Rezension über:

Hubert Houben (a cura di): La conquista turca di Otranto (1480) tra storia e mito. Atti del Convegno internatzionale di studio Otranto-Muro Leccese 28-31 marzo 2007. Volume Primo (= Saggi e testi; 41), Galatina: Congedo Editore 2008, 377 S., ISBN 978-88-80868-30-9, EUR 45,00
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Hubert Houben (a cura di): La conquista turca di Otranto (1480) tra storia e mito. Atti del Convegno internatzionale di studio Otranto-Muro Leccese 28-31 marzo 2007. Volume secondo (= Saggi e testi; 42), Galatina: Congedo Editore 2008, 331 S., ISBN 978-88-80868-29-3, EUR 45,00
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Rezension von:
Oliver Jens Schmitt
Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Georg Vogeler
Empfohlene Zitierweise:
Oliver Jens Schmitt: Hubert Houben (a cura di): La conquista turca di Otranto (1480) tra storia e mito (Rezension), in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 4 [15.04.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/04/15733.html


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Hubert Houben (a cura di): La conquista turca di Otranto (1480) tra storia e mito

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Die Eroberung Otrantos durch eine osmanische Flotte gehört gewiss nicht zu den weniger bekannten und erforschten Ereignissen der Geschichte Italiens im ausgehenden 15. Jahrhundert. Wenn zu diesem Thema eine große internationale Tagung veranstaltet wird, die über die Ergebnisse der Konferenz von 1980 hinausgehen möchte, muss dies auch durch eine veränderte Forschungslage gerechtfertigt sein. Die in der Einleitung angedeutete Interpretation, es habe sich nicht um den Zusammenprall zweier Kulturen, sondern nur um eine politische Auseinandersetzung gehandelt, ist wohl einem entsprechenden Zeitgeist des beginnenden 21. Jahrhunderts geschuldet und würde eine vertiefte Erörterung verdienen - denn es geht bei dieser etwas versteckten Bemerkung doch um die Bewertung des Charakters der osmanischen Eroberung, die Frage, ob das osmanische Reich einfach eine neue Großmacht im östlichen Mittelmeer darstellte - also ein neues Byzanz - oder ob die Eroberung eines Gebiets durch die Osmanen nicht doch in langer Frist tiefgreifende gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen nach sich zog, von den oft schweren Verwüstungen, dem Verlust an Menschenleben und Kulturgütern ganz abgesehen. Diese Frage, die Einordnung der Eroberung Otrantos nicht nur in einen inneritalienischen Kontext, beantworten die beiden Bände kaum. Der einzige thematisch ausgreifende osmanistische Beitrag (İlber Ortayli) ist wohl der schwächste des ganzen Werks und Klaus Kreisers vorzügliche Abhandlung über Kemal Paşa zades Geschichtswerk widmet sich einem Detailproblem. Den notwendigen adriatischen Kontext stellt v.a. der Beitrag Ermanno Orlandos her, der in eindringlicher Weise die Haltung der Republik Venedig schildert, die 1479 ihren mühevollen sechzehnjährigen Krieg gegen die Osmanen verloren hatte und kein Interesse an neuerlichen Kriegshandlungen hegte. Die von Houben angedeutete Bewertung der osmanischen Eroberung kann jedoch nur in einem Vergleich mit Gebieten erfolgen, die zur selben Zeit wie Otranto gewaltsam in das osmanische Reich eingegliedert wurden - zeitlich nahe liegen besonders Nordalbanien, die Zeta (Montenegro) und die Herzegowina, aber auch die Herrschaft der Tocco - diese Ereignisse scheinen zwar in mehreren Beiträgen auf, doch stets in einem italienischen Kontext.

Diesen italienischen Kontext zu beleuchten nehmen sich, mit Ausnahme Kreisers und Ortaylis, die meisten Autoren der beiden Bände auch vor. Dies zeigt sich bereits im ersten Hauptteil, "Die politische Lage in Italien und im Mittelmeerraum". Giuseppe Galasso entwirft eine Skizze der geopolitischen Lage, wieder ausgehend von Italien; Barbara Baldi zeichnet ein Jahrzehnt italienischer Politik nach (1453-1464), das mit dem Fall Otrantos nicht in unmittelbarer Verbindung steht; mit dem Beitrag von Carmela Massaro (zu Otranto und dem Salento im 15. Jahrhundert) nähert man sich der Regionalgeschichte; einen Detailaspekt, nämlich San Nicola di Casole und die griechische Tradition um Otranto, behandelt Daniele Arnesano - der Bezug zu 1480 wird hier hergestellt durch die Behandlung eines kleinchronikalischen Eintrags in griechischer Sprache, während der Hauptteil der Ausführungen der Handschriftenproduktion gewidmet ist und nur indirekt mit dem Thema der beiden Bände Berührungen aufweist.

Ohne Zweifel am gewichtigsten ist der zweite Hauptteil, "Die türkische Eroberung Otrantos in der geschichtlichen und archäologischen Überlieferung". Die Archäologie ist vertreten mit einem Beitrag von Paul Arthur, der u.a. Keramik aus Iznik (Nikaia, NW-Kleinasien) vorstellt. Allein schon von ihrem Umfang her bilden die Beiträge von Orlando zu Venedig und von Francesco Somaini zur römischen Kurie den Schwerpunkt in diesem Teil. Somaini zeigt, dass die Krise nicht mehr von der ohnehin schon schwächer gewordenen Kurie, sondern durch kleinere und effizientere Kardinalskommissionen bewältigt wurde, die Krise also einen Wandlungsprozess in der Entscheidungsfindung beschleunigte. Giancarlo Andenna und Bruno Figliuolo behandeln beide diplomatische Quellen, v.a. Gesandtschaftsberichte, zum Fall Otrantos, Andenna aufbauend auf einem eigenen umfangreicheren Werk, Figluolo mit einem hilfreichen Inventar zu den Archiven von Florenz und Siena. Insbesondere die Nachrichten der zahlreichen Dispacci sind von der Forschung noch nicht erschöpfend ausgewertet worden. Kristjan Toomaspoeg behandelt kurz "Die europäische Beteiligung am Krieg um Otranto"; Carolina Belli die Reliquien der von den Osmanen getöteten Märtyrer der Stadt.

Der dritte Hauptteil setzt sich wiederum aus breit angelegten Beiträgen und Einzelstudien zusammen. Im Gegensatz zu Francesco Tateos kursorischem Überblick über die Kreuzzüge in der humanistischen und der volkssprachlichen Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts, bietet Gabriella Albanese einen ebenso material- wie thesenreichen Aufsatz mit Bezug zum Thema des Werks: Ihr gelingt es in beeindruckender Weise zu zeigen, dass drei Etappen des osmanischen Vormarsches besondere publizistische Beachtung fanden - der Fall Konstantinopels 1453 als gesamteuropäisches Ereignis und der Fall Otrantos 1480 als Erschütterung in Italien, dazwischen aber der Untergang Negropontes (Chalkis auf Euböa, 1470), der das venezianische Seereich in seinen Grundfesten erbeben ließ und besonders im venezianischen Kulturkreis entsprechend erinnert wurde. Eine Motivanalyse zeigt Kontinuitäten und Besonderheiten der jeweiligen Bewältigung der und Erinnerung an die Niederlage auf. Zwei Schriften zum Untergang Otrantos wenden sich Sondra Dall'Oco (De bello hydruntino des Giovanni Albino) und Silvana Arcuti (De oppressione Ydrontine civitatis des Giovanni Ludovico Vivaldi) zu.

Der zweite Band der Tagungsakten enthält weitere quellenkundliche bzw. rezeptionsgeschichtliche Abhandlungen: Hubert Houben zu den Quellen aus dem Salento; Giancarlo Vallone zum Erzbischof Agricoli; Marco Leone zum unedierten Bericht "Bellum Hydruntinum" des Giovan Pietro D'Alessandro; zwei Beiträge mit geringem Bezug zum Tagungsthema, von Gert Melville zum Türkenbild im Abendland und von Ferdinand Opll zu den Türkenbelagerungen Wiens; Mario Spedicato beschäftigt sich mit der Verehrung der Märtyrer im Umfeld der Schlacht von Lepanto; Pamela Pedone untersucht die Schriften des Historikers Donato Moro; Angelo Maria Monaco analysiert ikonografische Topoi aus dem 19. Jahrhundert; Alessandro Laporta das Werk des Francesco Tranquillino Moltedo aus dem Jahr 1871; Gino Pisanò und Giuseppe Brescia dasselbe Thema im Werk von Maria Corti.

Am Ende des Bandes ist eine Fotoreproduktion des 1631 erschienenen Werkes "Historia de los martires dela ciudad de Otranto" aus der Feder des Francisco de Araujo abgedruckt.

Beschlossen wird das Werk von einer Zusammenfassung der Tagung durch Riccardo Fubini. Dieser konzentriert sich vor allem auf die inneritalienische Diplomatiegeschichte und die Bedeutung der verschiedenen diplomatischen carteggi. Dass sein Beitrag mit einem missglückten Vergleich der Otrantiner Opfer mit den italienischen Soldaten auf Kephallenia (1943) und den muslimischen Bosnjaken von Srebrenica (1995) endet, schließt den Kreis zu dem ebenfalls problematischen Versuch einer makrohistorischen Einordnung zu Beginn des Werkes. Insgesamt handelt es sich um einen qualitätvollen und mit einigen Ausnahmen inhaltlich kohärenten Tagungsband, den besonders Historiker der politischen Geschichte des Quattrocento gerne heranziehen werden. Man legt die beiden gewichtigen Bände aber doch mit dem Wunsch aus der Hand, dass nun ein zur Synthese befähigter Historiker den fleißig aufbereiteten Stoff aufgreift und zu einem großen, abschließenden Opus zusammenfügt.

Oliver Jens Schmitt