Rezension über:

Christa Ebert: Literatur in Osteuropa. Russland und Polen, Berlin: Akademie Verlag 2010, 254 S., ISBN 978-3-05-004537-5, EUR 19,95
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Rezension von:
Anja Golebiowski
Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Anja Golebiowski: Rezension von: Christa Ebert: Literatur in Osteuropa. Russland und Polen, Berlin: Akademie Verlag 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11 [15.11.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/11/20771.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Christa Ebert: Literatur in Osteuropa

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Obwohl das Studium der Slavistik in Deutschland auf eine lange Tradition zurückblicken kann, fehlt bislang eine Auswahl an studienbegleitenden Lehrwerken, sieht man einmal von allgemeinen Überblicken über die Disziplin sowie von Einführungen im Bereich der Sprachwissenschaft ab. Daher ist es erfreulich, dass in der bewährten Studienbuchreihe des Akademie Verlags jüngst ein didaktisch ansprechendes Lehrwerk zur polnischen und russischen Literatur von Christa Ebert erschienen ist, von dem Studierende der Osteuropawissenschaften ebenso wie eine breite, an der Region interessierte Leserschaft profitieren können. Unter Berücksichtigung des neuesten Forschungsstands und der aktuellen Wissenschaftsdiskurse (Kulturtransfer, Raum- und Genderdiskurs sowie Orientalismus- und Postkolonialismusdebatte) veranschaulicht die Autorin kompakt und allgemein verständlich die bis heute in Polen und Russland bestehende enge Verknüpfung von Literatur und soziokulturellen Prozessen.

Der vorliegende Band ist gemäß dem Reihenkonzept bündig und übersichtlich strukturiert. In Anlehnung an die Semesterwochenzahl werden in 14 Kapiteln die zentralen Eckpunkte und Entwicklungslinien der polnischen und russischen Literaturgeschichte im Kontext der gesellschaftspolitischen Prozesse vorgestellt. Die jeweiligen Kapitel bilden selbstständige Einheiten, die allerdings auch Querverbindungen aufweisen und aufeinander Bezug nehmen, so dass sich ein roter Faden durch die gesamte Publikation zieht. Analog zu den übrigen Studienführern ist jedem Kapitel eine repräsentative Abbildung vorangestellt, auf die eine kurze Erläuterung sowie ein Abschnitt zur Kontextualisierung und Herleitung der kapitelinternen Fragestellung folgen. Der Text wird von Stich- und Schlagwörtern an der Marginalspalte begleitet und durch einen vertiefenden Fragenkatalog sowie mit Empfehlungen für die weiterführende Lektüre und kommentierten Hinweisen auf die Forschungsliteratur abgerundet. Irritierend wirken jedoch die im Text platzierten Hinweise auf weitere Studienführer aus der Reihe, was vermutlich auf eine Vorgabe seitens des Verlags zurückzuführen ist.

Um den Leser an die disziplinären Besonderheiten und Fragestellungen heranzuführen, beginnt Ebert ihre Darstellung mit drei problemorientierten Kapiteln. In einem einleitenden "mental mapping" thematisiert sie den Osteuropa-Begriff und die diversen Möglichkeiten der regionalen Binnendifferenzierung sowie die Geschichte der deutschen Slavistik. Aus den sich hieraus ergebenden Anforderungen und den vielfältigen transnationalen Austauschprozessen, die dem östlichen Europa seine spezifische Gestalt gegeben haben, leitet die Autorin ihr an der Transferforschung orientiertes Konzept ab, das sie zudem als wegweisend für die künftige methodische Ausrichtung der Osteuropawissenschaften erachtet. Entsprechend dem Transfergedanken versucht Ebert die polnische und russische Literatur daher im nationalen, osteuropäischen und gesamteuropäischen Zusammenhang zu betrachten. Im zweiten Kapitel werden jeweils die sprachlichen und religiösen Grundlagen der literarischen Entwicklung herausgearbeitet, die am Beispiel der Epochenbildung und der westlichen Rezeptionsproblematik in einen gesamteuropäischen Kontext eingebettet wird. Anschließend geht Ebert auf den gesellschaftspolitischen Status und die ausgeprägte Identität stiftende Funktion der polnischen und russischen Literatur ein. Anhand der Interpretation von ausgewählten Schlüsseltexten und der Porträtierung zentraler Autorenpersönlichkeiten folgt eine konzise Darstellung der polnischen und russischen Literaturgeschichte, die mit dem "Modernisierungsschub" (58) der Aufklärung einsetzt und beim Paradigmenwechsel der Postmoderne endet. Neben den literarischen Entwicklungen verliert die Autorin zudem nie den Blick für die soziokulturellen und identitären Prozesse.

An den darstellenden Teil schließen ein Serviceteil mit einer äußerst hilfreichen Bibliografie studienrelevanter Hilfsmittel sowie ein Anhang an, der ein Literatur- und Personenverzeichnis und ein ausführliches und überaus nützliches Glossar einschlägiger Begrifflichkeiten enthält.

Der Autorin ist ein empfehlenswertes Lehrwerk gelungen, das die wichtigsten Grundlinien der polnischen und russischen Literatur- und Kulturwissenschaft nachzeichnet und den Studienanforderungen Rechnung trägt. Der regionale Fokus auf Polen und Russland ist aus pragmatischen Gründen durchaus nachvollziehbar, werden doch hier die studienstärksten slavistischen Fächer behandelt. Der Versuch, weitere osteuropäische Literaturen einzubeziehen, hätte eindeutig den Rahmen gesprengt. Daher hätte der Verlag den Untertitel auch ruhig auf dem Einband und nicht erst auf den Innenseiten des Buches abdrucken können. Bedauerlich ist zudem der Verzicht auf die wissenschaftliche Transliteration bei der Übertragung der russischen Namen. Vermutlich sollte die Entscheidung für die Transkription auch einem fachfremden Leser den Zugang erleichtern, was jedoch den an ein Studienbuch gestellten Erwartungen zuwiderläuft. Davon abgesehen überzeugt das Studienbuch insbesondere durch Eberts methodologischen Ansatz und die von ihr getroffene Auswahl an thematischen Schwerpunkten, gerade wenn man den Umfang des behandelten Gegenstands bedenkt.

Anja Golebiowski