Rezension über:

Korey D. Maas: The Reformation and Robert Barnes. History, Theology and Polemic in Early Modern England (= Studies in Modern British Religious History; Vol. 23), Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2010, XII + 250 S., ISBN 978-1-84383-534-9, GBP 60,00
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Rezension von:
Katharina Beiergrößlein
Geschichte der Frühen Neuzeit, Universität Bayreuth
Redaktionelle Betreuung:
Johannes Wischmeyer
Empfohlene Zitierweise:
Katharina Beiergrößlein: Rezension von: Korey D. Maas: The Reformation and Robert Barnes. History, Theology and Polemic in Early Modern England, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2010, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/09/18035.html


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Korey D. Maas: The Reformation and Robert Barnes

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Im Zentrum von Korey D. Maas' Dissertationsschrift stehen die in den 1530er Jahren entstandenen Schriften des englischen Augustinereremiten und späteren Parteigängers Luthers Robert Barnes (um 1495-1540). Es handelt sich dabei um die erstmals 1530 in Wittenberg von Joseph Klug gedruckten Sentenciae ex doctoribus collectae (dt. Fürnemlich Artickel der christlichen Kirchen, Nürnberg 1531), die beiden 1531 (wahrscheinlich Symon Cook, Antwerpen) und 1534 (John Bydell, London) erschienenen Versionen einer an Heinrich VIII. von England gerichteten Bittschrift mit dem Titel A Supplication unto Henry VIII, die in theologischer Hinsicht an die Sentenciae anknüpfen und als eine Art erweiterter Kommentar zu diesen betrachtet werden können, sowie eine Papstgeschichte - Vitae Romanorum Pontificum -, die 1536 ebenfalls die Presse des Wittenberger Druckers Joseph Klug verließ.

Die bisherige (nicht sehr umfangreiche) Forschung zu Robert Barnes beschränkt sich aufgrund ihres Erkenntnisinteresses, den lehrmäßigen Inhalt von Barnes' Schriften freizulegen und diesen in Bezug zur Theologie Martin Luthers zu setzen, meist auf Barnes' dogmatische Werke, insbesondere die englischsprachige Supplication. Die Sentenciae finden bisweilen noch en passant Berücksichtigung, während die sehr umfangreichen Vitae (editio princeps, 183 Blatt) weitgehend vernachlässigt werden. Übereinstimmender Grundtenor der bisherigen Forschungsarbeiten ist, dass Barnes' Werken jegliche theologische Originalität fehle und er bestenfalls als Vermittler und Verbreiter der lutherischen Lehre in seiner Heimat England zu betrachten sei.

Maas' Ansatz ist nun, zunächst einmal alle Schriften Barnes' in den Blick zu nehmen. So bildet deren ausführliche Analyse - mit besonderem Akzent auf den Vitae - hinsichtlich Aufbau, Inhalt, Methode und verwendeter Quellen das Herzstück (69-164) der insgesamt sieben Kapitel umfassenden Arbeit. Maas legt hier überzeugend dar, dass Barnes mit seiner vierten Publikation nicht radikal das Genre wechselte, sondern dass die Vitae nur vordergründig ein geschichtliches Werk sind, das die Lebensbeschreibungen von 176 Päpsten, beginnend mit dem Apostel Petrus und endend mit Alexander III., aneinanderreiht. Vielmehr dienen Barnes die Papstbiographien lediglich als chronologisches Gerüst für sein eigentliches Anliegen, das wie bei den zuvor erschienenen Schriften weiterhin theologischer Natur ist: Ziel ist es aufzuzeigen, dass die römische Glaubenslehre signifikant von der Kirche der Apostel abweiche und daher als neu und häretisch zu betrachten sei.

Auf diese Analyse aufbauend argumentiert Maas, dass die häufig bemühte Frage nach Barnes' inhaltlich-theologischem Programm und dessen Verbreitung zu kurz greife, und formuliert schließlich die These, dass das Besondere an Barnes' Schriften - wofür er auch von seinen Zeitgenossen geschätzt worden sei - die seiner Arbeitsweise zugrunde liegende Methode sei, welche Maas als "confessional historiography" oder "historical theology" bezeichnet (4). Verstanden wird darunter die Inanspruchnahme historiographischer Quellen und Beispiele aus profanen wie aus kirchlichen Historien, um dezidiert konfessionellen oder theologischen Inhalten und Aussagen Nachdruck zu verleihen respektive diese zu belegen. Hierdurch nimmt das historische Argument eine zentrale Rolle in Barnes' Streitschriften ein, was auf den Britischen Inseln bis dato zwar bei politisch, nicht aber bei theologisch orientierten Schriften praktiziert worden war.

Um die Besonderheit von Barnes' Methode zu verdeutlichen, zieht Maas einen Vergleich mit den Schriften Martin Luthers und William Tyndales heran, mit denen Barnes in engem Kontakt stand.

Korey Maas' Ausführungen zu Barnes' Werken und methodischer Vorgehensweise fußen auf zwei einführenden Kapiteln (7-67), die dazu dienen, Robert Barnes historisch und theologisch zu verorten. Maas bietet hier einen knappen, aber dennoch sehr informativen Überblick zu Barnes' soziokulturellem Kontext, seinem theologischen Werdegang, seinem Exil auf dem Kontinent und den daraus resultierenden Kontakten zu den Wittenberger Theologen sowie seinem Tod auf dem Scheiterhaufen 1540. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt dabei eindeutig auf Barnes' Funktion als Theologe, weshalb seine Tätigkeit als Gesandter Heinrichs VIII. (unter anderem zu Johann Friedrich von Sachsen und Christian III. von Dänemark) etwas in den Hintergrund tritt. Um Barnes, den Maas eindeutig als einen Vertreter des "Lutheran wing of reformation evangelicalism" (42) interpretiert, auch in theologischer Hinsicht einzuordnen, stellt er exemplarisch seine Position zur Rechtfertigungslehre, zur Abendmahlslehre sowie zur Royal Supremacy vor.

Ein Ausblick auf die Übersetzungen und Bearbeitungen von Barnes' Schriften sowie die Rezeption seiner Methode durch die Protestanten des 16. und 17. Jahrhunderts rundet Korey Maas' Dissertation schließlich in zwei weiteren Kapiteln ab (165-226).

Gleichzeitig fungiert dieser dritte Teil der Arbeit als Lackmustest für die zuvor aufgestellten Thesen zur Originalität respektive zum Vorbildcharakter von Barnes' methodischer Vorgehensweise. In diesem Zusammenhang macht Maas die Beobachtung, dass Barnes' Methode zwar schnell Nachahmer fand, ihr also durchaus Modellcharakter zukam, und dass Barnes auch häufig als Quelle genutzt wurde. Allerdings wurde er mehr als nützliches Referenzwerk für historische Informationen herangezogen denn als theologische Autorität zitiert. Das wiederum hatte zur Folge, dass in späteren Streitschriften nicht sein Name, sondern die von ihm zusammengetragenen Quellen aufgeführt wurden: "Ironically, then, it was the very methodology employed by Barnes - so valuable to his successors - which allowed him eventually to be written out of later Protestant historiography" (225). Der Nachweis, dass Barnes' Werke dennoch häufig als Quelle beziehungsweise Vorlage herangezogen wurden, gelingt Maas durch das Aufzeigen starker inhaltlicher wie sprachlicher Parallelen sowie der Imitation des Barnesschen Schreibstils, beispielsweise durch den niederländischen Theologen und Lyriker Jacob Revius.

Ein Kapitel, das den Forschungsstand zu Robert Barnes und seinem Werk in umfassender Weise darstellt, beinhaltet die Arbeit leider nicht. Stattdessen wird zu Beginn der einzelnen Kapitel der jeweilige Untersuchungsgegenstand knapp in den Forschungskontext eingeordnet. Als besonders leserfreundlich hervorzuheben sind die kurzen Ergebniszusammenfassungen am Ende der einzelnen Kapitel sowie die kleinen Ausblicke auf das jeweils nachfolgende Kapitel.

Korey Maas' gut lesbare, klar strukturierte und beispielgesättigte Dissertation schließt eine Forschungslücke zu einem der wichtigsten englischen Protestanten des 16. Jahrhunderts und korrigiert durch die sorgfältige und detaillierte Analyse - insbesondere der Vitae Romanorum Pontificum, - die bisherige Sicht, dass Barnes' Schriften lediglich unorginelle Medien zur Vermittlung der lutherischen Theologie auf die Britischen Inseln gewesen seien. Zudem gelingt es Maas dadurch, Robert Barnes etwas aus dem theologischen Schatten seines Ordensbruders und Freundes Martin Luther treten zu lassen.

Katharina Beiergrößlein