Rezension über:

Thomas Bergholz (Bearb.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Bd. 19: Rheinland-Pfalz II, Tübingen: Mohr Siebeck 2008, 2 Bde., XVI + 995 S., ISBN 978-3-16-149586-1, EUR 279,00
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Rezension von:
Judith Becker
Institut für Europäische Geschichte, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Judith Becker: Rezension von: Thomas Bergholz (Bearb.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Bd. 19: Rheinland-Pfalz II, Tübingen: Mohr Siebeck 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 4 [15.04.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/04/15312.html


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Thomas Bergholz (Bearb.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Bd. 19: Rheinland-Pfalz II

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Mit dem Doppelband zu Rheinland-Pfalz nähert sich die 1902 von Emil Sehling begonnene Edition evangelischer Kirchenordnungen für den Bereich des südlichen Deutschlands ihrer Vervollständigung. In den beiden vorliegenden Bänden werden die Kirchenordnungen der kleineren Territorien des Gebiets, das heute das Bundesland Rheinland-Pfalz bildet, ediert. Sie werden ergänzt durch einen Nachtrag zu Band XVIII und sehr ausführliche Nachträge zu dem 1969 von Johann Friedrich Gerhard Goeters herausgegebenen Band XIV zur Kurpfalz.

Seit Sehlings Zeiten hat sich Einiges geändert. Das betrifft nicht nur die Zeit, die den Bearbeitern für die Edition zur Verfügung steht und die unmittelbare Auswirkungen auf die Intensität der Bearbeitung und der Kommentierung hat, sondern auch die Editionsrichtlinien selbst. So werden nicht nur Kirchenordnungen im engeren Sinne aufgenommen, sondern alle Mandate, Verordnungen und Katechismen, die kirchenordnenden Charakter haben, sowie Auszüge aus (Rats)protokollen, aus denen kirchenordnende Maßnahmen hervorgehen, teils sogar Briefe, die über die Kirchenorganisation Auskunft geben. Dies führt zu einem umfassenden institutionen- und sozialgeschichtlichen Bild, das für die historische Forschung von großem Wert ist. Ob alle diese Texte tatsächlich unter der Überschrift "Kirchenordnungen" versammelt werden müssen, steht auf einem anderen Blatt. Für die Forschung nicht nur von Kirchen-, Politik- und Rechtshistorikern, sondern auch von Sozial-, Kultur- und Alltagsgeschichtlern sind die edierten Texte hingegen von großem Interesse. So ist z.B. auch ein Visitationsbericht abgedruckt (842-853), dessen im engeren Sinne ordnende Funktion begrenzt ist - auch wenn er in Einzelfällen Maßnahmen der Visitatoren beschreibt.

Die Ordnungen sind nach Gebieten zusammengefasst. Sie werden von einer Einführung in die Kirchenordnungsgeschichte des jeweiligen Territoriums oder der Stadt eingeleitet, gefolgt von einer Aufstellung der edierten Stücke. Hierbei ist eine kurze Inhaltsangabe zum Teil mit Interpretationen und Rückschlüssen auf die Territorialgeschichte verbunden. Die Einleitungen geben damit einen guten Überblick über und Einblick in die Landesgeschichte.

Die Edition bietet für die Reichsstadt Landau Katechismen, die Kirchenorganisation betreffende Auszüge aus Ratsprotokollen, eine Feiertagsordnung und Mandate. Bemerkenswert ist, dass hier auch Auszüge aus den Ratsprotokollen abgedruckt sind, in denen Calvinisten diszipliniert werden. Dies ist sozialgeschichtlich von einigem Interesse, auch wenn es keinen übergreifenden kirchenordnenden Charakter besitzt. Zur Reichsstadt Speyer liegen Kirchenordnungen vor. Hier werden zwar ebenfalls Verträge und Mandate ediert, aber keine Protokollauszüge. Die Quellen zur Reichsstadt Worms sind hauptsächlich liturgischer Art: Neben einem Vertrag zwischen der Stadt und dem Klerus von 1525 und dem Katechismus von 1543 finden sich hier die Deutsche Messe von 1524 und das Agendbüchlein von 1560. An diesen Beispielen wird das Auswahlprinzip des Bearbeiters deutlich: Er ediert jeweils die am nächsten an einer offiziellen Kirchenordnung liegenden Texte. Sind Kirchenordnungen verabschiedet und erhalten, so stehen sie im Mittelpunkt. Gibt es sie nicht, werden andere offiziell verabschiedete Texte aufgenommen. Sollten auch diese nicht vorliegen, greift die Edition auf Ratsprotokolle und Briefe zurück. Zu den anderen Territorien wie den Grafschaften Leiningen, Sayn und Wied, der Wild- und Rheingrafschaft und dem Fürstentum Pfalz-Simmern liegen zusätzlich andere die Kirchen betreffende Ordnungen wie Visitationsordnungen, Kirchenzuchtordnungen, Ordinationsordnungen, Zensorenordnungen, Patenordnungen, Dienstanweisungen etc. vor.

Im Folgenden kann nicht auf jedes einzelne der zum Teil sehr kleinen Territorien eingegangen werden. Vor einer ausführlicheren Darstellung der ergänzenden Teile zur Kurpfalz (Band XIV), die den territorialgeschichtlich wichtigsten, weil auf das größte Territorium bezogenen Teil ausmachen, sei darauf hingewiesen, dass mit dem vorliegenden Band nun innerhalb der Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts der älteste evangelische Katechismus der Reformationszeit ediert ist: Der Katechismus Johann Baders von 1526 für Landau wird mangels einer echten Kirchenordnung "als quasi-offizielles Dokument" (29) abgedruckt (34-44).

Die Nummern 1-72 (715-973) geben größtenteils die von Johann Friedrich Gerhard Goeters erarbeiteten Teile zur Kurpfalz wieder, die dieser 1969 aus Platz- und Geldgründen nicht hatte herausgeben können. Sie vervollständigen somit die Ordnungen zu diesem für Reformation und Konfessionalisierung wichtigen Territorium. Nur vier Goeters noch unbekannte Texte sind seinen Vorarbeiten hinzugefügt. Dieser Teil der Edition beginnt mit einem Bericht über das Verbot der katholischen Messe von 1546. Da die Verfügung selbst nicht erhalten ist, wird ein französischsprachiger Brief Dr. J. Brunos an William Paget zitiert, der in den State Papers (London 1852) abgedruckt ist. Des Weiteren werden Kirchenregimentsordnungen, Visitationsordnungen und -protokolle, Mandate, Kirchenbußordnungen, Ordnungen von Waisen- und Armenhäusern sowie Stiften wiedergegeben, auch Eidesformeln und eine Predigt anlässlich einer Visitationsankündigung (797-803). Dass diese von Goeters erarbeiteten Texte nun auch zugänglich sind, ist ein großer Gewinn der Edition. Sie werden ergänzt durch einen Literaturnachtrag.

Ebenfalls erfreulich ist der Nachtrag zu Band XVIII. Nach Erscheinen des Bandes, der sich bei der Edition der Generalartikel von Pfalz-Veldenz auf die fehlerhafte Ausgabe der Artikel durch Theodor Gümbel aus dem Jahr 1900 stützen musste, weil das Original verschollen war, fand sich der Originaltext in einer Privatbibliothek. So konnten nicht nur kleinere Fehler korrigiert, sondern die gesamten Artikel in ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang wiederhergestellt werden - umso bedauerlicher, dass sie nicht auch vollständig abgedruckt, sondern den Editionsrichtlinien folgend, auf die allgemeinen Artikel beschränkt sind.

Trotz des großen Werts der Quellensammlung gibt es jedoch auch einige Kleinigkeiten zu bemängeln. So wäre an manchen Stellen eine intensivere Kommentierung hilfreich und sicher ohne großen Arbeits- und Zeitaufwand möglich gewesen. So wird erst im Laufe des Lesens klar, dass eine "Jahetauff" eine Nottaufe ist (162 taucht der Begriff erstmals auf, 167 wird er verständlich durch den edierten Text). Wie die Knechte bei der Hochzeit das "Braten des Bräutigams" feierten (482), bleibt indes bis zum Schluss im Dunkeln.

Bedauerlicher als die spärliche Erklärung und Kommentierung sind jedoch Tippfehler. Diese finden sich nicht nur in den Einleitungstexten, sondern offensichtlich auch in der Edition selbst. "Chtistus" (367) hätte, sollte es so im Original gestanden haben, doch zumindest ein "sic" verdient, ebenso "mir" statt "mit" (342) oder "ans" statt "uns" (750). Dies verringert das Vertrauen der Leserin in die an sich so verdienstvolle Edition. Vielleicht wäre es besser gewesen, nicht unmittelbar kirchenordnende Texte zugunsten einer genaueren Bearbeitung der eigentlichen Kirchenordnungen auszulassen.

So kann bei manchen Texten wie der Pestordnung der Wild- und Rheingrafschaft von 1612 (645-647) schon gefragt werden, ob sie unbedingt in eine Zusammenstellung evangelischer Kirchenordnungen gehören. Sicher erfährt man hier, dass die Kirchenglocken geläutet und tägliche Abendgebete unter Verwendung der Bußpsalmen abgehalten werden sollten. Der größere Teil der Ordnung beschäftigt sich jedoch mit dem Umgang mit Pestkranken und vorbeugenden Maßnahmen wie bestimmten medizinischen Rezepturen.

Insgesamt liegt mit dem Doppelband Rheinland-Pfalz der Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts jedoch eine sehr wertvolle Quelle für jede Art der historischen Forschung vor, die, ebenso wie die anderen Bände des "Sehling", noch lange als Grundlage und Richtwert der Forschung dienen wird.

Judith Becker