Rezension über:

Werner Oechslin / Sonja Hildebrand (Hgg.): Karl Moser. Architekt für eine neue Zeit. 1880-1936 (= Dokumente zur modernen Schweizer Architektur), Zürich: gta verlag 2010, 2 Bde., 786 S., 1019 Farb- u. s/w-Abb., ISBN 978-3-85676-250-6, EUR 120,00
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Rezension von:
Stefanie Lieb
Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Stefanie Lieb: Rezension von: Werner Oechslin / Sonja Hildebrand (Hgg.): Karl Moser. Architekt für eine neue Zeit. 1880-1936, Zürich: gta verlag 2010, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 5 [15.05.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/05/19628.html


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Werner Oechslin / Sonja Hildebrand (Hgg.): Karl Moser

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Der Schweizer Architekt Karl Moser (1860-1936) ist vor allem bekannt als Kompagnon des Karlsruher Büros Curjel & Moser, das sich zunächst insbesondere durch Jugendstilvillen im Karlsruher Raum und der Ostschweiz einen Namen machte sowie durch die legendäre Antoniuskirche in Basel von 1927 als erstem Schweizer Sakralbau in reiner Sichtbeton-Optik. Dass Karl Moser jedoch der wichtigste Vertreter der frühen Architekturmoderne in der Schweiz ist, ähnlich wie zeitgleich Peter Behrens in Deutschland oder Hendrik Petrus Berlage in den Niederlanden, und mit einem sehr großen und vielfältigen Œuvre aufwartet, war bis jetzt im Kanon zur Architekturmoderne Europas nicht wirklich präsent. Dieses Desiderat ist nun durch die vorliegende opulente Monografie, als Ergebnis eines mehrjährigen Forschungsprojekts zu Karl Moser am gta-Institut der ETH Zürich, endgültig aufgehoben.

Unter der Federführung von Werner Oechslin und Sonja Hildebrand konnte so ein Gesamtwerkverzeichnis der Bauten Mosers erstellt werden (Bd. 2, 338-403), das sicherlich als sehr hilfreiche Grundlage für alle weiteren Forschungen zum Architekten dienen kann. Die Herausgeber führen im Vorwort an, wie schwierig die Recherchen zum Werk Mosers teilweise waren, da sich der Nachlass über mehrere öffentliche und private Archive verteilt. Umso mehr ist die Leistung des Forscherteams und der zweibändige Katalog zu würdigen.

Im ersten Band werden in 14 aufschlussreichen Beiträgen unterschiedliche Themenfelder zu Karl Moser beleuchtet, von denen im Folgenden nur eine kleine Auswahl vorgestellt werden kann. Gerhard Kabierske porträtiert in seinem Aufsatz "Curjel & Moser und Hermann Billing" die sogenannte "Jung-Karlsruher Architekturschule" 1890 bis 1915 und bietet damit einen fundierten Überblick über die Stilentwicklung im Karlsruher Werk Mosers bis zu seiner Übersiedlung nach Zürich. Ulrich Maximilian Schumann verdeutlicht das Verhältnis Mosers zu den bildenden Künsten und zeigt, wie stark diese auf den Entwurfsprozess des Architekten Einfluss hatten. Die Raumkunst um 1900 ist Thema des Beitrags von Laurent Stalder, der die vier Jugendstil-Villen Mosers in Baden vorstellt. Thomas Gnägi beschäftigt sich mit dem Kirchenbau als eine der zentralen Bauaufgaben im Werk des Architekten und analysiert ihre städtebauliche Relevanz. Die Materialwahl und Baukonstruktion Karl Mosers untersuchen Uta Hassler und Lukas Zurfluh unter dem Aspekt des monolithischen Ideals. Hubertus Adam widmet sich Karl Mosers Auseinandersetzung und Aneignung der niederländischen Architektur des Neuen Bauens in den 1920ern, Daniel Kurz zeigt unter dem Titel "Karl Moser und das neue Zürich" die städtebaulichen Ambitionen des Architekten ab 1915 auf und Sonja Hildebrand resümiert schließlich die Auswirkungen von Mosers architektonischem Schaffen und Lehren auf die nachfolgende Studentengeneration, u.a. auf den jungen Le Corbusier. Als weitere prominente Autoren im Aufsatzband sind noch Werner Oechslin, Hans Kolhoff und Stanislaus von Moos vertreten, die an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben sollen.

Der zweite Band besteht aus einem umfangreichen Katalogteil mit 111 ausgewählten Bauten und Projekten Karl Mosers, beginnend mit seiner Diplomarbeit 1881, einem Entwurf für ein "Hotel am See" (12), bis hin zum Projekt der katholischen Kirche Höngg mit Pfarr- und Wohnhaus in Zürich von 1933 (334f.). In dieser Werkauswahl werden natürlich auch die bekanntesten Bauten Mosers behandelt: die Pauluskirche in Basel von 1901 mit ihrer Mischung aus historistischen und Jugendstil-Elementen (54f.) die Villa Koelle in Karlsruhe von 1902 als ein Beispiel für den opulenten Wohnhaus-Stil zwischen Neubarock und Jugendstil (92f.) das Kunsthaus in Zürich von 1910 mit sachlich-reduzierten Klassizismus-Formen (32-141), der Badische Bahnhof von 1913 (177-181), das Hauptgebäude der Universität Zürich von 1914 (186-194), die Arbeiterkolonie Breite in Schaffhausen von 1920 (207-210) und die Antoniuskirche in Basel als funktionaler Betonbau (296-302).

Diese sehr gut ausgewählte Werkschau demonstriert die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Bauaufgaben, die Karl Moser bzw. das Büro Robert Curjel & Karl Moser übernommen und bewältigt haben. Desweiteren wird deutlich, wie professionell die Architekten in dieser Zeit der frühen Moderne um 1900 die Klaviatur der unterschiedlichen Baustile von der Neuromanik bis zum Neuklassizismus, Jugendstil, Heimatstil beherrschten und zu eigenen, neuen und von jedem Stilkanon befreiten Entwürfen nutzten. Die allgemeine Entwicklung der frühen Architekturmoderne lässt sich auch in der chronologischen Werkpräsentation Mosers ablesen: vom Historismus über den Jugendstil bis zur neuklassizistischen Reduktion um 1910 und der funktional-sachlichen Formensprache der 1920er. Besonders das Spätwerk Mosers mit erstaunlich radikal-modernen Konzepten wie z.B. der Sanierung der Altstadt in Zürich-Niederdorf (328-333) war bis jetzt wenig bekannt und wird nun durch die Publikation hoffentlich ihre angemessene Positionierung in der Architekturgeschichte erhalten.

An die Werkauswahl, die übrigens mit vielen Originalplänen und historischen Abbildungen hervorragend dokumentiert ist, schließt sich das Verzeichnis des Gesamtwerks mit 591 Einträgen an. Diese sind sehr kurz gehalten, es werden aber jeweils die genaue Adresse, die Planungs- und Bauzeit, der Auftraggeber sowie, falls vorhanden, die Quellen- und Literaturangaben angeführt. Viele der Objekt-Einträge sind zudem durch eine kleine Abbildung mit Plan oder Fotografie ergänzt. Abgeschlossen wird der zweite Band mit einer Biografie Karl Mosers, die den interessierten Leser u.a. wissen lässt, dass Moser 1928 als erster Präsident des CIAM (Congrès Internationaux d'Architecture Moderne) in die Architekturmoderne eingegangen ist, sowie mit einer vollständigen Bibliografie der Schriften Mosers und ausgewählter Sekundärliteratur.

Mit dieser zweibändigen Monografie liegt nun ein herausragendes Grundlagenwerk zum Architekten Karl Moser und zum Baubüro Curjel & Moser vor, das nicht nur für die Forschung zur frühen Architekturmoderne der Schweiz, sondern sicherlich ganz Europas einen wichtigen Beitrag geleistet hat.

Stefanie Lieb