sehepunkte 11 (2011), Nr. 4

Angelika Epple: Das Unternehmen Stollwerck

Global gehandelte Waren wie Kaffee, Tee und Schokolade sind in den letzten Jahren wieder verstärkt in den Fokus der historischen Forschung gerückt, und erweisen sich insbesondere für globalgeschichtliche Fragestellungen - und die Verbindung von regional- und globalgeschichtlichen Perspektiven - als ergiebige Themenfelder.[1] Insbesondere bei Produkten wie Kakao und Schokolade, deren Produktion und Konsum bis weit ins 20. Jahrhundert hinein häufig in weit auseinander liegenden Räumen erfolgte, drängt sich eine globalgeschichtliche Perspektive geradezu auf. Global war das Geschäft um 1900 allerdings noch nicht mit Blick auf den Verkauf der Produkte, der sich im Wesentlichen auf einige europäische Länder und die USA beschränkte, sondern nur, wenn man die gesamte Wertschöpfungskette (vom Anbau des Rohstoffs Kakao bis zur Vermarktung der Produkte) insgesamt betrachtet. Die 2008 an der Universität Hamburg als Habilitation angenommene Arbeit von Angelika Epple verbindet deshalb Global- und Unternehmensgeschichte am Beispiel der 1839 in Köln gegründeten Schokoladefirma Stollwerck. Globalisierung wird dabei nicht als ein einseitiger Homogenisierungsprozess, sondern als ein "Ineinandergreifen von Homogenisierung und Heterogenisierung" (12) verstanden. Konkret fragt die Autorin am Beispiel von Stollwerck danach, wie "Homogenisierung, die häufig im Bereich der Wirtschaft ihren Ursprung hat, und Heterogenisierung, die häufig ihren Ursprung in kulturellen Bereichen hat, im Prozess der Globalisierung" ineinandergreifen (17). Methodisch strebt Epple eine "Mikrogeschichte der Globalisierung" an, um den "übergeordneten Prozess der Globalisierung" mit verschiedenen Akteuren "in Beziehung zu setzen" (11). Untersucht werden neben den Aktivitäten verschiedener Familienmitglieder insbesondere der Aufstieg von Lebensmittelchemikern und ihre Bedeutung für die Definition der Produkte "Kakao" und "Schokolade" sowie die Rolle der Reisenden für den Vertrieb der Waren. Zeitlich umfasst die Arbeit knapp 100 Jahre, von der Gründung des Unternehmens 1839 bis zur Übernahme der Aktienmehrheit durch die Deutsche Bank 1932, mit der die Familie weitgehend aus dem Geschäft gedrängt wurde. Nebst zahlreichen gedruckten Quellen, Gesetzestexten und Patenten, beruht die Arbeit im Wesentlichen auf dem umfangreichen Stollwerck-Archiv im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Köln sowie einigen weiteren Unterlagen aus verschiedenen Archiven in England und den USA.

Das Buch ist in drei große, thematisch (und zugleich chronologisch) geordnete Kapitel gegliedert: Nach einer umfangreichen Einleitung beschreibt Kapitel zwei die zunehmende (globale) Standardisierung des Produktes durch den Aufstieg der Lebensmittelchemie sowie die "Einverleibung und Neuerfindung eines traditionsreichen Produktes" (67) durch seine industrielle Verarbeitung. Die Autorin zeigt hier detailliert, wie mit Hilfe der Lebensmittelchemie und moderner Marketingstrategien aus einem kolonialen Rohstoff ein einheimisches, zunehmend über die Lebensmittelchemie definiertes Massenprodukt gemacht wurde. Gemäß Epple stützte der seit den 1870er Jahren verstärkt einsetzende Kampf gegen die Lebensmittelverfälschungen und die fortschreitende Normierung der Begriffe Kakao und Schokolade auch die koloniale Herrschaft und "überführte sie in eine neue Form des wirtschaftlichen Imperialismus" (51). Kapitel drei beschäftigt sich danach mit der "Automatisierung der Welt", den zahlreichen Aktivitäten von Stollwerck im Bereich der Automatie, und der Funktion von Handelsreisenden für den Vertrieb der Produkte. Epple kann hier zeigen, dass die Entwicklung von Fast-Food und Convenience-Food und die Einführung früher Formen der Selbstbedienung keine einseitig von den USA ausgehenden Innovationen waren. Stollwerck richtete nicht nur in Deutschland, sondern auch den USA ganze Automatenrestaurants ein und betrieb zu Beginn der 1890er Jahre alleine in Deutschland über 15.000 Automaten. Kapitel vier widmet sich schließlich der Internationalisierung und (Re-)Nationalisierung des Unternehmens seit den 1890er Jahren und macht deutlich, dass das "Spannungsverhältnis von Einheit und Differenz" (280) mit dem zunehmenden Ausbau des Betriebes stärker wurde. Konkret äußerte sich dies in verschiedenen, von kulturellen Unterschieden geprägten Konflikten - nicht nur mit Mitarbeitern, sondern auch zwischen den Mitgliedern der Familie Stollwerck. Ohne hier auf Details eingehen zu können, erwies sich das Verhältnis von Selbständigkeit und Kontrolle, Standardisierung und Differenzierung in einem immer grösser werdenden Unternehmen als schwierig und führte 1932 zur Übernahme der Aktienmehrheit durch die Deutsche Bank.

So weiterführend die Verbindung von Global- und Unternehmensgeschichte und ein differenzierter Blick auf die Gleichzeitigkeit von Homogenisierungs- und Heterogenisierungsprozessen ist, sind doch einige kritische Einwände zu machen: Die Argumentation ist an verschiedenen Stellen eklektizistisch, reiht vielfach bereits bekannte Entwicklungen aneinander und ist insbesondere mit Blick auf die These eines "verinnerlichten Imperialismus" zu wenig auf entsprechende Quellen (von Stollwerck) abgestützt. Sicher ist der Autorin zuzustimmen, dass mit der Arbeit der Lebensmittelchemiker ein spezifischer Blick auf den Rohstoff Kakao und eine - allerdings jahrzehntelang umstrittene - zunehmende Standardisierung des Produktes verbunden war. Ob der "Konsum von Schokolade im Untersuchungszeitraum von einem verinnerlichten Imperialismus geprägt war" und die "industrialisierte Welt gegenüber den Kakao produzierenden Ländern eine einheitliche Identität konstruierte" (36), scheint mir nicht nur angesichts des begrenzten Untersuchungsgegenstandes und der zugleich betonten Gleichzeitigkeit von Homogenisierungs- und Heterogenisierungsprozessen allerdings fraglich zu sein. Die Lebensmittelgesetzgebung war bis zum Ersten Weltkrieg - selbst innerhalb einzelner Länder - jahrzehntelang stark umstritten; und auch die Arbeit der Reisenden als "Experten des Fremden" (252) war insgesamt vermutlich stärker von der Markterkundung und Adaption lokaler Besonderheiten als von der Standardisierung und "Automatisierung des Verkaufsgesprächs" (250) geprägt. Schließlich lässt sich eine Mikrogeschichte der Globalisierung am Beispiel Stollwercks vermutlich nur für die Jahre von 1890 bis zum Ersten Weltkrieg schreiben. Zuvor war das Unternehmen noch relativ klein, und danach ist - wie auch von der Autorin konstatiert wird - eher von einer Re-Nationalisierung als von einer weiteren Globalisierung auszugehen. Unnötige Fehler wie die falsche Datierung der Erfindung der Milchschokolade (96) und falsch geschriebene Namen - Daniel Peters statt Daniel Peter (96) und George Feldman statt Gerald Feldman (310) - hätten mit einem sorgfältigeren Korrektorat zumindest teilweise verhindert werden können. Trotz interessanten Fragestellungen auch mit Blick auf die Postcolonial Studies bleiben die komplexen Aneignungsprozesse global gehandelter Güter und das Verhältnis von Globalisierung und Regionalisierung, Homogenisierung und Heterogenisierung weiter zu untersuchen.


Anmerkung:

[1] Vgl. dazu erst kürzlich Alexander Nützenadel / Frank Trentmann (eds.): Food and Globalization: Consumption, Markets and Politics in the Modern World, Oxford 2008 sowie Laura Rischbieter: Globalisierungsprozesse vor Ort. Die Interdependenz von Produktion, Handel und Konsum am Beispiel "Kaffee" zur Zeit des Kaiserreichs, in: Comparativ. Zeitschrift für Globalgeschichte und vergleichende Gesellschaftsforschung 17 (2007), 28-45. Mit Blick auf die Frühe Neuzeit vgl. die Habilitation von Annerose Menninger: Genuss im kulturellen Wandel. Tabak, Kaffee, Tee und Schokolade in Europa (16.-19. Jahrhundert), Stuttgart 2004 sowie die Dissertation von Christian Hochmuth: Globale Güter - lokale Aneignung. Kaffee, Tee, Schokolade und Tabak im frühneuzeitlichen Dresden, Konstanz 2008.

Rezension über:

Angelika Epple: Das Unternehmen Stollwerck. Eine Mikrogeschichte der Globalisierung, Frankfurt/M.: Campus 2010, 451 S., ISBN 978-3-593-39159-5, EUR 39,90

Rezension von:
Roman Rossfeld
Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Universität Zürich
Empfohlene Zitierweise:
Roman Rossfeld: Rezension von: Angelika Epple: Das Unternehmen Stollwerck. Eine Mikrogeschichte der Globalisierung, Frankfurt/M.: Campus 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 4 [15.04.2011], URL: https://www.sehepunkte.de/2011/04/17741.html


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