Rezension über:

Stefan Borchardt (Hg.): Künstlerfreunde am Hochrhein. Katalog zur Ausstellung der Kunststiftung Hohenkarpfen e. V. 5. April - 19. Juli 2009, Beuron: Beuroner Kunstverlag 2009, 132 S., ISBN 978-3-87071-201-3, EUR 24,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Michael Overdick
Institut für Kunstgeschichte, Universität Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Michael Overdick: Rezension von: Stefan Borchardt (Hg.): Künstlerfreunde am Hochrhein. Katalog zur Ausstellung der Kunststiftung Hohenkarpfen e. V. 5. April - 19. Juli 2009, Beuron: Beuroner Kunstverlag 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 3 [15.03.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/03/16476.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Stefan Borchardt (Hg.): Künstlerfreunde am Hochrhein

Textgröße: A A A

Seit seiner Eröffnung im Jahre 1986 hat sich das Kunstmuseum Hohenkarpfen im Landkreis Tuttlingen / Baden-Württemberg zu einem weithin bekannten Anziehungspunkt für Kunstinteressierte entwickelt. Das abseits der großen Verkehrswege in landschaftlich reizvoller Umgebung gelegene Museum bietet ein schönes Beispiel dafür, dass ambitionierte Kulturprojekte auch in der Provinz gedeihen können. Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg bildet sicherlich das Konzept einer breit aufgestellten Stiftung, die von den Landkreisen Rottweil, Schwarzwald-Baar und Tuttlingen, den Städten und Gemeinden, diversen Wirtschaftsunternehmen und engagierten Privatpersonen getragen wird. Hinzu kommt, dass man mit der konsequenten inhaltlichen Ausrichtung auf die südwestdeutsche Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts auf ein ebenso attraktives wie ergiebiges Nischenthema mit engem regionalen Bezug gesetzt hat.

Dies bewies auch die Ausstellung "Künstlerfreunde am Hochrhein", die vom 5. April bis zum 19. Juli 2009 zu sehen war. Ihr Thema war das überaus vielfältige Beziehungsgeflecht deutscher und schweizerischer Künstler in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Hierbei galt der Blick nicht nur bildenden Künstlern, sondern auch Literaten, die wiederum oftmals selbst als Maler dilettierten. Mit Hans Thoma, Ferdinand Hodler und Hermann Hesse waren drei überaus prominente Namen vertreten. Die meisten anderen Künstler jedoch dürften nur wenigen bekannt sein. Erwähnt seien etwa der Gründer der Malerkolonie Rüschlikon am Zürichsee Hermann Gattiker, der Porträtmaler Ernst Würtenberger, der Böcklin-Schüler Albert Welti oder der vornehmlich als Buchillustrator tätige Ernst Kreidolf.

Zu den weitgehend in Vergessenheit geratenen Künstlern gehört auch Hans Sturzenegger. Seine Person bildet in gewisser Hinsicht das Zentrum des in der Ausstellung vorgestellten Netzwerkes. Der gebürtige Schaffhausener hatte - wie viele seiner Landsleute - in Karlsruhe studiert und dort erste Kontakte zu deutschen Künstlern geknüpft. Vor allem dem Lehrer Hans Thoma sollte er sein Leben lang verbunden bleiben. 1898 bezog Sturzenegger in seiner Heimatstadt den elterlichen Gutshof "Belair", der sich schon bald zu einem beliebten Künstlertreffpunkt entwickelte. Zu Sturzeneggers Freundeskreis gehörte auch Hermann Hesse, der von 1904 bis 1911 in Gaienhofen am Bodensee wohnte. Zusammen unternahmen sie jene Reise nach Indien, die Hesses literarisches Schaffen in entscheidender Weise beeinflussen sollte. Über die Grenzregion von Bodensee und Hochrhein hinaus unterhielt Sturzenegger zudem enge Kontakte nach Zürich bzw. Rüschlikon sowie nach München, wo er sich auch immer wieder für längere Zeit aufhielt.

Der im traditionsreichen Beuroner Kunstverlag erschienene Begleitband zur Ausstellung gliedert sich in einen fünf Beiträge umfassenden Aufsatzteil und einen großzügig gestalteten Abbildungsteil. Abgerundet wird der Band durch einen Anhang, der unter anderem Kurzbiografien der behandelten Künstler und ein - mit 21 Titeln leider etwas knapp ausgefallenes - Literaturverzeichnis beinhaltet. Unnötig erscheint der "Katalog der ausgestellten Werke". Dieser beschränkt sich auf die Auflistung der üblichen Daten und geht dabei lediglich in der Nennung von künstlerischer Technik und Besitzer über die Bildunterschriften im Abbildungsteil hinaus. Es wäre sicherlich benutzerfreundlicher gewesen, hätte man die Angaben zu Technik und Besitzer direkt in den Bildunterschriften gebracht.

Die Folge der Aufsätze beginnt sinnigerweise mit einer in die Thematik einführenden Überblicksdarstellung von Hans Ulrich Wipf. Als Fixpunkte dienen ihm hierbei das Milieu der Karlsruher Akademie, die Malerkolonie Rüschlikon - die übrigens die erste ihrer Art in der Schweiz war - sowie die Stadt Zürich, die sich Dank der beiden Kunstgewerbeschulen und der zahlreichen Galerien zu einer wichtigen Kunstmetropole entwickelt hatte. Der folgende Aufsatz von Hortensia von Roda bietet mit der Behandlung Hans Sturzeneggers und seines Kreises eine weitere Vertiefung des Themas. Am Schluss ihres Beitrages kommt von Roda auch auf das Problem der kunsthistorischen Einordnung zu sprechen. In treffender Weise kennzeichnet sie die Vertreter des Sturzenegger-Kreises als "zu spät geboren, um zu den Pionieren des 19. Jahrhunderts zu gehören, und zu früh, um sich der Avantgarde anzuschließen" (25). Man blieb der Tradition der Barbizoner und der Impressionisten verpflichtet und stand im Banne von arrivierten Künstlerpersönlichkeiten wie Böcklin, Thoma oder Hodler. Vielleicht wäre noch hinzuzufügen, dass der Malerei des Sturzenegger-Kreises ein entschieden antiurbaner Zug anhaftet.

Die im zeitspezifischen Kontext von Kulturpessimismus, Agrarromantik und Lebensreform zu verortende Abneigung gegen das moderne städtische Leben erscheint ebenso offensichtlich im Falle der zahlreichen Literaten, die sich - angezogen von der Landschaft und dem milden Klima - an den Ufern des Bodensees niedergelassen hatten. Die engen Freundschaften, die diese Literaten sowohl untereinander als auch zu ihren malenden und bildhauernden Kollegen unterhielten, bilden den Gegenstand der Beiträge von Manfred Bosch und Roland Stark. Ihre Ausführungen bauen dabei in ähnlicher Weise aufeinander auf wie die von Wipf und von Roda. So entfaltet Bosch einen groß angelegten Überblick, der weit über den Kreis der in der Ausstellung vertretenen Künstler hinausgeht. Hier hätte eine stärkere Konzentration sicherlich gut getan. Gleichwohl bietet die flüssig geschriebene Darstellung mannigfaltige Anregungen zu einer intensiveren Auseinandersetzung. Roland Stark wiederum richtet den Fokus auf Hermann Hesse und dessen Beziehungen zu bildenden Künstlern.

Stefan Borchardt schließlich wendet sich den ausgestellten Gemälden, Aquarellen und Grafiken zu, um die zentralen Themen und Motive zu erläutern. Wie nicht anders zu erwarten, stellen Landschaften und Porträts den größten Anteil. Hinzu kommt noch ein dritter Komplex, den Borchardt "Traumbilder und Phantasiewelten" nennt. Hierunter fasst er allegorische und symbolhafte Darstellungen in der Tradition Böcklins, wie sie vor allem bei Wilhelm Balmer, Albert Welti und Ernst Georg Rüegg zu finden sind. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, wie Rüegg unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges eine geradezu surrealistische Ausdrucksweise entwickelt.

Es wäre sicherlich einfach, wollte man der Ausstellung und dem Begleitband vorwerfen, sie böten keine grundlegend neuen Erkenntnisse. In der Tat wird man den einen oder anderen Aspekt in früheren Veröffentlichungen der beteiligten Autoren wesentlich ausführlicher behandelt finden. [1] Doch dies ist kein Manko. Vielmehr ist anzuerkennen, dass es dem Kunstmuseum Hohenkarpfen gelungen ist, die Ansätze der kunstgeschichtlichen und literaturgeschichtlichen Forschung zusammenzuführen. Der Begriff der "Künstlerfreundschaft" fungiert hierbei nicht nur als Bindeglied. Er eröffnet ebenso die Möglichkeit, die Kunstszene, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts beiderseits der Grenze an Hochrhein und Bodensee etabliert hatte, in einen über die Region weit hinausgreifenden Zusammenhang einzuordnen.

Bei der Beurteilung des Begleitbandes ist weiter zu berücksichtigen, dass er sich an ein breites Publikum wendet. Von daher erscheint es folgerichtig, dass allzu spezielle Fragestellungen ausgeklammert blieben. Auch die Anzahl der Fußnoten wurde auf ein notwendiges Minimum beschränkt. Dennoch sind die lebendig geschriebenen Textbeiträge dank ihres Reichtums an Fakten und Hinweisen auch für den wissenschaftlich Interessierten mit Gewinn zu lesen. Das moderne, dabei angenehm zurückhaltende Layout vervollständigt den rundum positiven Eindruck, den der Band hinterlässt.


Anmerkung:

[1] Hortensia von Roda / Hans Ulrich Wipf: Hans Sturzenegger. Persönlichkeit, Reisen und Werk, Zürich 2007; Manfred Busch: Bohème am Bodensee. Literarisches Leben am See von 1900 bis 1950, 3. erweiterte Auflage, Lengwil 2007.

Michael Overdick