Rezension über:

Margit Mersch / Ulrike Ritzerfeld (Hgg.): Lateinisch-griechisch-arabische Begegnungen. Kulturelle Diversität im Mittelmeerraum des Spätmittelalters (= Europa im Mittelalter; Bd. 15), Berlin: Akademie Verlag 2009, 337 S., ISBN 978-3-05-004664-8, EUR 69,80
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Rezension von:
Andrea Lermer
Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Ute Verstegen
Empfohlene Zitierweise:
Andrea Lermer: Rezension von: Margit Mersch / Ulrike Ritzerfeld (Hgg.): Lateinisch-griechisch-arabische Begegnungen. Kulturelle Diversität im Mittelmeerraum des Spätmittelalters, Berlin: Akademie Verlag 2009, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 3 [15.03.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/03/17780.html


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Margit Mersch / Ulrike Ritzerfeld (Hgg.): Lateinisch-griechisch-arabische Begegnungen

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Lange war die Erforschung der Wechselbeziehungen mit fremden Kulturen und Religionen an den geografischen Rändern Europas eine Sache der lokalen Forschung oder akademischer Einzelgänger. Im Zuge der Postcolonial Studies und des Global Turn hat sich das selbstgewisse Bild der europäischen Kunstgeschichte in den letzten zwei Jahrzehnten verschoben. Zentren und Peripherien werden neu definiert. Der Mittelmeerraum mit seiner vielfältigen sprachlichen, religiösen und politischen Gestalt ist ins Zentrum des Interesses gerückt.

Gespannt nimmt man daher den vorliegenden Band zur Hand, der aus einem Workshop des DFG-Projekts "Die Kunstpraxis der Mendikanten als Abbild und Paradigma interkultureller Transferbeziehungen in Zentraleuropa und im Kontaktgebiet zu orthodoxem Christentum und Islam" (Ltg. Klaus Krüger, FU Berlin und Carola Jäggi, Universität Erlangen-Nürnberg) hervorgegangen ist.

Der Übertitel expliziert die kulturelle Diversität im Mittelmeerraum anhand von dessen Mehrsprachigkeit, die häufig, wenngleich keineswegs zwangsläufig, mit einer bestimmten religiösen Bindung einhergeht (9f.). Nun wären in diesem Zusammenhang auch das Hebräische und das Türkische zu nennen, doch abgesehen vom titelwirksameren Dreiklang enthält der Sammelband keine Beiträge, die diese kulturellen Räume oder Gruppen berühren. Vollständig emanzipiert von europäischen Kategorien ist die Titelwahl nicht: Die Epochenbezeichnung des Spätmittelalters ist kaum auf die Herrschaft der spätbyzantinischen Palaiologen und noch weniger auf die kontemporären Herrschaften der Osmanen und Mameluken anwendbar.

Wie wird dieser umfassende Titel eingelöst? Die Historikerin Margit Mersch skizziert in ihrem prägnanten Einführungstext Fragestellungen, die die Geschichtswissenschaften bezüglich komplexer, heterogener Gesellschaften und deren Identitätsbildung und interkultureller Kommunikation beschäftigen. Etwas Straffung hätte den anschließenden methodischen Überlegungen der Kunsthistorikerin Ulrike Ritzerfeld gut getan. In der Absicht, alle denkbaren Aussagen von Artefakten in multikulturellen Konstellationen zu benennen und mit Beispielen aus der Forschungsliteratur zu bestücken, franst ihr roter Faden unnötig aus.

Zur forschungsgeschichtlichen und methodischen Einleitung ist auch der erste Teil von Gerhard Wolfs Beitrag zu rechnen. In der kritischen Auseinandersetzung mit Hans Beltings Florenz/Bagdad-Buch [1] zeigt Wolf die Beschränkungen einer solchen bipolaren Darstellung auf. Im Gegenzug entwirft er das kollaborative Projekt einer "mediterranen Kunstgeschichte", das er am Beispiel Siziliens im 12. und frühen 13. Jahrhundert erläutert. Dort führte der normannische Hof die verschiedenen auf der Insel ansässigen Kulturen für seine repräsentativen und legitimatorischen Zwecke zusammen, ohne dass diese Architektur und Kunst mit den herkömmlichen Klassifizierungen als "westlich", "byzantinisch" oder "islamisch" zu fassen ist.

Mit diesem Abschnitt beginnen die neun Einzelstudien, die sich Kunstwerken, Architekturen und urbanen Strukturen widmen - mehrheitlich in Italien bzw. italienischer Provenienz; nur zwei weitere öffnen den Blick auf den gesamten Mittelmeerraum. Abgesehen davon kommt das Arabische lediglich als historisches Substrat in Unteritalien zur Sprache, nicht jedoch in Form zeitgenössischer Artefakte. Dies tut selbstverständlich dem Erkenntniswert der einzelnen Texte keinen Abbruch, doch scheint der Titel des Sammelbandes damit etwas weit gegriffen.

Maria Georgopoulou zeigt auf, wie sich im 13. Jahrhundert eine Art künstlerische Koiné für Luxusgüter - tauschierte Metallgefäße, Gläser mit Emailmalerei, in Glaspaste nachgeahmte Kameen, Keramik - im Mittelmeerraum ausbildete. Aufgrund der wirtschaftshistorischen und gesellschaftlichen Umstände ist anzunehmen, dass die Teilhabe an diesem Markt unabhängig von der jeweiligen Sprache, Ethnie und Religion war.

Robert Ousterhout beschäftigt sich mit dem Verhältnis von westlicher Heraldik und byzantinischen Bildzeichen. Zwar dürften Symbole wie Kreuz, Adler oder Fleur-de-lis an spätbyzantinischen Architekturen oder auf gemalten Gewändern vom Kontakt mit westlicher Heraldik angeregt sein, anders als dort wurden sie in Byzanz aber nicht kodifiziert, sondern erhielten erst in der Kombination mit eindeutigen Monogrammen einen spezifischen Bedeutungsgehalt. Ferner sei aus der Verwendung emblematischer Bilder bei den Seldschuken, Mameluken und Osmanen zu folgern, "daß die Entstehung einer [heraldischen bzw. pseudo-heraldischen] Bildsprache als Ausdruck von Macht und Status letztlich auf die Kreuzzüge und die speziellen Bedingungen im Mittelmeerraum des 12. Jahrhunderts zurückzuführen ist" (107).

Annette Hoffmann, 2009 mit einer Dissertation über die Bibel von Gerona promoviert, führt in ihrem Beitrag anhand ausgewählter Miniaturen vor, wie der Bologneser Maler dieser Handschrift souverän und kreativ mit antiken und spätbyzantinischen Vorbildern umging.

Ein Brief des venezianischen Dogen an den Papst betreffs Reliquien im Schatz von S. Marco, die aus Konstantinopel stammen, lässt Karin Krause fragen, ob in Venedig im späten 13. Jahrhundert diese "byzantinischen" Reliquien speziell propagiert wurden. Es folgt eine akribische Sichtung von Objekten, Inventaren und Chroniken; nur die "konkrete Lage Venedigs zur Zeit der Korrespondenz" wird erstaunlicherweise "aus Gründen des Umfangs" hier nicht weiter verfolgt (114). Dass die eingangs gestellte Frage am Ende des materialreichen Aufsatzes weitgehend verneint werden muss, erscheint wenig verwunderlich, war die venezianische Emanzipation von Konstantinopel doch bereits abgeschlossen und die Promotion des hl. Markus zum alles überstrahlenden "Landespatron" weit fortgeschritten. [2] Die aus Byzanz stammenden Reliquien dürften als Herrenreliquien und Reliquie Johannes d. T. hoch geschätzt worden sein, weniger wegen ihrer Provenienz.

Die folgenden drei Aufsätze wenden sich dem Süden Italiens zu. Vito Bianchi verfolgt kursorisch Spuren der "Begegnung, Konfrontation und wechselseitigen Beziehung" mit den Arabern im Städtebau, der Architektur und in den Artes minores. Neue Erkenntnisse bietet seine sprunghafte Darstellung leider nicht.

Dietrich Heißenbüttel stellt "Indizien kultureller Differenz in mittelalterlichen Bau-, Bild- und Schriftdenkmalen aus Bari und Matera" zusammen. Er wendet sich damit gegen die noch immer verbreitete Meinung, Süditalien sei hauptsächlich byzantinisch geprägt gewesen. Zwangsläufig werden auch in seiner Darstellung viele Aspekte nur gestreift; dennoch tritt die Vielschichtigkeit der unteritalienischen Verhältnisse deutlich hervor.

Die Verortung eines konkreten Monuments innerhalb des bireligiösen und bilingualen Kontexts des Salento unternehmen die Herausgeberinnen in ihrer Studie der Franziskanerkirche S. Caterina in Galatina (beg. vor 1385). Im Rahmen des oben genannten DFG-Projekts entstanden, geht dieser Beitrag im Umfang weit über die übrigen Aufsätze des Bandes hinaus. Er skizziert auf erhellende Weise das Verhältnis der orthodoxen und lateinischen Kirchengemeinden in Apulien sowie die Etablierung der Mendikanten. In weiteren Schritten befassen sich die Autorinnen mit der Architektur und dem Bildschmuck der orthodoxen, normannischen, angevinischen und franziskanischen Kirchenbauten der Region sowie mit der Rolle des Feudaladels. Vor dem derart sondierten Kontext ordnen sie den Kirchenbau in Galatina ein, der von dem Grafen Orsini del Balzo gestiftet und als Familiengrablege bestimmt wurde. Wenngleich einzelne Punkte wie die Datierung des Portalschmucks meiner Ansicht nach erneut zu diskutieren sind und die Analyse der umfangreichen Freskenzyklen im Rahmen dieses Aufsatzes nur partiell erfolgt, überzeugt die differenzierte Einordnung des Ensembles.

Anne Müller schließlich untersucht in einem instruktiven Beitrag franziskanische und dominikanische Text- und Bildquellen auf ihre Aussagen zur Heidenmission. Ausgehend von den normativen Texten und verschiedenen Organisationsformen der Orden beleuchtet sie "Formen der Interaktion im Missionsalltag" und verfolgt die Darstellung der Missionsaufgabe in der ordenseigenen Hagiografie und Bildkunst.

Wenngleich der Sammelband die im Titel annoncierten "Begegnungen mit dem Arabischen" nur zum kleinen Teil einlöst und weithin auf den westlichen, italienisch-byzantinischen Teil des Mediterraneums beschränkt bleibt, liest man die darin versammelten Aufsätze doch mehrheitlich mit Gewinn. Jeder bietet auf seine Weise Einblicke in interkulturelle Kontaktzonen und Aspekte des Umgangs mit dem Anderen. Der Band ist sorgfältig redigiert und erfreulicherweise mit Abbildungen im Text ausgestattet. Die an sich großzügige Wiederholung etlicher Abbildungen in Farbe in einem Tafelteil büßt ihren Mehrwert leider durch die zum Teil miserable Reproduktion ein.


Anmerkungen:

[1] Hans Belting: Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks, München 2008. Siehe dazu auch die Rezensionen von Frank Büttner, in: Kunstchronik 62 (2009), 82-89, und von Lorenz Korn, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 11 [15.11.2010], URL: http://www.sehepunkte.de/2010/11/17750.html.

[2] Agostino Pertusi: 'Quaedam regalia insignia'. Ricerche sulle insegne del potere ducale a Venezia durante il Medioveo, in: Studi Veneziani, n.s. 7, 1965, 3-123; Alfons Zettler: Die politischen Dimensionen des Markuskults im hochmittelalterlichen Venedig, in: Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter, hg. von Jürgen Petersohn (= Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, Vorträge und Forschungen; Bd. 42), Sigmaringen 1994, 541-571.

Andrea Lermer