Rezension über:

Martin Bucer: Deutsche Schriften, Band 9,2: Religionsgespräche (1541-1542). Bearbeitet von Cornelis Augustijn, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007, 464 S., ISBN 978-3-579-04891-8, EUR 118,00
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Rezension von:
Volkmar Ortmann
Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Johannes Wischmeyer
Empfohlene Zitierweise:
Volkmar Ortmann: Rezension von: Martin Bucer: Deutsche Schriften, Band 9,2: Religionsgespräche (1541-1542). Bearbeitet von Cornelis Augustijn, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 12 [15.12.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/12/16877.html


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Martin Bucer: Deutsche Schriften, Band 9,2: Religionsgespräche (1541-1542)

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Der Band schließt den Themenkomplex "Religionsgespräche" ab, der mit Band 9,1 begonnen wurde. Damit sind die Texte aus dem Zeitraum erschlossen, in denen Martin Bucer den Höhepunkt seiner Bedeutung erreicht hatte.

Die Texte werden chronologisch dargeboten und beginnen im Januar 1541 mit den Briefen an Friedrich Nausea aus der Schlussphase des Wormser Religionsgesprächs, in denen er auf altgläubiger Seite für sein Konzept eines Religionsgesprächs warb.

Dass Briefe Bucers an dieser Stelle anstatt in der Briefedition erscheinen, wird in der Edition nicht extra begründet. Es dürfte aber zum einen ihrer inhaltlichen Relevanz geschuldet sein: "Die Wichtigkeit dieser Briefe für Bucers Anteil an den Religionsgesprächen leuchtet ein." (12) Außerdem wurden diese Briefe bereits 1541 und 1550 zusammen mit den Briefen Nauseas sowie Philipp Melanchthons und den Gesprächsprotokollen der Zusammenkünfte in den "Colloquia Privata" herausgegeben (jetzt in: ADRG II/2, Nr. 439, 1346-1357).

Es folgen zwei bislang unveröffentlichte Entwürfe mit Voten zu Artikel 6 (Konzilien) und 9 (Abendmahl) des "Regensburger Buchs" und damit aus der Zeit der Ausschussverhandlungen auf dem Regensburger Reichstag sowie die bereits von Bucer veröffentlichten Voten "Abusuum ... indicatio" und "Responsum ... de reformandis abusibus". Die beiden letztgenannten Schriften behandeln jeweils die aus Sicht der Protestanten bestehenden Missstände innerhalb der (römischen) Kirche und die Möglichkeit, sie zu beseitigen. Inhaltlich geht es bei beiden Schriften um dieselben Sachverhalte, in den Formulierungen zeigt sich aber die - modern gesprochen - Zielgruppenorientierung der Absender, namentlich natürlich Martin Bucers. Dies wird insbesondere bei dem "Responsum" deutlich, dessen deutsche Fassung gegenüber dem lateinischen Text einen anderen, konkreteren und auf den deutschen Kontext bezogenen Duktus hat. Es folgt die "Admonitio ad legatum Pontificum", Bucers Protest gegen den Einspruch des päpstlichen Legaten Giovanni Contarini in der Frage eines Nationalkonzils.

Martin Bucer, das zeigen diese Gutachten, war mit und neben Melanchthon bei den Vergleichsverhandlungen die führende theologische Persönlichkeit auf protestantischer Seite. Das wird auch durch das "Hauptwerk" dieses Bandes deutlich, die "Acta colloquii" und ihre deutsche Version "Alle Handlungen und Schriften", die zusammen rund drei Viertel des Bandes ausmachen. Hier veröffentlichte Bucer die Dokumente des Regensburger Religionsgesprächs, und insbesondere die letztgenannte Schrift ist Bucers Kommentar zu den Religionsgesprächen und Apologie seiner Position.

Insofern können die "Acta colloquii" und "Alle Handlungen und Schriften" als zwei eigenständige Schriften gelten.Sie werden in der Edition auch nacheinander anstatt im Paralleldruck geboten.

Neben Calvins französischer Ausgabe der Akten und Melanchthons Edition liegt hier nun das dritte Textkorpus der Religionsgespräche und zudem in einer aktuellen Ausgabe vor. Bucers Ausgabe hat allein schon dadurch Bedeutung, weil sowohl Calvin als auch Melanchthon sich auf seine Vorarbeiten in den "Acta colloquii" stützten.

Bucers Ausgabe und Kommentierung der Akten rief teilweise heftige Reaktionen altgläubiger Theologen wie Johannes Eck oder Albert Pigge hervor. Sie weist zudem über den unmittelbaren Bezug zu den Religionsgesprächen hinaus auf die weiteren Bemühungen Bucers in Sachen Vergleichsverhandlungen, die trotz dem Scheitern der Religionsgespräche weitergingen.

Die Einleitungen führen knapp und präzise in Inhalt und Kontext der Schriften ein. Aus den Beschreibungen der Drucke und Handschriften ergibt sich bei mehreren vorhandenen Auflagen die Wahl des Leittextes plausibel. Der textkritische Apparat verzeichnet die Varianten, ebenso Verschreibungen und Druckfehler; der sachkritische Apparat weist Zitate nach und erklärt Sachverhalte oder Begriffe, ohne sich in Forschungsdetails zu verlieren. Irritierend ist lediglich, dass die Marginalien der Originaltexte ebenfalls in den Sachanmerkungen geboten werden. Insgesamt jedoch sind die Texte aufgrund der Kommentierung und der Einleitung jeweils in sich verständlich. Die Edition ist eine profunde Basis für weitere Forschungen und schwebt nicht in der Gefahr, von deren Ergebnissen bald überholt zu sein. Entsprechend nennt auch das Literaturverzeichnis die grundlegende Literatur für die Edition und gibt keinen vollständigen Überblick über die Literatur zum Thema Martin Bucer und die Religionsgespräche.

Ein umfangreicher Registerteil erschließt die Texte: Neben Bibelstellen- und Personenregister werden auch weitere historische Quellenzitate sowie Konzilien und Synoden verzeichnet, wobei in diesen Fällen zusätzlich zwischen nachträglich erschlossenen Verweisen und den von Bucer selbst genannten differenziert wird. Der Einblick in Bucers Argumentationsweise wird dadurch erheblich erleichtert.

Letztmalig enthält Band 9,2 das bisher übliche "chronologische Gesamtverzeichnis" der in den "Deutschen Schriften", den "Opera Latina" und der "Korrespondenz" Bucers edierten Schriften; ab Band 11,3 wird darauf verzichtet.

Deutlicher als in einzelnen früheren Bänden (etwa Band 6,1) wurde im vorliegenden Band das ursprüngliche Konzept der Opera Omnia durchbrochen: Bis auf zwei Texte sind alle in Latein geschrieben! Es ist zu erwarten, dass auch künftig das Kriterium der Sprache zugunsten des Sachzusammenhangs durchbrochen werden muss.

Dass die Texte aus dieser für Bucer so wichtigen Schaffensperiode, die auch innerhalb der Reformationszeit eine Zäsur darstellt, nun vollständig ediert vorliegen, ist nicht nur für die Reformations- und Bucerforschung ein Gewinn, sondern dürfte auch bis hin zu den aktuellen ökumenischen Dialogen und Kontroversen erhellend sein und neue Perspektiven eröffnen.

Volkmar Ortmann