Rezension über:

Eric Poehler / Miko Flohr / Kevin Cole (eds.): Pompeii. Art, Industry, and Infrastructure, Oxford: Oxbow Books 2011, XVII + 181 S., zahlreiche s/w-Abb., ISBN 978-1-8421-7984-0, GBP 35,00
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Rezension von:
Anna Kieburg
Archäologisches Institut, Universität Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Anna Kieburg: Rezension von: Eric Poehler / Miko Flohr / Kevin Cole (eds.): Pompeii. Art, Industry, and Infrastructure, Oxford: Oxbow Books 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 2 [15.02.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/02/20510.html


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Eric Poehler / Miko Flohr / Kevin Cole (eds.): Pompeii

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Der erneute Einsturz von Mauern und Schließungen von antiken Häusern in Pompeji im Jahre 2011 haben einmal mehr gezeigt, wie wichtig nach wie vor die Erforschung und vor allem die Dokumentation der antiken Stadt sind, auch wenn die Vielzahl der Veröffentlichungen selbst für einen Archäologen manchmal erdrückend scheint.

Der hier vorgestellte Band wurde von drei jungen Wissenschaftlern herausgegeben, die sich mit ihren Arbeiten und Projekten um die Erforschung von Pompeji verdient gemacht haben. [1] Mit dieser Veröffentlichung möchten sie einen Beitrag dazu leisten, dass die Methoden und Ansätze zur Erforschung antiker Städte stetig überdacht und hinterfragt werden. Das Ziel des Buches ist es, der neuen Generation von Wissenschaftlern in Pompeji ein Forum zu verschaffen, deren aktuelle Untersuchungen vor dem Hintergrund der Erkenntnisse bekannter Pompeji-Forscher wie Andrew Wallace-Hadrill erfolgen [2] und auf den grundlegenden Arbeiten verschiedener Wissenschaftler aus den 1990er Jahren aufbauen. So halten die Herausgeber fest: "We are now sitting at a unique and exciting cross-road in the academic history of Pompeii."

Die zehn Artikel in diesem Band wurden unter drei Überschriften zusammengefasst: 'Art', 'Industry' und 'Infrastructure'. Obwohl 'Art' bekanntermaßen ein durchaus etabliertes Thema in Untersuchungen über Pompeji ist, zeigen die vier Artikel, dass es immer noch bemerkenswert viel Raum für neue Ideen auf dem Gebiet der Erforschung der Kunst und Architektur gibt. In innovativen und anregenden Beiträgen verdeutlichen sie, wie viele Aspekte der pompejanischen Kunst bisher unerforscht geblieben sind. So kommt zum Beispiel in verschiedenen Häusern ein kurioses dekoratives Element vor: Gegenstände wurden in die verschiedensten Arten von Wandmalereien eingemauert und ergänzten den dekorativen Charakter der Wände (J. Powers). Die Statuenausstattung in der Casa di Octavius Quartio (Reg. II 2, 2) erfährt erstmalig eine Bearbeitung als eine zusammenhängende Sammlung, die im Kontext der gemalten und architektonischen Ausstattung des Gartens analysiert wird. Diese Betrachtung der Statuenaufstellung, die F. Tronchin als rus in urbe bezeichnet, entfacht erneut eine Diskussion um den "Geschmack der Elite". Auch die porticus als architektonisches Element wird erneut in die Diskussion um den Geschmack und die Bautradition der vornehmen Gesellschaft gestellt. (M. Zarmakoupi). Und auch bekannte Malereien wie der Armorini-Fries aus dem triclinium in der casa dei Vettii werden einer neuen eingehenden Bearbeitung unterzogen, indem sie als Teil einer breit angelegten, die Ikonographie in den Mittelpunkt stellenden Diskussion über die häusliche Ausstattung gesehen werden (F. de Angelis).

Diese Beiträge tragen dazu bei, vertieft in den sozialen Diskurs einzutauchen, der den pompejanischen Geschmack und die häusliche Dekoration geprägt hat und der im letzten Jahrzehnt der Schwerpunkt in den Forschungen zu den Wanddekorationen in Pompeji war.[3]

Unter der Überschrift 'Industry' zeigen drei Artikel neue Ansätze zur Erforschung der Themen "Arbeit und Wirtschaft im urbanen Raum" auf und weisen auf Fragestellungen hin, die bisher vernachlässigt wurden. Innovative Fragen wirft Michael Anderson in seinem Artikel zum Baugewerbe und zum Wiederaufbau von Häusern auf, ein Thema das besonders relevant in Bezug auf die seismischen Aktivitäten ist, die Pompeji im letzten Jahrzehnt vor dem Vesuvausbruch erschütterten. Anderson zeichnet ein lebhaftes und glaubwürdiges Bild von den Prioritäten der Einwohner von Pompeji, die für den Wiederaufbau ihrer Häuser nach den Erdbeben sorgen mussten. Auch die schon viel diskutierten Funktionen des Atriumhauses werden in neuem Licht dargestellt (Miko Flohr): Der Artikel zu den fullonicae in den Atriumhäusern zeigt einmal mehr die Multifunktionalität dieser Gebäude, die neben der Selbstdarstellung der Bewohner auch industriellen Aktivitäten einen Platz boten. So wird dem Leben im Atriumhaus im urbanen Kontext eine völlig neue Rolle zugestanden. Eine weitere industrielle Aktivität behandelt der gelungene Überblick über die Keramikproduktion in Pompeji (Myles McCullum). Mit aktuellen Analysen von Keramikfunden, Produktionsstätten und der Organisation von Töpfereien wird der Stellenwert pompejanischer Keramik in der Umgebung und am Golf von Neapel in ein neues Licht gesetzt. All diese Beiträge verdeutlichen, wie wichtig die wissenschaftliche Auseinandersetzung - auch mit den nicht glamourösen Seiten des pompejanischen Alltags - zum tieferen Verständnis der urbanen Strukturen Pompejis kurz vor dem Vesuvausbruch ist. In den letzten Jahren bescherten die Themen Handel und Handwerk in den Vesuvstädten der Forschung erstaunliche Einblicke in den Lebensraum der einfachen Einwohner.[4]

Die letzten drei Artikel befassen sich mit Aspekten archäologischer Befunde, die der öffentlichen Infrastruktur der antiken Stadt zuzuordnen sind. Angefangen bei den Straßen macht Alan Kaisers Beitrag deutlich, wie vielschichtig dieser Raum in einer Stadt sein kann. Seine Erörterungen der verschiedenen lateinischen Begriffe zu Straßen zeigen gekonnt den Gegensatz zwischen zwei Arten von Straßen, der auf ihrer physischen Erscheinung und den auf ihr stattfindenden Aktivitäten basiert. Einem spannenden und sehr aktuellen Aspekt von Stadtplanung gehen Keenan-Jones, Hellstrom und Drysdale in ihrem Beitrag nach: der Bleihaltigkeit der städtischen Trinkwasserversorgung. Ihre Untersuchungen der Sinterreste in den Rohren zeigen, dass der Bleigehalt nicht auf die Quelle oder den Aquädukt zurückzuführen ist, sondern auf die Verarbeitung und Verlegung der Anlagen innerhalb der Stadt.

Wie wichtig die Infrastruktur für das öffentliche Leben einer Stadt ist, macht Eric Poehler in seinem Beitrag am Beispiel des pompejanischen Forums deutlich. Bisher wurden an diesem zentralen Platz hauptsächlich die Monumentalbauten erforscht, die aber ohne die Infrastruktur nicht funktionsfähig gewesen wären. Die Beiträge der dritten Gruppe zeigen, dass ein Überdenken der bisher angewandten Methoden und eine sorgfältigere Analyse des Materials neue Einsichten in die Infrastruktur und Planung der antiken Stadt ermöglichen. Untersuchungen in diesem Gebiet verdeutlichen den enormen administrativen Aufwand und die Möglichkeiten, die einer antiken Stadt zur Verfügung standen, um ihren Bewohnern jegliche Art von Komfort nach antikem Standard bieten zu können.[5]

Dem interessierten Leser wird auffallen, dass sich viele Aspekte zu sozialen Lebensräumen, die in den einzelnen Artikel angesprochen werden, überschneiden, was auf die gemeinsame Arbeiten, Diskussionen und Projekte der Autoren zurückzuführen ist. Ein gemeinsamer Nenner, der in verschiedenen Frageansätzen den Band durchzieht, ist die Debatte um die Anzahl und Stärke der seismischen Aktivitäten, die die Stadt in den Jahrzehnten vor dem Vesuvausbruch erschütterten. Immer wieder wird versucht zu beantworten, welchen Einfluss sie auf die sozialen Strukturen in der Stadt hatten und welche Spuren sie im archäologischen Befund hinterlassen haben. Die Autoren behandeln diese Fragen als einen gesonderten methodologischen Ansatz oder als eine veränderte Perspektive, um urbanes Leben in Pompeji zu rekonstruieren.

Dieser Sammelband bestätigt einen wissenschaftlichen Trend, der optimistisch in die Zukunft für die Erforschung der antiken Stadt blicken lässt, da die Archäologen für ihre Untersuchungen auf all die Publikationen, Datenbanken und Diskussionen zurückgreifen können, die die pompejanische Forschung der letzten Jahrzehnte in ihrer Internationalität ausgezeichnet hat. Sie ermöglichen noch intensivere Auseinandersetzungen mit detaillierten Fragestellungen und sind eine Bereicherung für jeden Pompeji-Forscher.


Anmerkungen:

[1] Eric Poehler: The Pompeii Quadriporticus Project (PQP) (http://www.umass.edu/classics/PQP.htm) und Herausgeber von http://www.pompeiana.org/; Miko Flohr: The Oxford Roman Economy Project (http://oxrep.classics.ox.ac.uk/new/index.php?t=5&tt=9); Kevin Cole: Pompeii Forum Project (http://pompeii.virginia.edu/).

[2] A. Wallace-Hadrill: Houses and society in Pompeii and Herculaneum, Princeton 1994, 64: "Pompeii is at once the most studied and the least understood of sites. Universally familiar, its excavation and scholarship prove a nightmare of ommisions and disasters. Each generation discovers with horror the extent to which information has been ignored, neglegted, destroyed and left unreported and unpublished."

[3] Dazu zum Beispiel auch: J.R. Clarke: Looking at laughter: humor, power, and transgression in Roman visual culture, 100 B.C. - A.D. 250, Berkeley 2007 und K. Lorenz: Bilder machen Räume: Mythenbilder in pompeianischen Häusern, Berlin 2008; A. Anguissola: Intimità a Pompei: riservatezza, condivisione e prestigio negli ambienti ad alcova di Pompei, Berlin 2010.

[4] Dazu kürzlich erschienen: N. Monteix: Les savoirs professionnels des gens de métier: études sur le monde du travail dans les sociétés urbaines de l'empire romain, Neapel 2011; N. Monteix:  Les lieux de métier: boutiques et ateliers d'Herculanum, Rom 2011.

[5] Jetzt R. Laurence / D. Newsome (eds.): Rome, Ostia, Pompeii: movement and space, Oxford 2011.

Anna Kieburg