Rezension über:

Bernd Stöver: United States of America. Geschichte und Kultur. Von der ersten Kolonie bis zur Gegenwart, München: C.H.Beck 2012, 763 S., 84 s/w-Abb., 19 Kt., ISBN 978-3-406-63967-8, EUR 29,95
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Rezension von:
Simon Wendt
Institut für England- und Amerikastudien, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Simon Wendt: Rezension von: Bernd Stöver: United States of America. Geschichte und Kultur. Von der ersten Kolonie bis zur Gegenwart, München: C.H.Beck 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 3 [15.03.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/03/21897.html


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Bernd Stöver: United States of America

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Angesichts der immer unüberschaubarer werdenden und fast ausnahmslos in englischer Sprache publizierten Forschung zur Geschichte und Kultur der USA, weckt Bernd Stövers neue Gesamtdarstellung die Hoffnung auf eine Synthese dieser Literatur für ein breites deutsches Publikum.

Das fast 800-seitige Buch ist in zwölf Kapitel gegliedert. Stöver skizziert zuerst Amerikas gegenwärtige Bevölkerungsentwicklung, Sozialstruktur, Geographie sowie die verschiedenen Religionsgemeinschaften des Landes. Methodisch verortet er sein Werk in der Struktur- und Mentalitätsgeschichte, erklärt aber bedauerlicherweise nicht, warum diese Kombination den besten Ansatz für eine Gesamtdarstellung der USA darstellt. In Bezug auf seine übergreifende Interpretation der amerikanischen Geschichte betont er vor allem die Widersprüche (z.B. Freiheitsrhetorik und Sklaverei). Diese seien jedoch mit einer tief verwurzelten "Lagermentalität" zu erklären, die sich in ständiger Angst vor inneren und äußeren Bedrohungen äußere. Seine zentrale Fragestellung ist "was eigentlich amerikanische Identität ausmacht und die Bürger der Vereinigten Staaten verbindet." (29)

Stöver geht dieser Frage in den folgenden elf Kapiteln nach, bleibt allerdings eine abschließende Antwort schuldig. Zunächst widmet er sich der Kolonialzeit, der Amerikanischen Revolution, der Besiedelung des Kontinents, dem amerikanischen Bürgerkrieg und seinen Konsequenzen sowie der Industrialisierung um 1900. Die darauffolgenden Kapitel konzentrieren sich in erster Linie auf die amerikanische Außenpolitik, wobei der amerikanische Imperialismus genauso thematisiert wird wie die beiden Weltkriege, der Verlauf des Kalten Krieges und der antiamerikanische Terrorismus im 20. und 21. Jahrhundert. Zwei Ausnahmen bilden die Kapitel "Melting Pot: Kulturen der Neuen Welt" und "Superculture". Ersteres widmet sich so verschiedenen Themen wie der Literatur, Musik, Kunst, Mechanisierung sowie "Kulturen der Ungleichheit" vor dem 2. Weltkrieg. Letzteres untersucht einige dieser Themen nach 1945, geht aber auch auf Sexualität, Film und die sozialen Bewegungen der 1960er Jahre ein. Im Anhang findet sich schließlich eine chronologische Auflistung der amerikanischen Präsidenten und der Indianerkriege sowie ausgewählter außenpolitischer Interventionen der USA. Komplettiert wird der Band durch eine Liste der US-Bundesstaaten, zwei Karten und ein Namensregister.

Bernd Stöver ist als Kenner des Kalten Krieges bekannt und hat zu diesem Thema eine Reihe vielbeachteter Publikationen vorgelegt. Es ist deshalb nicht überraschend, dass die Kapitel zur amerikanischen Außenpolitik eine große Stärke dieses Buches sind. In diesen erzählt Stöver flüssig und detailliert den Wandel der Außenpolitik der USA vom 18. bis zum 21. Jahrhundert, wobei er dem Kalten Krieg besondere Aufmerksamkeit schenkt. Ähnlich ausführlich geht Stöver auf die Kriege zwischen europäischen bzw. amerikanischen Siedlern und der indigenen Bevölkerung Nordamerikas ein. Es existiert keine deutschsprachige Einführung, in der diese Konflikte derart detailliert zusammengefasst werden.

Jedoch hat das Werk auch einige Schwächen. Insbesondere seine Gliederung macht es häufig schwierig, historischen Wandel nachvollziehen zu können. Besonders in den Kapiteln, die sich nicht mit der amerikanischen Außenpolitik beschäftigen, stiften ständige Vor- und Rückblenden oft Verwirrung. So werden z.B. im vierten Kapitel über den Zeitraum 1815-1890 zunächst alle wichtigen Indianerkriege vom 16. bis zum 17. Jahrhundert diskutiert. Diese Ausführungen wären in den Abschnitten zur Kolonialzeit besser platziert gewesen, hätten sie dort doch zu einem besseren Verständnis der Beziehungen zwischen Europäern und der indigenen Bevölkerung beigetragen. Die zwei Kapitel über amerikanische Kultur stellen Leserinnen und Leser aufgrund der darin behandelten Themenvielfalt vor zusätzliche Herausforderungen. Bei der Lektüre wird weder deutlich, warum z.B. Verkehr, Wahlkämpfe und Rassentrennung konzeptuell unter dem Gliederungspunkt "Kulturen der Neuen Welt" zusammengefasst werden, noch ist ersichtlich, warum Themen wie wirtschaftlicher Strukturwandel, Wohnen und Protestbewegungen unter "Superculture" zu subsumieren sind. Ein Sachregister hätte es erleichtert, sich in diesem eigenwillig strukturierten Werk besser zurecht zu finden. Es gibt jedoch nur ein Namensregister.

Erläuterungen bezüglich der verwendeten Analysebegriffe hätten einige dieser Gliederungsentscheidungen möglicherweise erklären können. Leider sind solche nirgendwo zu finden. Der Begriff "Melting Pot" wird z.B. nicht hinreichend problematisiert, wurde dieser doch schon in den 1960er Jahren von Wissenschaftlern als unzureichend zurückgewiesen und später durch ebenso kontrovers diskutierte Begriffe wie "salad bowl" und "multiculturalism" ersetzt. Außerdem fehlen Ausführungen zu Stövers Kulturbegriff. Dieses Manko wird am deutlichsten im Kapitel über "Superculture". Weder erklärt Stöver darin, was er unter diesem Begriff versteht, noch erläutert er, welchen Beitrag dieser zu einem besseren Verständnis der amerikanischen Geschichte leistet.

Unabhängig von Begriffsbestimmungen ist es sehr überraschend, dass einige zentrale Aspekte der amerikanischen Geschichte entweder vollständig ignoriert oder nur kurz erwähnt werden. Dies betrifft vor allem soziale Bewegungen. Die so genannte "Progressive Movement" findet z.B. keinerlei Erwähnung. Diese weiße Mittelklassebewegung versuchte zwischen 1890 und 1920 die negativen Auswirkungen der Industrialisierung und des Großkapitalismus mithilfe wissenschaftlicher Methoden zu untersuchen und einzudämmen. Ohne eine Diskussion dieser Bewegung ist die amerikanische Geschichte vor dem 1. Weltkrieg nur schwer zu verstehen. Die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung wird zwar kurz gestreift, hätte aber aufgrund ihrer enormen Bedeutung für die amerikanische Gesellschaft im 20. Jahrhundert ausführlicher diskutiert werden müssen. Frauengeschichte wird noch stärker marginalisiert.

Schließlich haben sich eine Reihe faktischer Ungenauigkeiten in den Text eingeschlichen. Wenn Stöver z.B. davon spricht, dass der amerikanische Bürgerkrieg "viele Ursachen" gehabt habe, "die zum Teil erbittert bis heute diskutiert werden", (198) dann gibt er diese Forschungsdebatte sehr verzerrt wieder. Tatsächlich gibt es Diskussionen darüber, wie die Sklaverei zum Bürgerkrieg führen konnte, es besteht jedoch ein wissenschaftlicher Konsens darüber, dass die Sklaverei die Hauptursache des Konflikt war. Noch problematischer sind die Ausführungen über den afroamerikanischen Freiheitskampf. Die Aussage, dass nach 1957 "ein Damm gebrochen war" und das "Selbstbewusstsein der schwarzen Bürgerrechtsbewegung [...] neuen Auftrieb" (224) erhielt, ist schlichtweg falsch. Vielmehr war der Zeitraum 1957-1959 ein Tiefpunkt der Bewegung, die erst durch die ungeplante "sit-in"-Bewegung schwarzer Studierender im Süden der USA im Jahr 1960 wiederbelebt wurde. Im Anmerkungsapparat sucht man vergeblich nach Verweisen auf die neueste Forschungsliteratur zur Bürgerrechtsbewegung.

Bernd Stövers Gesamtdarstellung besticht durch seine enzyklopädische Aufarbeitung verschiedenster Aspekte der amerikanischen Geschichte und Kultur sowie durch ausgezeichnete Kapitel zur amerikanischen Außenpolitik. Jedoch schmälern die gewöhnungsbedürftige Gliederung, die fehlende Methoden- und Begriffsdiskussion, inhaltliche Leerstellen, faktische Ungenauigkeiten und das fehlende Sachregister den Nutzen dieses Werkes. Trotzdem ist es ein großer Verdienst des Autors, die Geschichte der USA für ein breites deutsches Publikum neu erzählt zu haben.

Simon Wendt