Rezension über:

Ziad Fahmy: Ordinary Egyptians. Creating the Modern Nation Through Popular Culture, Stanford, CA: Stanford University Press 2011, XIX + 244 S., 9 s/w-Abb., ISBN 978-0-8047-7212-9, USD 24,95
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Rezension von:
Johanna Pink
Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Johanna Pink: Rezension von: Ziad Fahmy: Ordinary Egyptians. Creating the Modern Nation Through Popular Culture, Stanford, CA: Stanford University Press 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 10 [15.10.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/10/19493.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 11 (2011), Nr. 10

Ziad Fahmy: Ordinary Egyptians

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Ziad Fahmys ambitionierte Monographie setzt sich zum Ziel, die Entstehung des ägyptischen Nationalismus in der Zeitspanne von circa 1870 bis 1919 aus dem Blickwinkel der Populärkultur zu untersuchen. Nun sind die ägyptische Ereignis- und Ideengeschichte dieser Zeit bereits vielfach aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet worden. Dennoch gelingt es Fahmy, einen eigenständigen methodischen Zugang zu entwickeln und auf der Basis bisher nicht verwendeter Quellen ein neues Bild dieser Zeit zu zeichnen.

Fahmy führt in der Einleitung seines Buches zutreffend aus, der bisherige Fokus der Forschung zur ägyptischen Nationsbildung habe auf der intellektuellen und politischen Elite gelegen; dies könne aber nicht erklären, wie Nationalismus und Unabhängigkeitsstreben innerhalb weniger Jahrzehnte breite Teile der ägyptischen Bevölkerung aus allen sozialen Schichten erfassen und zu ihrer Beteiligung an der Revolution von 1919 führen konnten. Wer dies verstehen wolle, müsse sich mit Medien auseinandersetzen, die sich an bildungsferne Bevölkerungskreise wie auch an die im Entstehen begriffene Mittelschicht richteten. Dies wiederum bedeute aber, neben Druckmedien - die Analphabeten nicht völlig unzugänglich waren, da sie oft öffentlich gelesen und diskutiert wurden - auch Radio, Film, Theater, Volksdichtung und Gesang einzubeziehen. Es müsse jedoch vor allem eine Konzentration auf Medien zur Folge haben, die sich nicht des Hocharabischen (fusha), sondern der ägyptischen Umgangssprache (ʿammiyya) bedienten.

Diese Aspekte - die Einbeziehung von akustischen Medien bzw. der akustischen Rezeption von Medien sowie die Beschränkung auf Medien, die die ägyptische Umgangssprache verwenden - stellen den Kern von Fahmys Ansatz und Anspruch dar. Dabei setzt er sich differenziert mit der Abgrenzung, wechselseitigen Beeinflussung und dem hybriden Gebrauch von Hoch- und Umgangssprache auseinander. Vor allem aber beleuchtet er immer wieder den identitätsstiftenden Charakter, den die Etablierung des Kairiner Dialekts als Standard für das Ägyptisch-Arabische hatte und der entscheidend dazu beitrug, ein Gemeinschaftsgefühl unter einer großen Zahl von Ägyptern zu schaffen. Dies sei einhergegangen mit dem Verschwinden oder der Marginalisierung anderer Dialekte, insbesondere der oberägyptischen Dialektfamilie, die zunehmend als bäuerisch, provinziell und rückständig galt.

Im Hinblick auf Nationalismustheorien verfolgt Fahmy einen kulturalistischen Ansatz, wobei er sich insbesondere auf Gellner und Anderson stützt. Er argumentiert allerdings, dass deren Modell der Herausbildung einer Nation als imaginärer Gemeinschaft sich in einigen Punkten zu stark auf die Analyse der Entwicklung europäischer Nationalismen stütze und auf den ägyptischen Fall nicht vollständig übertragbar sei. So lasse sich in Ägypten keine Parallele zu der in der europäischen Geschichte zu beobachtenden Verdrängung der "heiligen Sprache" Latein durch die regionalen Umgangssprachen feststellen; vielmehr habe das Hocharabische durchgehend nicht nur seine religiöse Bedeutung, sondern auch seine Funktion als offizielle und Schriftsprache beibehalten und sogar - im Zuge des Verschwindens von umgangssprachlichen Druckmedien im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts - verfestigt; dies habe jedoch der Herausbildung einer starken nationalistischen Bewegung nicht im Wege gestanden.

Fahmy schlägt weiterhin vor, das von Anderson vorgelegte Konzept des "print capitalism" zu modifizieren. Das ihm zugrunde liegende Bild des Zeitungslesers, der durch zurückgezogene Lektüre eine Vorstellung der Zugehörigkeit zu einer imaginären nationalen Gemeinschaft entwickle, treffe auf die große Mehrheit der ägyptischen Bevölkerung in der von ihm untersuchten Periode nicht zu. Angebrachter sei es, von "media capitalism" zu sprechen, denn eine blühende Medienindustrie habe im Ägypten der Wende zum 20. Jahrhundert eine Vielzahl von auditiven und visuellen Medien erzeugt, deren Einfluss stark zur Entstehung einer nationalistischen Bewegung beigetragen habe. Gerade dem gemeinschaftlichen auditiven und audiovisuellen Medienkonsum sei große Bedeutung zugekommen.

Auf die Einleitung folgt ein Kapitel, das die Voraussetzungen für die Entstehung sowohl des Medienkapitalismus als auch der Nationalbewegung schildert: Politische Zentralisierung, öffentliche Bildung und die Schaffung einer neuen Klasse von Bürokraten; Eisenbahn, Postwesen und Telegraphensystem; Urbanisierung mit der Folge, dass die kulturelle Dominanz der nordägyptischen Städte Kairo und Alexandria wuchs; und schließlich das explosionsartig wachsende Verlagswesen und die zunehmende Verbreitung von auditiven Medien.

In den vier Hauptkapiteln geht Fahmy chronologisch gegliedert auf die Entwicklung, Verbreitung und Inhalte umgangssprachlicher Medien, von Satirezeitschriften über Theaterproduktionen bis zu populären Schallplatten, ein und analysiert sie im Kontext der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ihrer Zeit. Spezielles Augenmerk widmet er der Rezeption einschneidender Ereignisse in der Geschichte des Landes wie der britischen Besatzung nach dem Urabi-Aufstand und dem Dinshaway-Vorfall, der landesweiten Unmut über die britische Besatzung auslöste. Das letzte dieser vier Kapitel behandelt die Revolution von 1919; es befasst sich mit den Mechanismen, Medien und Orten der Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten. Abschließend stellt es die Verarbeitung der Revolution in Liedern, Dichtung und Theaterstücken dar, durch die sich die Idee einer nationalen Schicksalsgemeinschaft verfestigte.

Das Buch ist klar gegliedert, konzis, gut lesbar und glänzt durch die Abwesenheit von prätentiösem Jargon. Die Einleitung und das Fazit sind kompakt und präzise; der Forschungsstand und der theoretische Rahmen sind knapp und verständlich dargelegt. Fahmy ist eine nicht nur interessante, sondern auch spannende, jederzeit nachvollziehbare, ja geradezu unterhaltsame Schilderung seines Gegenstandes gelungen.

Insgesamt ist es Ziad Fahmy mit diesem höchst lesenswerten Buch gelungen, neue Wege zu beschreiten und damit auch für die historische Forschung zu anderen Ländern der islamischen Welt wichtige Impulse zu liefern. Daneben trägt sein Ansatz entscheidend zur Theoriebildung in der Nationalismusforschung bei; gerade dieser Beitrag dürfte von überregionalem Interesse sein.

Johanna Pink