Rezension über:

Laurent Bricault / Miguel John Versluys (eds.): Isis on the Nile: Egyptian gods in Hellenistic and Roman Egypt. Proceedings of the IVth International Conference of Isis Studies, Liège, November 27-29, 2008, (= Religions in the Graeco-Roman World; Vol. 171), Leiden / Boston: Brill 2010, XXVIII + 366 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-90-04-18882-2, EUR 119,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Stefan Pfeiffer
Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität, Chemnitz
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Pfeiffer: Rezension von: Laurent Bricault / Miguel John Versluys (eds.): Isis on the Nile: Egyptian gods in Hellenistic and Roman Egypt. Proceedings of the IVth International Conference of Isis Studies, Liège, November 27-29, 2008,, Leiden / Boston: Brill 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 10 [15.10.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/10/19556.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Laurent Bricault / Miguel John Versluys (eds.): Isis on the Nile: Egyptian gods in Hellenistic and Roman Egypt

Textgröße: A A A

Im November 2008 fand im belgischen Lüttich anlässlich der Emeritierung von Michel Malaise eine Konferenz über die Göttin Isis in griechisch-römischer Zeit statt. Da es bereits relativ viel Literatur zu den Isiskulten außerhalb Ägyptens gibt, war es das Ziel dieser Konferenz, in den Blick zu nehmen, wie sich die Theologie, Ikonographie und das Verständnis der gens Isiaca im griechisch-römischen Ägypten, also dem Stammland der Gottheit, entwickelt hat. Die moderne Bezeichnung gens Isiaca scheint dabei all die Gottheiten zu umfassen, die außerhalb Ägyptens mit ägyptischen Kulten verbunden wurden.

Das Ergebnis der Konferenz liegt nun in den dreizehn Beiträgen des Sammelbandes vor, der in zwei Hauptteile gegliedert ist. Der erste soll einleitenden Charakter haben und die Rolle ägyptischer Religion und Tradition im griechisch-römischen Ägypten beleuchten, der zweite beinhaltet acht case-studies zu den Isiskulten dieser Zeit. Dieser Gliederung vorgeschaltet haben die Herausgeber einen Beitrag von Malaise über "La gens isiaque de retour au pays" mit einigen einleitenden Bemerkungen und einen Beitrag des Mitherausgebers Versluys zum Thema "Understanding Egypt in Egypt and Beyond". Hier versucht er unter anderem auf Grundlage der Einzelbeiträge programmatisch das Thema Isis in Ägypten auszuleuchten. Ausgehend von der Feststellung, dass es im späten Ägypten zu einer kulturellen Renaissance kam, konstatiert er, dass dies auch eine Re-Interpretation von Traditionen mit sich brachte, die durchaus auf Missverständnissen basieren konnten. Nicht nur die Phönizier haben z.B. die altägyptische Kultur nicht vollständig verstanden, sondern auch die Ägypter der Spätzeit selbst. Man müsse deshalb zwischen "ägyptisch" als kulturellem und als ethnischem Konzept unterscheiden.

Drei Punkte möchte Versluys als Ergebnis des Sammelbandes festhalten: Erstens sei es wichtig, dass die lokalen Verhältnisse verstärkt in den Blick genommen werden müssen. Diesem Ergebnis ist voll und ganz zuzustimmen. Zweitens meint Versluys feststellen zu können, dass man sehr genau zwischen der hellenistischen und römischen Zeit Ägyptens unterscheiden muss. Das ist natürlich eine alte Diskussion in der Forschung. Gerade auf der Ebene der kunsthistorisch-archäologischen Betrachtung ist die Differenz dem Rezensenten aber nicht hinreichend klar geworden, auch wenn Parlascas Beitrag zumindest auf erhebliche Änderungen in der Sepulkralkultur hinweist. Das waren aber Prozesse langer Dauer. Es entsteht deshalb vielmehr eher der Eindruck, dass das kulturelle Milieu eine lange und langsame Transformation in den besprochenen 600-700 Jahren durchlaufen hat, als dass es neben dem politischen Umbruch der Zeit des Augustus einen wirklichen kulturellen Umbruch erlebt hätte. Drittens ist Versluys der durchaus korrekten Ansicht, dass man die Entwicklungen Ägyptens als Teil der Entwicklungen im Mittelmeerraum verstehen muss. Allerdings geht das aus den Beiträgen nicht direkt hervor.

Betrachten wir nun kurz die einzelnen Aufsätze. Ganz richtig scheint dem Rezensenten die Bemerkung im ersten thematischen Beitrag von F. Dunand (Culte d'Isis ou religion isiaque?), dass es eigentlich nicht zulässig ist, von einer "religion isiaque" oder von einer gens Isiaca zu sprechen, weil Isis in Ägypten keine andere Bedeutung hatte, als die anderen Götter. Isis konnte problemlos auch Elemente aus anderen Kulturen übernehmen, etwa die Attribute der Demeter oder der Aphrodite. F.G. Naerebout beschäftigt sich mit dem Bronzefund von Galjub (How Do You Want Your Goddess? From the Galjub Hoard to a General Vision on Religious Choice in Hellenistic and Roman Egypt). Es handelt sich hierbei um eine Sammlung von griechischen und ägyptischen Modellen eines hellenistischen Goldschmieds. Der Fund zeigt, dass ein Schmied jeden Käuferwunsch befriedigen konnte, er also einen "one stop shop" betrieb.

Methodisch problematisch ist der Beitrag von K. Savvopoulos (Alexandria in Aegypto. The Use and Meaning of Egyptian Elements in Hellenistic and Roman Alexandria), der hier auf wenigen Seiten die Ergebnisse seiner Dissertation zusammenfasst. Er möchte nachweisen, dass die griechische Polis durchaus auch ein ägyptisches Gesicht hatte. Dieses zu erkennen, sei insbesondere durch die Funde und Ergebnisse der Unterwassergrabungen und -erkundungen im Hafen der Stadt möglich geworden. In dem Beitrag muss dann aber vieles reine Mutmaßung bleiben, sind doch Datierungen unsicher oder "ägyptische" Elemente nur auf den zweiten Blick als solche zu interpretieren. Schade ist zudem, dass er das Material der neuen Unterwasserausgrabungen nicht wirklich besprochen und ausgewertet hat. So ist auch das herausgearbeitete "long-term development" zumindest für den Rezensenten nicht völlig überzeugend: Dieses besage, dass in der frühen Ptolemäerzeit ägyptische Elemente der architektonischen Dekoration der Legitimation und Stabilisierung der Herrschaft dienten, in der späten Ptolemäerzeit eine "revised Ptolemaic ideology" ausgedrückt werden sollte und in der römischen Zeit sich die ägyptische Tradition vor allem auf die Sepulkralkultur bezog. Außerdem hätten die Römer versucht, die ehemalige Reichshauptstadt der Ptolemäer in ein Museum "of indigenous Pharaonic history" zu verwandeln und die Stadt auf diese Weise zu marginalisieren.

Marjorie S. Venit (Referencing Isis in Tombs of Graeco-Roman Egypt: Tradition and Innovation) beschäftigt sich mit Isisdarstellungen in griechisch-römischen Grabanlagen. Sie möchte zeigen, dass das sogenannte "von Bissing-Grab" in Achmim / Oberägypten und das Grab von Tigrane bei Alexandria von Initianten der Isismysterien stammen. Ein wesentliches Kennzeichen hierfür sei das Mitführen einer Situla, die in römischer Zeit "firmly associated with Isis" gewesen sei (107). Das kann durchaus möglich sein, muss es aber nicht, denn Isis war untrennbar mit dem ägyptischen Totenkult verbunden und allein die Situla in der Hand des Verstorbenen als Hinweis darauf zu werten, dass er Initiant von Mysterien war, ist zumindest schwierig. Zu fragen ist zudem, warum ein sonst immer von Frauen geführtes Attribut der Isis in diesem Fall von Männern gehalten wird. Männer, die ein zumindest nach einer Situla aussehendes Gefäß mit sich führen, gibt es auf jeden Fall bereits seit dem Neuen Reich (vgl. Lacau, CG 34,178) und ebenso bei den Choachyten, die mit einer Situla sogar Libationen vollzogen (vgl. M. Bommas: Situlae and the Offering of Water in the Divine Funerary Cult. A New Approach to the Ritual of Djeme, in: A. Amenta / M. Luiselli / M.N. Sordi (Hg.): L'acqua nell'antico Egitto. Proceedings of the First International Conference for Young Egyptologists, 15th-18th of October 2003 in Chianciano Terme, Rom 2005, Abb. 1, 263). Eine Libation von Isis mit einer Situla über einer Opfertafel ist im Übrigen in einer Grabdarstellung auf Abb. 2 zum Beitrag von Olaf Kaper zu sehen. Es besteht also schon allein aufgrund des Choachyten-Kontextes die Möglichkeit, dass die Situla, ebenso wie Isis, ein Element des ägyptischen Totenkultes ist und nicht zwingend eine Verbindung zu Mysterien der Göttin zu suchen sein muss.

Laurent Coulon (Les formes d'Isis à Karnak à travers la prosopographie sacerdotale de l'époque ptolémaïque) untersucht anhand der thebanischen Priester die Entwicklung der Göttin bzw. ihres Kultes in Theben. Isis konnte hier, teilweise in ein und demselben Tempel, unter ganz verschiedenen Formen, sowohl typisch ägyptischen als auch hellenistischen, verehrt werden. O. Kaper (Isis in Roman Dakhleh: Goddess of the Village, The Province, and the Country) zeigt in seinem wichtigen Beitrag, dass zahlreiche Formen der Isis in Dachla verehrt wurden und Isis die wichtigste Gottheit der Oase war. Es finden sich zahlreiche Epiklesen, die auch im Rest Ägyptens vorkommen, doch gibt es durchaus auch rein lokale Emanationen der Göttin; wichtig war z.B. ihre Anbindung an Sothis, so dass sie mit Chnum-Re das stete Kommen des Wassers garantieren konnte (was in einer Oase ja nicht ganz unbedeutend ist). Einerseits zeigt Kaper, wie wichtig diese Göttin für die Oase war, und andererseits weist er darauf hin, dass in Ägypten die Kulte immer einen jeweils spezifischen lokalen Charakter hatten, und, was noch wichtiger ist, dass man Isis in der spezifischen lokalen Kulttopographie zu verorten hat. A. Geissen (Mythologie grecque ou mystère d'Isis-Démeter) untersucht die Rückseiten alexandrinischer Prägungen aus der Zeit des Antoninus Pius, die verschiedene mythologische Themen zeigen, und stellt diese in Relation zu Ereignissen in der Kaiserfamilie. Auch unterstellt er ihnen jeweils eine interpretatio Aegyptiaca, die aber nicht zwingend ist. Der Beitrag von Pascale Ballet und Geneviève Galliano (Les isiaques et la petite plastique dans l'Égypte hellénistique et romaine) ist von größerer Bedeutung. Sie nehmen in einem ersten Teil die Götterfiguren der gens Isiaca (hier definiert als: Sarapis, Isis, Harpokrates, Bes, Osiris-Kanopos und Apis) aus Ton in den Blick - eine Materialgruppe, die höchst interessant ist für die Analyse des religiösen Verhaltens der breiten Bevölkerung. Am Beispiel des Harpokrates zeigen sie, wie wichtig Untersuchungen zur jeweils lokalen Religiosität sind, denn das zahlreiche Vorkommen der Terrakottafiguren des Gottes in den Museen lässt nicht erkennen, dass er an manchen Orten in Ägypten überhaupt nicht in Erscheinung trat (Buto, Tell el-Herr = Nordägypten), an anderen wiederum die häufigste Verbreitung hatte (Athribis, Faijum, Edfu). Den lokalen Ansatz machen die beiden Autorinnen dann in einem zweiten Teil für Harpokrates von Koptos stark, wo er Teil der Götterdreiheit ist. Sein Vorkommen zeige dass alte Religion hier bis zum Ende der paganen Zeit weiterlebte.

Klaus Parlasca (Anubis mit dem Schlüssel in der kaiserzeitlichen Grabkunst) weist ebenfalls auf die "bemerkenswerten regionalen Unterschiede" hin. Zudem macht er auf die bisher zu wenig im Zusammenhang untersuchten erheblichen Neuerungen in der Sepulkralkultur in römischer Zeit aufmerksam. Er beschäftigt sich dann mit der Darstellung des Anubis, der den Schlüssel hält, in der kaiserzeitlichen Grabkunst und zeigt einleuchtend, wie ein griechisches Symbol, das den Zugang zur Unterwelt ermöglicht, von Anubis aufgenommen und ägyptisch ausgedeutet wurde. Youri Volokhine (Quelques aspects de Bès dans les temples égyptiens de l'époque Gréco-Romaine) untersucht die Darstellungen des Bes und fragt, wie diese in griechisch-römischer Zeit verstanden werden konnten. Er meint, dass Bes im Kontext der Begleiter des Dionysos als ein Satyr oder Silen betrachtet werden konnte, dass er für Römer gar ein ägyptischer Silen war. Pierre P. Koemoth (Couronner Souchos pour fêter le retour de la crue) behandelt zu guter Letzt den anlässlich der beginnenden Nilüberschwemmung gekrönten Krokodilgott Suchos / Sobek. Zugleich wirft er einen Blick auf die Aegypto capta-Prägungen der Kolonie von Nemausus / Nîmes.

Es handelt sich insgesamt um einen interessanten Sammelband, der das Thema Isis in Ägypten aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Gleichzeitig sollte er als Aufforderung verstanden werden, sich intensiver mit regionalen Aspekten und Entwicklungen der Kulte in Ägypten zu beschäftigen.

Stefan Pfeiffer