Rezension über:

Timo Trümper: Der Hamburger Maler und Zeichner Jacob Weyer (1623--1670) (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; 95), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2012, 240 S., 48 Farb-, 318 s/w-Abb., ISBN 978-3-86568-322-9, EUR 49,80
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Rezension von:
Gerrit Walczak
Institut für Kunstwissenschaft und historische Urbanistik, Technische Universität, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Gerrit Walczak: Rezension von: Timo Trümper: Der Hamburger Maler und Zeichner Jacob Weyer (1623--1670), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 5 [15.05.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/05/22930.html


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Timo Trümper: Der Hamburger Maler und Zeichner Jacob Weyer (1623--1670)

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Tat Wilhelm von Bode in seiner Musterung der Schweriner Galerie die Malerei in den deutschen Staaten des 17. und 18. Jahrhunderts als "eines der unerquicklichsten Kapitel der Kunstgeschichte" ab, so ließ er "trotz ihrer Oberflächlichkeit und gelegentlich auch Rohheit" einzig die Künstler des barocken Hamburg gelten. [1] Durchgesetzt hat sich diese unwirsche Anerkennung nicht, am wenigsten in Hamburg selbst, das nach Wien einst das wichtigste Kunstzentrum im Alten Reich und den Hauptort künstlerischen Umschlags mit den Niederlanden darstellte. Tatsächlich hat die Malerei dieser Zeit im Alten Reich und besonders in dessen nördlichen Teilen, für die Hamburg eine Schlüsselposition einnimmt, noch immer einen schweren Stand in der Kunstgeschichte, die für das vermeintlich "tote Jahrhundert" nicht allzu weit über das Eingeständnis ihrer Versäumnisse hinausgelangt ist (dass solche Selbstkritik für das 18. Jahrhundert noch auf sich warten lässt, sei gerade mit Blick auf das Schweriner Museum und seinen Ableger in Ludwigslust angemerkt, dem im nächsten Jahr der restitutionsbedingte Verlust einer der exquisitesten, viel zu wenig gewürdigten Bestände überhaupt zu drohen scheint). [2]

Zu den unübersehbar niederländisch geprägten Hamburger Malern, deren Gemälde in Schwerin Bode der Betrachtung wert hielt, gehört Jacob Weyer (1623-1670). Dieser, von dem im ersten Hamburger Künstlerlexikon immerhin als einem "berühmten" Maler von "Bambochaden" die Rede ist [3], hat in der Forschung noch weniger Aufmerksamkeit gefunden als Zeitgenossen wie Matthias Scheits und Otto Wagenfeldt, nämlich beinahe gar keine. Die Ausgangslage für die Monografie Timo Trümpers, als Dissertation bei Hans-Joachm Raupp in Bonn entstanden, kann mithin nicht ungünstiger sein. Seine Studie demonstriert nicht nur am künstlerischen Einzelfall, dass der Blick auf die Hamburger Malerei gegen und nach Ende des Dreißigjährigen Krieges sich lohnt. Vielmehr leistet sie einen exemplarischen, eng an den Kunstwerken argumentierenden Beitrag auch zur Erhellung des Migrations- und Transfergeschehens zwischen Norddeutschland und den Niederlanden.

Nach einer knappen Einleitung und der Musterung des bescheidenen Forschungsstands gilt der erste der drei Teile der Biografie Weyers und ihrer Einbettung in den Hamburger Kontext (11-21). Bereits der 1628 verstorbene Vater war demnach Mitglied des sogenannten Maleramts, wie die Hamburger Malerzunft genannt wurde. Bleibt der Lehrherr Evert Decker eine unbekannte, doch seinerzeit vielbeschäftigte Größe, so wird eine Verbindung in die Niederlande, genauer nach Haarlem, bereits durch den 1638 oder 1639 datierbaren Aufenthalt Philips Wouvermans in dessen Werkstatt erkennbar. Eine dort verbrachte Gesellenzeit Weyers ist stets vermutet worden, tatsächlich trat dieser 1645 sogar in die Haarlemer Lukasgilde ein. Dennoch setzte sich der Künstler nicht dauerhaft in den Niederlanden fest, sondern Weyer vollzog 1648 in seiner Heimatstadt den üblichen Dreischritt aus dem Erwerb des Bürgerrechts, dem Eintritt in das Maleramt und der Heirat. Fasst die anschließende Darstellung der Hamburger Malerei dieser Zeit, ihrer engen Anbindung an den niederländischen Kunstmarkt und ihrer zunftrechtlichen Reglementierung lediglich den Forschungsstand zusammen, so kann Trümper diesen durch zwei Exkurse an späterer Stelle erheblich bereichern.

Ausführlicher fällt der zweite, der Diskussion des Œuvres gewidmete Teil aus (22-51). Mehr als die Hälfte der erhaltenen Gemälde sind genrehafte Schlachtenbilder, deren Prägung durch ältere Muster Esaias van de Veldes, durch Jan Martsen de Jonge und besonders durch Philips Wouverman während der Jahre des Künstlers in Haarlem anschaulich wird. Gegenüber dem Transfer solcher Muster nach Hamburg, Weyers beträchtlichem Ausstoß von Variationen und Rekombinationen, wirkt die Betonung seiner späteren "Emanzipation" (37) ein wenig so, als müsste die Befassung mit diesem Gegenstand durch den Nachweis seiner "Eigenständigkeit" (41) erst legitimiert werden. Dass diese nur eine graduelle ist, legt Weyers fortgesetzter Eklektizismus nach Gattungen nahe, eine vom Verfasser klar herausgearbeitete Stilpluralität, wie sie in den an Jacob de Wet I. geschulten Historienbildern (23ff.) deutlicher noch als in den an Nicolaes Berchem ausgerichteten Pastoralen (31ff.) erkennbar wird. Anlässlich einer Gruppe von Pinselzeichnungen Weyers kann Trümper schließlich ein dichtes Netz von Arbeits- und Ausbildungsbeziehungen zwischen den Hamburger Werkstätten rekonstruieren und näher auf die örtliche Dekorationsmalerei eingehen, was dem einleitend nur referierten Stand der Forschung jeweils Grundlegendes hinzufügt (45-50).

Den dritten und fraglos aufwendigsten Teil der Studie bildet das umfangreiche Werkverzeichnis der Gemälde und Zeichnungen (55-154). Trümper kann seinem Künstler 39 erhaltene Gemälde und 174 Zeichnungen sicher zuweisen. Dass der Prüfung des Bestandes ausgerechnet die beiden bisher als Hauptwerke geführten biblischen Schlachtenszenen im Braunschweiger Anton Ulrich-Museum zum Opfer fallen, spricht für ein rigoroses Vorgehen, zumal der Neuzuschreibung dieser dramatischen Hochformate an Scheits, wie Weyer einst Lehrling bei Decker, nichts mehr hinzuzufügen sein dürfte (41-44, 94f.). Die erstaunliche Zahl von 174 nur durch Quellen überlieferten, zumeist in den Hamburger Versteigerungskatalogen des 18. Jahrhunderts begegnenden Gemälden schließlich gibt eine Vorstellung davon, wie verbreitet die Werke Weyers einst waren. Den Schluss der Monografie bildet ein reicher, die 55 Abbildungen im Text ergänzender Tafelteil mit fast 300 teils farbigen Abbildungen (165-240).

Liegt für Weyer somit eine Monografie vor, die für jede Beschäftigung mit der barocken Hamburger Malerei unverzichtbar sein wird, so ist zu hoffen, dass sie zu ähnlich lohnenden Arbeiten über Zeitgenossen wie Scheits und Wagenfeldt den Anstoß gibt und auch die übergeordneten Zusammenhänge stärker in den Blick rücken lässt. Weist deren interessantester in die Niederlande, so hätte es einer Studie, die anhand eines einzelnen Akteurs und seines Œuvres einen wertvollen Beitrag zur Migrations- und Transferforschung leistet, nicht geschadet, dies noch stärker zu reflektieren und sich methodisch ambitionierter zu zeigen. Und sei es nur zu Reklamezwecken - scheint doch Alfred Lichtwark, der in der Hamburger Kunsthalle die größte Sammlung vor Ort entstandener Gemälde des 17. Jahrhunderts zusammentrug und selbst die von Bode besprochenen Werke Weyers aus Schwerin holen konnte, seinen bis heute unbeeindruckten Nachfolgern das Haus nur als ein "Heimatmuseum von Weltrang" hinterlassen zu haben. [4]


Anmerkungen:

[1] Wilhelm von Bode: Die grossherzogliche Gemälde-Galerie zu Schwerin. Die deutschen Maler des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, in: Die Graphischen Künste 14 (1891), H. 4, 69, 71.

[2] Vgl. Andreas Tacke: Das tote Jahrhundert. Anmerkungen zur Forschung über die deutsche Malerei des 17. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Vereins für deutsche Kunstwissenschaft 51 (1997), 43-70.

[3] Georg Ludwig Eckhardt: Hamburgische Künstlernachrichten. Supplemente zu Füessli's Künstlerlexikon, Hamburg 1794, 53, 82.

[4] Carl Georg Heise: Zur Jahrhundertfeier der Hamburger Kunsthalle, in: Kunstchronik 3 (1950), H. 3, 50.

Gerrit Walczak