer außergewöhnlichen Lebensleistung einer hoffentlich breiten Öffentlichkeit nahebringt.


Anmerkung:

[1] Zwei umfangreiche Einzelstudien zu Bauers Wirken sind 2001 und 2006 erschienen: Matthias Meusch: Von der Diktatur zur Demokratie. Fritz Bauer und die Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Hessen (1956-1968), Wiesbaden 2001; Claudia Fröhlich: "Wider die Tabuisierung des Ungehorsams": Fritz Bauers Widerstandsbegriff und die Aufarbeitung von NS-Verbrechen, Frankfurt/Main 2006.

Matthias Meusch